Im Kino nichts zu lachen

Von Ayala Goldmann · 17.02.2012
Soldaten, die Demokratie erst lernen müssen, Beduinen, deren Häuser abgerissen werden und vernachlässigte Kinder: Die israelischen Beiträge auf der diesjährigen Berlinale sind nicht unterhaltsam, sondern ernst und fast durchweg politisch.
"Soldier - Citizen" - so heißt die wohl interessanteste israelische Produktion bei der 62. Berlinale. Das Thema, der israelisch-palästinensische Konflikt, ist wahrlich nicht neu, doch beleuchtet wird er aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Der Film von Silvina Landsmann trägt den hebräischen Titel "Bagrut Lochamim" - "Reifeprüfung für Kämpfer". So nennt sich auch ein Spezialprogramm der israelischen Armee, das Soldaten am Ende ihres Militärdienstes ermöglicht, das Abitur nachzuholen.

Es gibt Nachhilfekurse in Mathematik, aber auch in Staatsbürgerkunde, und einen solchen Kurs hat Silvina Landsmann mehrere Wochen lang mit der Kamera begleitet. Nach drei Jahren Militärdienst, den die meisten von ihnen in den besetzten Gebieten abgeleistet haben, tun sich die jungen Männer schwer mit Begriffen wie Demokratie, Pluralismus und Menschenrechten. Silvina Landsmann hofft, dass sich das ändern wird, nachdem die Soldaten ins zivile Leben zurückgekehrt sind:

"Ich bin sicher, dass sie eine Gelegenheit haben werden zu lernen, was Demokratie ist. Und ich denke, in einem demokratischen Staat zu leben, lehrt uns das die ganze Zeit. Die Sache ist, dass es heute in Israel Streit darüber gibt, was Demokratie bedeutet. Viele schränken sie ein auf die Formel 'Die Mehrheit entscheidet'. Aber Demokratie ist viel mehr, sie bedeutet gleiche Rechte für Minderheiten, Toleranz und Meinungsfreiheit."

Doch das ist nicht allen Soldaten klar, die in dem Kurs ihr Abitur in Staatsbürgerkunde nachholen wollen. "Die Demokratie ist nur für uns, nicht für die", sagt ein Soldat und spricht Palästinensern das Recht ab, gegen Häuserzerstörungen vor das oberste israelische Gericht zu ziehen. Ein zweiter besteht darauf: Alle Araber seien Terroristen, und ein dritter möchte die Palästinenser nach Jordanien umsiedeln.

In dem Film, gedreht 2006, gibt es keine Interviews. Die gesamte Dokumentation beruht auf den Unterrichtsstunden, die die jungen Leute in einem idyllisch gelegenen Schulungszentrum absolvieren. Genau dieses nicht-kommentierende Beobachten ist die große Stärke des Films. Die heftigen, sehr emotionalen Diskussionen der Soldaten sind authentisch.

Und so platt und teilweise auch rassistisch manche ihrer Bemerkungen klingen, so leicht kann der Zuschauer nachvollziehen, wo das Problem liegt. Einige Soldaten sagen offen: Gestern haben wir Checkpoints bewacht, heute sollen wir Minderheitenrechte pauken? Wir fühlen uns überfordert! Silvina Landsmann will den Film, der auf der Berlinale Weltpremiere hatte, bald in ihrer Heimat zeigen:

"Ich hoffe, dass wir mit diesem Film in Israel noch viel Bildungsarbeit machen können. Ich bin auch sehr neugierig, die Soldaten wiederzutreffen und zu sehen, was in diesen fünf Jahren seit den Filmaufnahmen passiert ist. Ob sie ihre Meinung geändert haben."

Seit Jahren erlebt das israelische Kino einen Boom. Die Zuschauerzahlen steigen nicht nur zu Hause, sondern auch im Ausland. In Hollywood ist jetzt zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren eine israelische Produktion für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert worden. Doch leider lief dieser Film, das Vater-Sohn-Drama "Hearat Shulayim" (auf deutsch: "Fußnoten") von Joseph Cedar nicht im Wettbewerb der Berlinale, sondern bereits 2011 beim Filmfestival in Cannes.

Bei den 62. Internationalen Filmfestspielen Berlin gab es diesmal keinen zündenden Spielfilm made in Israel. Während in den vergangenen Jahren tiefsinnige, aber gleichzeitig unterhaltsame Produktionen aus Israel wie "Broken Wings" von Nir Bergman, "Geh und lebe" von Radu Mihaileanu oder "Lemon Tree" von Eran Riklis den Publikumspreis der Panorama-Sektion gewannen, ähnelt der diesjährige israelische Spielfilm im Panorama, "Sharquiya", eher einer Polit-Doku. Thema sind die Zerstörungen von Häusern israelischer Beduinen in der Negev-Wüste. Regisseur Ami Livne:

"Der Hauptgrund ist, dass die Häuser ohne offizielle Baugenehmigung gebaut wurden, also sind sie illegal. Das ist nicht speziell gegen die Beduinen gerichtet - wenn ich als israelischer Bürger ein Haus ohne Genehmigung bauen würde, würde man auch meins zerstören."

Hauptdarsteller des Films ist der Beduine Adnan Abu Wadi - er spielt das erste Mal in seinem Leben in einem Film mit. Auch er lebt in einem offiziell nicht anerkannten Dorf und musste mehrmals seine abgerissene Wellblechhütte neu aufbauen. Doch ein anderes zu Hause kann er sich nicht vorstellen:

"Das ist das Leben der Beduinen - sie leben schon einige Tausend Jahre so. Wenn man einen Beduinen nimmt und ihn eine Stadt setzt, ist das das völlige Gegenteil von seinem Leben. Umherzuwandern, das ist sein Leben, das ist seine Kultur. Man soll uns einfach in Ruhe lassen."

Und Filmemacher Ami Livne betont:

"Ich liebe Israel, ich liebe mein Land. Ich finde, es hat viele gute und schöne Seiten. Aber ich habe auch Kritik und ich finde es legitim, sie auszudrücken. Und es ist Kritik, die ich als konstruktiv ansehe."

Noch einen weiteren Spielfilm zeigte die diesjährige Berlinale in der Jugendsparte "Generation": "Off White Lies" oder "Orchim Le-Rega" ("Gäste für einen Moment") von Maya Kenig porträtiert eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung auf dem Hintergrund des zweiten Libanon-Krieges 2006. Ein Scheidungskind und ein obdachloser Vater, die als Pseudo-Kriegsflüchtlinge im gefühlskalten israelischen Neureichen-Milieu unterschlüpfen: Auch dieser Film ist kein Stimmungsaufheller. Schade! Denn die israelische Filmbranche hätte so viel mehr zu bieten.