"Ich nenne sie ja Libroide"

Jürgen Neffe im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.03.2011
Das elektronische Lesen wird den Büchermarkt grundlegend verändern, meint Wissenschaftsjournalist Jürgen Neffe. Er glaubt, dass Libroide entstehen werden: neue vielseitige buchartige Medien.
Jan-Christoph Kitzler: Jetzt ist es doch schon viel früher passiert, als zu erwarten war. Amazon hat im letzten Quartal 2010 erstmals mehr E-Books verkauft als gedruckte Bücher. Auf 100 verkaufte Taschenbücher kommen mittlerweile 115 elektronische Ausgaben. Das liegt natürlich vor allem an Amazons gutem Geschäft in den USA, wo sich die E-Books in rasantem Tempo durchgesetzt haben.

Bei uns aber sind die Kunden noch deutlich zurückhaltender und der Buchhandel muss sich das E-Book fast noch ein wenig schön reden. Nur zwei Prozent der Deutschen bevorzugen digitalen Lesestoff. Aber auch bei uns gibt es einen, wenn auch langsamen Trend hin zum E-Book. Es fragt sich natürlich, was diese E-Books für die Zukunft des Lesens bedeuten.

Darüber spreche ich jetzt mit Jürgen Neffe, er ist nicht nur ein profilierter Wissenschaftsjournalist, sondern auch Gründer des Verlags der ungedruckten Bücher. Wir erreichen ihn auf der Leipziger Buchmesse. Schönen guten Morgen, Herr Neffe.

Jürgen Neffe: Guten Morgen!

Kitzler: Es gibt ja nicht wenige Experten, die meinen, auf den diversen elektronischen Geräten liest man eigentlich nur oberflächlich und das richtig tiefe Lesen, das geht noch am besten mit dem gedruckten Buch. Wie sehen Sie das denn?

Neffe: Wenn mich morgen jemand anruft und sagt, Du, ich habe Dein Buch gelesen, fand ich prima, dann werde ich nicht als Erstes fragen, von wo hast Du das gelesen, meinetwegen von einer Klorolle, aber meinetwegen auch von einem E-Book-Reader. Die Zahl, die Sie gerade in der Anmoderation genannt haben, zwei Prozent der Deutschen, hat natürlich damit zu tun, dass es einfach hier keine Hardware, keine Geräte gab bislang. Das wird sich jetzt in großem Maßstab ändern, nicht nur durch die Lesegeräte für reines E-Book-Lesen, sondern eben auch durch die Smartphones und Tablet-Computer wie das iPad.

Kitzler: Trotzdem: Experten sagen natürlich, man liest auf dem E-Book, auf elektronischen Medien eher kleinere Texte, Textschnipsel. Ist das nicht eine Gefahr für das Lesen an sich?

Neffe: Ich sehe darin eine Gefahr für den Buchhandel vor allen Dingen, weil dieser Häppchen-Verkauf, wie auch in den USA schon zu sehen ist, wahrscheinlich massiv zunehmen wird. Das ist dann für 79 Cent eine Kurzgeschichte, ein 50-Seiten-Text, und das ist ein Hop-and-go. Das lädt man sich mal runter, weil es gerade aktuell ist, weil es alle lesen, und dann verschwindet es auch wieder.

Was es auch geben wird, das zeigt sich ja jetzt schon in der Filmbranche, Leihgaben, also Bücher, die man sich für zwei Euro ausleiht wie in einer Bibliothek und dann nach vier Wochen zurückgibt. Das heißt, die verschwinden dann wieder vom Lesegerät und so weiter. Das Lesen auf dem iPad – ich sage es ganz ehrlich – ist auch mühselig, und wenn die Sonne scheint, eigentlich unmöglich. Aber das sind Hardware-Fragen, die uns eigentlich nicht interessieren sollten. Auf lange Sicht wird es genauso gut möglich sein, auf Lesegeräten zu lesen wie von Papier.

Und wenn Sie bedenken, was die Bücher, wenn sie nicht mehr auf Papier gedruckt werden, mehr können, dann wird es da einen zusätzlichen Anreiz geben, elektronisch zu lesen.

