"Ich habe nur gemalt"

Von Alexa Hennings · 26.10.2005
Er musste sich in eine Rolle einfinden, den Venezianer Giovanni Battista Grono nachspielen, um die Deckengemälde der Dresdner Frauenkirche möglichst originalgetreu wieder auferstehen zu lassen. Die Rede ist von Christoph Wetzel.
Im August 2003 stieg der Dresdner Maler das erste Mal mit seinen Farbeimern in die 40 Meter hohe Kuppel der wieder aufgebauten Frauenkirche. In wenigen Wochen nun wird die gewaltige Kuppel wieder von acht riesigen Gemälden geschmückt sein. 60 Jahre nach ihrer Zerstörung. Und der Maler Wetzel sehnt sich wieder in sein kleines Atelier zurück, wo er endlich wieder seine Bilder malen kann: Portraits von Zeitgenossen.

Das Schokoladenmädchen hält sich kurz die Ohren zu. Die junge Frau im langen Kleid, mit Schürzchen und Häubchen, scheint direkt dem berühmten Gemälde der Dresdner Gemäldegalerie entstiegen zu sein. Sie hat einen Bauchladen umgeschnallt und verkauft große, goldene Schokoladentaler mit dem Abbild der Frauenkirche.

In der Baugrube sitzen vermummte ABM-Gestalten, die aus den freigelegten Kellergewölben alte Scherben sammeln. Ein bärtiger Herr mit schwarzer Pudelmütze zwängt sich zwischen Bagger und Bauzaun hindurch und öffnet das Tor.

Keiner der umstehenden und die Frauenkirche - von außen - anstaunenden Touristen ahnt, dass dieser Herr mit der Pudelmütze bald sehr berühmt sein wird.
Wenn zum Reformationstag die wieder aufgebaute Dresdner Frauenkirche geweiht wird, und die ersten Besucher das bisher streng verborgene Innere sehen dürfen, werden sich die Blicke der Staatsoberhäupter und der Königinnen, der Kameraleute, der Fotografen und der zu Zehntausenden erwarteten enthusiastischen Dresdner in die Kuppel erheben.
Und die wurde von diesem Mann mit der Pudelmütze mit acht riesigen, barocken Gemälden bemalt. Christoph Wetzel, dieser Name wird dann in aller Munde sein. Der Dresdner Wetzel, der das Gemälde des Venezianers Giovanni Battista Groni wieder auferstehen ließ.

Wetzel: "So, aufpassen, dass Ihnen nichts passiert! Früher gab’s hier noch Helmtragepflicht. Einige Portale sind ja schon mit alten Türen jetzt, haben Sie ja gesehen, da hat man schon die alten Türen eingesetzt - in Anführungsstrichen alt."

Hier, in dieser vor 60 Jahren in einer Bombennacht zerstörten Kirche, ist alles nur "in Anführungsstrichen alt".

"Grüß dich! Alles Gute noch!"

Hier arbeitet man am Wunder der Auferstehung aus zweiter Hand.

Wetzel: "Jetzt ist man dabei, mit dem Unterbau für das Gestühl zu beginnen. Der Altar selber hat auch noch eine ganze Menge Bemalung und Rekonstruktion zu bekommen. Das ist jetzt der Arbeitsstand. Ansonsten, die Ausmalung, sehen Sie ja, ist weitestgehend abgeschlossen."

Man muss den Kopf, soweit es geht, in den Nacken biegen. Dann sieht man es: Wetzels Wunderwerk in 40 Meter Höhe.

Wetzel: "Können Sie das Gesicht erkennen vom Lukas auf dem Stier? Und das ist natürlich vom Ausdruck her doch noch etwas anders als auf dem Entwurf. Der ist so nachdenklich. Und wenn Sie sich jetzt noch weiter nach hinten biegen - jetzt verstehen Sie, weshalb ich mich hinlegen muss!"

