Ildikó Enyedi über "On Body and Soul"

Die kleinen, komischen Momente

Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi auf der 67. Berlinale bei der Vorstellung ihres Wettbewerbsbeitrags "On Body and Soul".
Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi auf der 67. Berlinale bei der Vorstellung ihres Wettbewerbsbeitrags "On Body and Soul" © picture alliance/dpa/Monika Skolimowska
Regisseurin Ildikó Enyedi im Gespräch mit Susanne Burg und Patrick Wellinski · 18.02.2017
"On Body and Soul", der Wettbewerbsbeitrag der Ungarin Ildikó Enyedi, gilt als Bären-Favorit. Im Interview erzählt die Regisseurin, was sie am Szenario eines Schlachthofs fasziniert und warum sie auf keinen Fall eine Slapstick-Comedy aus ihrer Geschichte machen wollte.
Vollbild, die Berlinale-Bilanz-Ausgabe. Und eine Berlinale-Bilanz kann man wohl schon jetzt ziehen: einige der Bärenanwärter stehen nicht gerade gerne im großen Rampenlicht. Angsteinflössend findet Ildiko Enyedi die Berlinale, eine Riesenshow – und das bei einem so zaghaften Film.
"Zaghaft", das ist eine schöne Beschreibung für den Film der ungarischen Regisseurin. Denn "On Body and Soul" - so heißt er - ist eine zarte Liebesgeschichte zwischen zwei ziemlich verschlossenen Personen. Auch dieser Film von Ildiko Enyedi, die mit Filmen übrigens auch schon in Cannes und Venedig war, gilt als Bärenanwärter. Und deswegen haben wir uns vorab mit ihr verabredet.
Patrick Wellinski: Ihr Film heißt "On Body And Soul" und es ist eine sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte. Wie kam Ihnen die Idee zu diesem Film?
Ildikó Enyedi: Die Geschichte kam, wie bei meinen anderen Filmen auch, als letztes. Mich hat etwas bewegt, was ich ausdrücken wollte und daraufhin habe ich nach einer Story gesucht, deren dramatischer Bogen all diese Fragen beinhaltet. In diesem Fall gab es ein sehr starkes Gefühl, diesen Wunsch eine Form von innerer Leidenschaft auszudrücken, einen Kontrast zwischen einer sehr geschlossenen grauen Oberfläche, die wir alle haben, und dem was wir – oh, meine Gott! – wohl dahinter verbergen. Das aufzuschreiben ging dann sehr schnell.

"Ich habe nach einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte gesucht"

Susanne Burg: Im Zentrum steht ja Maria, die voller Sozialphobien ist. Und gleichzeitig noch Endre, der einen gelähmten Arm hat. Es sind nicht die typischen Helden. Wie haben Sie die entwickelt?
Ildikó Enyedi: Ich habe in der Tat nach einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte gesucht - für den Protagonisten, der scheinbar weniger leidenschaftlich ist. Ich bin bei Menschen oft überrascht, wieviel sich hinter ihrer Oberfläche verbirgt, wie viele Lebenstragödien, und wie viele großartige Geschichten in jeder Person stecken.
67. Internationale Filmfestspiele in Berlin, am 10.02.2017, Photocall «On Body and Soul»: Die Schauspieler Reka Tenki (l-r), Geza Morcsanyi, Ildiko Enyedi (Regisseurin), Alexandra Borbely, Ervin Nagy. Der ungarische Film läuft auf der Berlinale im Wettbewerb
Ildiko Enyedi und ihr Film-Team© picture alliance/dpa/Soeren Stache
Die beiden Figuren sind aus sehr unterschiedlichen Gründen sehr verschlossen. Der Mann ist schon älter, er hat schon ein Vor-Leben, er hat Frauen gehabt, ein sehr reichhaltiges Sozialleben – und er hatte genug davon. Er hat sich also zurückgezogen und möchte geschützt bleiben in dieser kleinen, sehr grauen, sehr begrenzten eigenen Welt, weil er Angst hat, ausgelacht oder zurückgewiesen zu werden. In seinem Alter noch große Gefühle zu haben, ist ihm unangenehm.
Bei dem Mädchen ist das ganz anders. Sie ist so schüchtern und im Umgang mit anderen so tollpatschig, dass es die einfachste Methode ist, schlichtweg niemanden an sich heran zu lassen. Und nun zwingt sie eine Situation dazu, sich der Frage zu stellen, was passieren könnte, wenn sie sich öffnen würden. Das ist für beide sehr riskant.

"Es war sehr berührend, in einem Schlachthof zu drehen"

Patrick Wellinski: Maria und Endre lernen sich bei der Arbeit kennen, in einem Schlachthof. Das ist ja ein Ort des Todes. Und dann verlieben sich die beiden. Warum wollten Sie unbedingt in einem Schlachthof die Geschichte ansiedeln?
Ildikó Enyedi: Es war sehr berührend, in einem Schlachthaus zu drehen. Wir waren auch vor den Dreharbeiten ein paar Mal dort und es hat mich weniger das Töten schockiert, auch nicht das Blut oder die Kadaver. Es waren die lebenden Tiere, ihre Augen… Sie verbringen einen ganzen Tag im Schlachthaus, bevor sie getötet werden. Und ich habe gesehen, dass sie spüren, was passieren wird. Sie wissen es und stehen dort, ganz friedlich und warten…
Irgendwie ist unsere ach so feine und menschliche Kultur so voller versteckter Grausamkeit. Wir wollen nicht wissen, wie das Fleisch auf unseren Teller kommt. Ich mache niemandem einen Vorwurf, aber man sollte den Tatsachen ins Auge schauen können und sehen, was man isst und wie man lebt.

