Illegales Streaming

Warum Kim Dotcoms Jünger noch immer Erfolg haben

Kim Dotcom vor seinem Haus in Coatesville, Neuseeland.
Weil er Urheberrechte in Serie verletzte, konnte sich Kim Dotcom ein schickes Haus leisten © picture alliance / dpa
Leonhard Dobusch im Gespräch mit Nana Brink · 29.08.2016
Für Filme und Serien gibt es inzwischen viele legale Angebote im Internet – doch die illegalen Tausch- und Streaming-Seiten scheinen deswegen nicht weniger zu werden. Warum das so ist, erklärt der Innsbrucker Betriebswirtschaftler Leonhard Dobusch.
Der Internet-Unternehmer Kim Dotcom versucht derzeit erneut vor einem Gericht in Neuseeland, seine Auslieferung an die USA zu verhindern. Dotcom (42), mit bürgerlichem Namen Kim Schmitz, hatte einst die sehr beliebte Internetplattform Megaupload gegründet, auf der Nutzer vor allem Musik und Filme untereinander tauschten. Das war nach Ansicht der US-Behörden illegal, was Schmitz aber nicht weiter stört. Er hat einen Relaunch angekündigt. Nur dass ihm viele Jahre Gefängnis drohen, sollte er ausgeliefert werden, kann ihm nicht schmecken.
Dotcoms Nachfolger im Netz lassen sich von seiner Geschichte nicht abschrecken. Illegales Streaming boomt noch immer, sagt der Betriebswirtschaftler Leonhard Dobusch von der Universität Innsbruck. Es würden so viele Links auf illegale Angebote aus den Google-Suchergebnissen entfernt wie nie zuvor, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Das liege einerseits daran, dass die Erkennungstechnologie besser geworden sei. Andererseits gebe es aber auch immer noch ein "substanzielles Angebot" an illegalen Film-Streams im Netz.
Den Grund dafür sieht der Experte vor allem in den eingeschränkten Katalogen der legalen Dienste wie Netflix oder Amazon. Die kostenpflichtigen Dienste lieferten zum Teil eine schlechtere Auswahl und Handhabung als manch illegaler Anbieter, sagte Dobusch. Es sei zum Teil sogar schwer herauszufinden, welcher legale Dienst nun welche Serie verfügbar halte.
Gibt es eine Chance für einen legalen Anbieter mit "Voll-Repertoire" bei Filmen und Serien? Ohne gesetzliche Vorgaben werde das wohl nicht gehen, meint Dobusch. Denn die großen Filmstudios seien nicht bereit, etwas von ihrer Verhandlungsmacht abzugeben.
Als möglichen Weg bringt Dobusch eine Art GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) für Filme ins Gespräch. Die Gesellschaft regelt den Markt für Musik, und bei Spotify oder Apple Music gibt es deswegen inzwischen, zumindest annähernd, einen Voll-Katalog. Nur noch Top-Stars wie Taylor Swift können hier ihre Bedingungen diktieren. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Nana Brink: Wir fragen uns, wie ist das im Zeitalter von Netflix und Amazon mit illegalen Streaming-Diensten. Und das will ich von Leonhard Dobusch wissen. Er ist Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Innsbruck und beschäftigt sich seit Längerem mit diesem Thema. Ich grüße Sie!
Leonhard Dobusch: Guten Morgen!
Brink: Angesichts von Netflix und Amazon – gibt es eigentlich noch viele illegale Streaming-Dienste?
Dobusch: Wenn man sich anschaut, wie viele Links derzeit aus Google-Suchergebnissen auf illegale Angebote vor allem im Filmbereich entfernt werden, dann waren das noch nie so viele wie derzeit. Das liegt einerseits daran, dass die Erkennungstechnologien natürlich besser geworden sind. Es liegt aber auch daran, weil es immer noch ein ziemlich substanzielles Angebot an illegalen Streams im Netz gibt.
Brink: Kann man das irgendwie ein bisschen genauer quantifizieren? Wie ist das Verhältnis zwischen legal und illegal?