Das mit dem Hinlegen macht Herr Wetzel, wenn die Sägen schweigen. Er arbeitet nachts, wenn absolute Stille ist. Dann kann er von unten, im Liegen, den zarten, pastellartigen Farbklang seines Gemäldes betrachten und letzte Korrekturen anbringen. Denn es muss alles so leicht aussehen, als schwebe es.

Wetzel: "Je höher man kommt mit dem Blick, dürfen ja die Dinge nicht schwerer werden. Es gibt einige wenige Kirchen, wo das so ist. Da haben Sie wirklich das Gefühl, Sie müssten den Kopf einziehen, dass Ihnen der ganze Kram nicht auf’n - auf's Haupt fällt. Ist schon schwierig. "

Hier gibt es nichts, das nicht schwierig ist. Aber die Farbgestaltung im Inneren der sandsteinernen Frauenkirche zählt wirklich zum Kniffligsten, das bewältigt werden musste. Welchen Farbton hatte sie damals, als sie 1734 eingeweiht wurde? Darüber gibt es eine einzige Zeitzeugenaussage. Nur ein Satz ist überliefert, und der lautet so:

Wetzel: "Die Kirche macht einen hellen, gelblichten Eindruck. Aber was gelblicht nun sein soll, das weiß kein Mensch so richtig. Wenn Sie hier so schauen, ist es in der Tat ein Ensemble aus marmorierten Säulen mit graublau-ocker, gelb-ocker geäderten Strukturen. Graublau, erdgrüngrau in den Kapitellen. In der Kuppel dann der Klang aus dem Rosé, graugrün und ocker in den Rahmungen und darin dann entsprechend die Farbe der Gemälde. "

Heute Abend, wenn die Sägen schweigen, wird sich Herr Wetzel ein halbes Dutzend Hühnereier nehmen, ein paar Tropfen Nelkenöl, Leinölfirniss, Kasein und etwas vom Farbpulver mit so märchenhaft klingenden Namen wie "caput mortuum" und "terra potsuoli". Daraus mischt er sich, wie die Kirchenmaler seit 700 Jahren schon, die so zarten und dennoch leuchtenden Farben. Nur noch das letzte, das achte Bildfeld muss der Maler fertig stellen: Die christliche Tugend "Der Glaube", eine Frauengestalt im wallenden Gewand.

Wetzel: "Sie sehen dort die Vorzeichnung, ganz zart in Kohle kann man die Figur erkennen, die das Kreuz hält na, und man muss einfach Vertrauen haben, dass das Gerüst hält. Da dürfen Sie nicht drüber nachdenken. Das sind 40 Meter bis hier runter! "

Manchmal wird Herrn Wetzel schlagartig bewusst, was er da eigentlich auf seine alten Tage so tut: Mit 57 Jahren Wassereimer und Farbpötte schleppen, erst den Treppenturm hinauf, dann aufs Drehgerüst, dann über sieben Leitern. 40 Meter hoch - und mit dem Schmutzwassereimer dann wieder runter. Nachts, allein, und keiner da, wenn etwas passieren sollte. Wie ein Frosch die Leitern hoch und runter.

Wetzel: "Müssen Sie runterklettern, malen die Füße, müssen Sie hochklettern, malen das Gesicht. Die Bildfelder haben ja eine Höhe von sechs Metern, da müssen Sie sich dann mit kleinen Leiterchen behelfen, je nachdem, wo Sie ran wollen. Also, an einer Person hoch und runterklettern, das ist für mich auch eine ganz neue Erfahrung."

In seinem früheren Leben hatte es Christoph Wetzel weder mit Kirchenmalerei noch mit Eierbrei in venezianischem Rot zu tun. Christoph Wetzel malte am liebsten Porträts seiner Mitmenschen. In Öl. Aus seinem Atelier in der Kunsthochschule schaute er direkt auf die Ruine der Frauenkirche. Ein schwarzer Steinhaufen, ein bizarres Mauerstück und die Klänge der alten, im Bombeninferno verglühten Silbermann-Orgel der Frauenkirche, die man auf alten Tonbändern gefunden hatte, waren das einzige, was den Dresdnern von der barocken Frauenkirche geblieben war. Wie viele andere Künstler auch, versuchte Christoph Wetzel mehr als einmal die Ruine zu malen.