"Was passiert mit mir?"

Ich wollte keinen militanten Film machen, aber wenn man verliebt ist, wenn man mit Menschen spricht oder sich einfach nur seinem Leben stellt, sieht man sich all diesen Fragen gegenüber: Was passiert mit mir? Was passiert mit all den Menschen, die ich liebe? Wie können wir wirklich gut miteinander umgehen? All diese Fragen stehen im Raum.
Ich habe also versucht, eine ganz einfache Geschichte zu finden mit nur einem spielerischen Kniff und nicht all das direkt anzusprechen, sondern den Zuschauer selber darüber nachdenken zu lassen.
Susanne Burg: Die beiden sind ja im Grunde Teil des Systems, was Sie beschrieben haben. Gleichzeitig sind es auch sehr verletzliche Charaktere, die Angst haben, in Kontakt zu treten. Sie treten miteinander in Kontakt im Traum. Da sind auch wieder Tiere, die spielen eine Rolle, Hirsche. Die aber in einer sehr heilen Welt sind. Warum gerade diese Hirsche im Traum?
Ildikó Enyedi: Das Vieh im Schlachthaus und die Hirsche sind die gleichen Tiere, mit denen wir seit Tausenden von Jahren leben, die, die wir töten, und ihre freien Brüder und Schwestern. In ihren Träumen können diese Personen in gewisser Weise ein normales Leben führen. Es sind keine verklärten Traumsequenzen, sie sind sehr nüchtern, in einem sehr realistischen Wald mit ganz realistischen Tieren.
Susanne Burg: Man braucht eine Weile, zu verstehen, dass es ein Traum ist, weil sie den gar nicht als Traum inszenieren.
Ildikó Enyedi: Es ist gewissermaßen die Realität, wie wir sie leben sollten. Wie sie bei Tag leben, ist eine viel stärker konstruierte Welt – unsere Welt. Es ist wie dieses Kollektivbewusstsein, wie wir es von C.G. Jung kennen, wo wir alle miteinander zusammenhängen, ohne eigene Anstrengung.

"Es ist keine Slapstick-Comedy"

Susanne Burg: Mich würde noch der Humor interessieren. Sie beschreiben ja zwei Menschen, die Schwierigkeiten haben mit Körperlichkeit. Und es hat auch etwas Komisches.
Maria versucht, sich dem Körperlichen anzunähern, indem sie Pornos guckt. Es gibt eine Nahaufnahme, in der man im Hintergrund das Porno sieht – und vorne ihre Hand, die ganz unbeteiligt in ein Gummibärenglas fasst. Wie haben Sie mit dem Humor gespielt im Film?
Ildikó Enyedi: Es ist keine Slapstick-Comedy, man kann erst, wenn der Film fertig ist beurteilen, ob diese zärtlichen Momente, die uns so wichtig sind, funktionieren oder nicht. Oft reichen kleine Details aus, um den Humor einer Szene zu zerstören, zum Beispiel ein zu seltsamer Gesichtsausdruck. Der ganze Film ist durchzogen von kleinen komischen Momenten, wir wollen uns selber nicht so ernst nehmen. Wir sind nicht die großen Gurus, die dem Publikum erzählen, wie es leben soll, wir wollen nur die Erfahrungen zweier Personen weitergeben. Und wenn man über sie lacht, glaube ich nicht, dass die Witze bösartig sind, man kann vielmehr anfangen, sie zu verstehen und dadurch mit ihnen mitfiebern und Dinge denken wie "Bitte, bitte, kommt zusammen…"
Patrick Wellinski: Aber die Liebe nehmen Sie ernst. Im Traum sind sie ja schon zusammen. Glauben Sie an das Prinzip der Seelenverwandtschaft?
Ildikó Enyedi: Nein. (lacht) Nein, ich glaube wir sind alle Seelenverwandte… Man kann mit den faszinierendsten Personen in Kontakt kommen, wenn man will.
Susanne Burg: Sie haben die Arbeit auf dem Schlachthof beschrieben. Das nimmt am Anfang Raum an. Dann tritt immer mehr die Liebesgeschichte in den Vordergrund. Da gibt es aber eine Szene, in der ein Polizist vorbeikommt wegen eines Diebstahls. Er macht deutlich, dass er den Fall vergisst, wenn er dafür ein großes Stück Fleisch bekommt. Wie sehr wollten Sie ganz beiläufig auch gesellschaftliche Umstände in Ungarn mit erzählen?

"Was jetzt in unserem Land passiert, ist eine Schande"

Ildikó Enyedi: Das ist unser Alltag. OK, geben Sie mir ein bisschen Fleisch, ein bisschen hiervon ein bisschen davon – das war der Sozialismus. Man konnte einfach nicht immer alles legal haben auf das man ein Recht hatte, es zu haben. Aber was jetzt in unserem Land passiert, ist eine Schande und macht wirklich Angst. Das einzig Gute, was man daran noch finden kann, ist, dass es nur ein kleines Land ist.
Jetzt nach der Wahl in den USA möchte ich den Leuten dort einfach nur sagen "Hört zu, wir haben das gleiche hier schon vor Jahren durchgemacht", ich kann leider keine guten Ratschläge geben, weil wir das Problem auch nicht lösen konnten. Es ist in gewisser Weise deshalb so beängstigend, weil es nicht nur eine unehrliche Art und Weise ist, die Regeln zu umgehen, sondern eine grundlegende Veränderung und Zerstörung der Regeln, eine Zerstörung der Basis der Demokratie und demokratischer Kontrolle. Ich wäre so gerne stolz auf mein Land, aber seit so vielen Jahren kann ich das nicht mehr sein und das tut weh.
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