Viel mehr illegale als legale Angebote

Dobusch: Es gibt sicher ein Vielfaches an illegalen Anbietern, die aber dann teilweise nur relativ kurz überhaupt verfügbar sind im Vergleich zu legalen Angeboten. Hinzu kommt, dass legale Angebote ja nicht überall auf der Welt das gleiche Angebot liefern können. Das heißt, wenn ich ein Netflix-Abo in Deutschland habe, habe ich einen völlig anderen Katalog an Filmen und Serien, als wenn ich zum Beispiel ein Netflix-Abo in den USA habe.
Brink: Ich habe mich nämlich gerade gefragt, warum eigentlich benutzt man oder warum nutzt man überhaupt illegale Streaming-Dienste. Weil es ist ja doch unglaublich einfach geworden, sich auch Sachen legal herunterzuladen.
Die App des Streamingdienstes Netflix auf einem iPhone 6, aufgenommen am 15.02.2016 in Düsseldorf
Netflix: Noch weit vom einem Voll-Angebot entfernt© picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Dobusch: Ich würde sagen, einer der Hauptgründe dafür, warum die Nachfrage nach illegalen Angeboten im Filmbereich weiterhin hoch ist, sind die eingeschränkten Kataloge der verschiedenen Streaming-Angebote. Wir haben in jeder Videothek, so es sie noch gibt um die Ecke, quasi alle aktuellen Blockbuster verfügbar und auch alle viel nachgefragten Serien, beschränkt nur durch die Lagerkapazitäten. Es ist so, dass bei den Streaming-Diensten von Vollrepertoire einfach keine Rede sein kann. Und selbst wer für ein Abo zahlt, müsste dann noch für drei, vier weitere Abos zahlen, wenn er nur in die Nähe von dem umfassenden Angebot kommen möchte, das es in der Videothek gibt.
Brink: Wo liegt dann das Problem, dass man keine größeren Angebote darstellen kann?
Dobusch: Ich würde sagen, es ist das alte Problem, das wir auch schon aus der Musik zur Zeit Anfang der 2000er-Jahre kennen, nämlich dass kostenpflichtige Dienste eine schlechtere Auswahl und Handhabung als manche illegale Anbieter liefern. Und der Grund dafür ist einfach, dass die Filmstudios mit jedem einzelnen Anbieter individuell einzelne Film- und Serienpakete für jede einzelne Nutzungsregion und auch für unterschiedliche Nutzungsarten, also zum Beispiel Onlinekauf oder Onlineverleih, individuell aushandeln, also im Einzelfall Bewilligungen verlangen.
Brink: Kommen wir aus diesem Dilemma irgendwann raus? Gibt es eine Lösung, sehen Sie eine?

Ohne gesetzliche Vorgaben wird es nicht gehen

Dobusch: Ich glaube, ohne gesetzliche Vorgaben, die in Wirklichkeit die Studios dazu zwingen … oder mit quasi verschiedenen Anbietern zu gleichen Konditionen abzuschließen, so ähnlich, wie es das zum Beispiel im Musikbereich heute auch gibt. Wenn ein Radiosender, und auch noch so ein kleiner Lokalradiosender, Musik spielen möchten, dann kann er zur GEMA gehen, das ist ein One-Stop-Shop, und kann dort Zugriff auf das Weltrepertoire der Musik erlangen und dann im Radio spielen, was dem Radioverantwortlichen gefällt.
Brink: Genau. Das machen wir bei uns auch. Und wir führen dann die Gebühren an die GEMA ab sozusagen.
Dobusch: Und ein vergleichbares System ist natürlich ein bisschen komplexer umzusetzen, wenn es um Filme geht, weil da viel mehr Rechteinhaber involviert sind in so einen Film.
Aber prinzipiell wäre so eine Lizenzierungspflicht, abgewickelt über Verwertungsgesellschaften, eine Möglichkeit, dass auch im digitalen Bereich kommerzielle Anbieter eine Art Vollrepertoire, durchaus auch noch mit unterschiedlichen Preisen – da muss nicht alles in der Flatrate enthalten sein, aber derzeit ist es ja so, dass das oftmals schwierig ist, überhaupt herauszufinden, welcher Anbieter was irgendwo verfügbar hält.
Brink: Ich frage mich aber, wenn es das im Musikbereich gibt, warum gibt es das nicht im Filmbereich, warum funktioniert das nicht?

Spotify brauchte zehn Jahre bis zum Vollrepertoire

Dobusch: Man muss zuerst mal sehen, im Musikbereich hat es ja auch zehn Jahre gedauert, bis ein Anbieter wie Spotify halbwegs Vollrepertoire erreicht hat. Man muss sagen, die Situation ist im Musikbereich also besser, aber auch nicht ideal. Denn Bedingung dafür, dass Spotify überhaupt die Musikkataloge der Major Labels bekommen hat, war, dass diese Beteiligungen an Spotify erwerben konnten.
Im Ergebnis führt das zu höchst intransparenten Erlösstrukturen. Die Kunstschaffenden beklagen sich teilweise zu Recht, dass zu wenig bei ihnen ankommt. Und außerdem ist es immer noch so, dass auch im Musikbereich einzelne Künstler mit großer Verhandlungsmacht, zum Beispiel Taylor Swift, ihre Musik dann trotzdem rausziehen können.
Musik aus dem Internet
Musik aus dem Internet: Dank anderer Vermarktungsstrukturen können Nutzer hier auf bessere Angebote zurückgreifen als im Filmbereich© picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Also selbst Spotify hat auch immer noch keinen Vollkatalog, aber es ist zugegebenermaßen eine bessere Situation als im Film- und Videobereich.
Brink: Glauben Sie denn, dass es jemals möglich wäre, alle Filme im Netz zugänglich zu machen, irgendwie auf einer Plattform? Das kann doch angesichts der Rechtslage, die Sie ja auch gerade beschrieben haben, irgendwie gar nicht funktionieren.
Dobusch: Ich würde sagen, solange diese Bewilligungskultur, dass man im Einzelfall für jede einzelne Nutzungsweise in jeder einzelnen Region für jeden einzelnen Streaming-Dienst verhandelt, vorherrschend ist, solange wird es das nicht geben. Und dadurch, dass die Major-Filmstudios auch nicht willens sind, da irgendwas von ihrer Verhandlungsmacht abzugeben, glaube ich: Entweder wird es da eine gesetzliche Lösung geben, oder diese Situation wird fortbestehen, und damit wird auch weiterhin große Nachfrage nach illegalen Angeboten bestehen.
Brink: Herzlichen Dank für diese Einschätzungen! Der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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