Wetzel: "Als ich die Bilder der Frauenkirche gemalt habe, ein zweites Anfang der neunziger Jahre, auch da hatte ich mich mit keinem Gedanken beschäftigt, dass ich da jemals oben stehen würde um die Kuppelgemälde nachzuempfinden. Da bin ich ja fast aus Versehen reingerutscht in diese Bewerbungsschleifen."

Das "Versehen" hatte einen triftigen Grund: Christoph Wetzel gilt als einer der besten Kopisten von Barock-Malerei. Oft saß er wochenlang in der Gemäldegalerie "Alte Meister" im Dresdner Zwinger und kopierte detailgetreu die Maler des Barock.

Wetzel: "Seit meinem Studium ist das meine eigentliche Akademie gewesen. Ich hatte interessante Lehrer, aber die eigentlichen Lehrmeister sind alle schon tot. Das sind alles 200, 300 Jahre alte Gemälde. Und das ist ein solcher Reichtum, wenn ich bedenke, dass die Fähigkeit, Seele aus so einem Bildnis herauszulösen, nach wie vor steht. Und das ist auch das, was die Leute an den alten Meistern so bewundern. Ganz individuelles, menschliches, warmes, atmendes Leben einfühlsam rüberzubringen, wirklich Seele aus einem Bild herauszulösen, das sind ganz wichtige Dinge für mich. Und von daher ist selbst bei einer Kopie nicht nur die Beschäftigung mit der Technologie wichtig, sondern auch wirklich mit der Geisteshaltung eines Vorgängers, eines alten Meisters."

Wie war denn die Geisteshaltung des Meisters, der einst, im Jahre 1734, die Kuppel von George Bährs Frauenkirche ausmalte und von dessen Werk der Feuersturm der Bombennacht nicht ein Krümelchen übrig ließ, um es zu studieren? Wie hatte dieser Giovanni Battista Groni, zu Deutsch Grone, ein Theatermaler aus Venedig, wirklich gemalt?
Alles, was von den Deckengemälden übrig geblieben war, das waren Dias aus dem Jahr 1944 - denn ein Jahr vor der Zerstörung war die Frauenkirche umfangreich restauriert worden. Doch die alten Dias waren sehr farbstichig - und außerdem zeigten sie keineswegs mehr das Original, sondern kartoffelnasige Evangelisten.

Wetzel: "Es gab ja Übermalungen aus den 30er und 40er Jahren, weil die Gemälde stark beschädigt waren. Und da ist so viel Aktuelles, Fremdes, so viel vom Zeitgeschmack mit rein gekommen, dass vom Barock gar nicht mehr viel übrig geblieben ist - außer den Umrissen. Und die Schwierigkeit, zu sagen, jetzt bist du auf einmal Archäologe, hier bist du mitten in der Forschung drin, hier malst du nicht irgendwas ab. Ich setze mich in die Gemäldegalerie "Alte Meister" und kopiere ein Gemälde, das ist toll, das ist schwer und es möchte eins zu eins sein. Bloß dort ist Blindflug angesagt. Da können Sie manchmal nur die Augen zumachen und sagen: Wie stelle ich es mir im Geiste vor, wie nähere ich mich an? "

Das einzige erhaltene Deckengemälde von Grone befindet sich im Schloss Hubertusburg im sächsischen Wermsdorf. Dort konnte Christoph Wetzel den leichten Pinselstrich, die luftige Farbigkeit des Italieners studieren. Doch so richtig vergleichen ließen sich die beiden Gemälde nicht - das eine weltlich, freizügig, fast schon rokokohaft, der Schmuck eines Schlosses, das andere ein religiöses Gemälde der vier Evangelisten und der vier christlichen Tugenden. "