Kitzler: Bisher war das ja so, dass die E-Books versuchen, irgendwie die alten Papierbücher am Bildschirm zu simulieren. Da wird dann zum Beispiel simuliert, wie man Seiten umblättert und so weiter. Sie haben ja in Ihrem eigenen Darwin-Buch gezeigt, wie das eigentlich auch ganz anders funktionieren könnte. Können Sie das mal kurz beschreiben?

Neffe: Ja. Ich glaube, die Zukunft liegt natürlich im – und jetzt muss ich ein paar Fremdwörter aussprechen – multimedialen, interaktiven und, wie ich es dann auch gezeigt habe, multilingualen, das heißt, mehrsprachigen Buch. Mehrsprachig und sozial eingenetzt im Sinne, dass Sie sich innerhalb oder zwischen den Büchern - oder ich nenne sie ja Libroide, Buchartige - austauschen können.

Ich habe jetzt mein Darwin-Buch – das ist ein idealtypisches Buch – genommen, weil es eine Weltreise beschreibt, aufgearbeitet in verschiedene Medien, die ich in einer ganz neuen Form verknüpft habe, weil ich glaube, wir sollten von Gutenberg auf jeden Fall lernen, nämlich zum Beispiel klares, übersichtliches Layout, die Handhabung eines Buches muss man niemandem auf der Welt erklären, und das muss natürlich auf Dauer auch für sehr komplexe E-Books gelten. Dafür habe ich beispielhaft das Libroid entwickelt, was eben auf einem iPad zu lesen ist.

Es geht vor allen Dingen darum, dass wir weiter lesen wollen. Das war ja Ihre Eingangsfrage. Und wir Autoren wollen weiter gelesen werden. Ich habe mich mit vielen Autoren darüber unterhalten, wie können wir das erreichen, dass das, was wir produzieren, nämlich die Texte, trotz allem Klimbim und was es darum herum gibt - bewegte Bilder, Audio und so weiter - trotzdem gelesen wird. Deshalb haben wir den Text ins Zentrum gerückt und daran wie an einer weichen Aufhängung – das ist natürlich programmiert, das ist Elektronik – die weiteren Inhalte aufgehängt.

Das heißt also, dem Leser bleibt es überlassen zu sehen, Mensch, hier gibt es einen Internet-Link, oder hier gibt es ein Foto, oder hier gibt es eine Karte, die gucke ich mir jetzt genauer an.

Kitzler: Glauben Sie, dass sich das Lesen unserer Art, die Welt sich anzueignen, verändern wird?

Neffe: Es hat sich schon sehr verändert und es ändert sich weiter. Man darf ja nicht vergessen: Die Menschen lesen ja nicht weniger, sondern eher durch Twitter, Facebook, E-Mails und was es da alles gibt, Blogs, sie lesen eher tendenziell mehr, aber in kleinere Einheiten aufgespalten. Also das Lesen langer Texte, wie das Anschauen langer Theaterstücke oder langer Konzerte, wird sich vielleicht verändern in dem Sinne, dass es immer weniger Leute machen, das ist eine schnelllebige Zeit, und es findet natürlich eine neue Konkurrenz auch unter uns Autoren statt. Wer schafft es am ehesten, den Leser bei der Stange zu halten, ob es nun mit einem Papierbuch ist, oder mit einem E-Book?

Ich meine, wenn ich Ihnen vor 20 Jahren gesagt hätte, dass ich mit einem Telefon Fotos mache, dann hätten Sie gar nicht gewusst, wovon ich spreche. Heute kann ich mit einem Telefon praktisch alles machen: Musik hören, Filmen und eben auch Lesen. Und wenn ich denjenigen, der nur noch mit solchen Dingern umgeht, dahin bringe, weiterhin auch Texte zu lesen – und ich sage Ihnen, wenn die Texte spannend sind, werden sie auch gelesen -, dann sind wir auf der Siegerseite.

Kitzler: Möglicherweise ist dann also das Libroid die Zukunft. So sieht es Jürgen Neffe, Wissenschaftsjournalist, Buchautor und Gründer des Verlags der ungedruckten Bücher. Wir haben ihn auf der Leipziger Buchmesse erreicht. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Neffe: Haben Sie vielen Dank.

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