Es ist ja auch interessant, dass es Dinge gibt im Kirchenbau, da prallt alle moderne High-Tech gnadenlos ab. Alles, was Sie sich vorstellen können an Tricks und Raffinesse, all das bricht zusammen, weil Sie es mit einer doppelt verwölbten Fläche zu tun haben. Und eine doppelt verwölbte Fläche heißt, Sie haben, wo Sie auch stehen, immer Verzerrungen. "

Und weil keine noch so ausgefeilte High-Tech-Projektion den Entwurf ohne Verzerrungen vergrößert an die Kirchenkuppel zaubern kann, hieß es: Malen nach Zahlen. Wetzel überspannte seinen Entwurf mit einem Quadratnetz aus Zwirnsfäden und übertrug es Punkt für Punkt auf ein vergrößertes Netz, das auf Packpapier lag. Entlang der Konturen wurden kleine Löcher in das Packpapier gepiekt, das Papier in die Kirchenkuppel gepresst und mit Kohlestaub die Konturen an die Wand gepudert.

Wetzel: "Und dann haben Sie, wenn Sie das Papier runter nehmen, die Konturen und eine Groborientierung. Aber auch da müssen ja die einzelnen Packpapierbahnen - wenn ich sie jetzt Stoß an Stoß lege, verzerrt das auch wieder! Da müssen Sie irgendwann so balancieren, da fängt wirklich die Intuition an. Hier musst du tief Luft holen und mal von unten gucken. Es ist ohne Ende mit Schwierigkeiten gespickt gewesen. Und ich darf auch nicht vergessen, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Kirche ausgemalt. Also, da werde ich Gott danken, wenn das alles überstanden ist."

Wetzel: "Viele sagen: Du machst dir ein Denkmal für die Ewigkeit. Aber die Verantwortung, die gleichzeitig dabei ist! Natürlich hat es viele Malergenerationen gegeben, die so einen gigantischen Auftrag nie bekommen haben. Ich bin mir dessen bewusst, dass das ‘ne Riesen-Auszeichnung ist und Ehre. Aber es ist eine unglaubliche Verantwortung, auch für die Technologie und die Haltbarkeit. Und auch dafür, dass natürlich die ganze Welt draufschaut und irgendwann möchte man dann der Fachkritik von ich weiß nicht wie vielen hunderten Kunstwissenschaftlern standhalten."

Wenn irgendwann in naher Zukunft die Werkzeuge eingepackt sind, wenn der letzte Pinselstrich, die letzte Korrektur am Gewand des Lukas getan ist, wenn die Farben der gesamten Kirche ihren Klang haben werden die neue Orgel den ihren, dann wird Christoph Wetzel seine Pinsel einpacken, das viel zu reichlich eingekaufte "Terra potsuoli" und "Caput mortuum", das noch für vier Frauenkirchen reichen würde, in seinem Atelier aufstapeln und sich vor seine Staffelei setzen und Porträts seiner Mitmenschen malen.

Wetzel: "Da werde ich aber froh, sein, wenn ich wieder was Lebendiges vor mir habe und meine eigentlichen Bilder malen kann. Und was mir sehr am Herzen liegt, dass ich in späterer Zeit nicht ständig darauf angesprochen werde: Ach, Sie sind der Maler, der die Kuppel der Frauenkirche ausgemalt hat! Denn mein Gewicht, das ich in die Waagschale der Kunstszene zu legen habe, das sind meine Menschenbilder."

Christoph Wetzel verlässt die Baustelle, um heute Abend, wenn alles ruhig ist, wiederzukommen und weiterzumalen - am "Glauben", einer Frauengestalt in ultramarinblau und meergrün. In dieser Frauenkirche, die er eigentlich schon auf ewig als Ruine sah und für deren Auferstehung er gemeinsam mit vielen Hunderten Bauleuten, Wissenschaftlern, Restauratoren und Kunsthandwerkern jetzt mit sorgt.

Wetzel: "Wenn aus der Pracht, der überbordenden, barocken Pracht eine Eitelkeit würde, ich glaube, dann hätten wir was falsch gemacht. Und wenn die Touristen kommen und sagen: "What a nice church", dann Gnade uns."