"Ich bin froh, wenn das vorbei ist"

Moderation: Birgit Kolkmann · 07.06.2007
Der SPD-Sicherheitspolitiker Norbert Nieszery hat die zurückhaltende Polizeistrategie zum G8-Gipfelauftakt am Mittwoch gelobt und sich gegen härtere Strafen für Steinewerfer ausgesprochen. Die Blockaden der Zufahrtswege durch die Demonstranten seien ertragbar, sagte der Innenausschussvorsitzende des Landtags in Mecklenburg-Vorpommern.
Birgit Kolkmann: Mehr als 1000 Menschen sind seit Samstag bei den Anti-G8-Protesten verletzt worden, und auch gestern gab es wieder gewalttätige Auseinandersetzungen, Steinwürfe und über 100 Festnahmen. Viele Demonstranten hatten die Polizei überrumpelt. Mit Fünf-Finger-Taktik und in bunten Kostümen drangen sie vor in die Sicherheitszone, einige wenige sogar bis zum umstrittenen Zaun. Der wurde ebenso beschädigt wie das Sicherheitsnetz vor der Küste. In der Nacht blieb es ruhig. Die Polizei duldete, dass etwa 2000 G8-Gegner in der Sicherheitszone übernachteten. Über die Wirksamkeit der Polizeistrategie wird noch weiter diskutiert. Wir sprechen jetzt mit dem sicherheitspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion und dem Vorsitzenden des Innenausschusses im Schweriner Landtag. Guten Morgen, Norbert Nieszery.

Norbert Nieszery: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Nieszery, Sie waren mehrere Jahre Polizist beim Bundesgrenzschutz. Wie würden Sie den Demonstranten begegnen?

Nieszery: Ich würde es nicht wesentlich anders machen, als die Polizei es bisher getan hat. Ich denke, die Ausschreitungen in Rostock müssen aufgearbeitet werden, aber im Prinzip leisten die Kräfte vor Ort dort hervorragende Arbeit.

Kolkmann: Es ist einer der größten Einsätze der Polizei, trotzdem hat man den Eindruck, dass sie dem Einfallsreichtum der Protestierenden nicht ganz gewachsen ist.

Nieszery: Die Protestierer sind phantasievoll, aber letztendlich verfolgen sie auch ein Ziel, für dass es sich lohnt ein bisschen phantasievoll zu agieren. Und die Polizei ist vielleicht auch ganz gut beraten, sie in der einen oder anderen Weise auch mal ziehen zu lassen, so wie Sie das eben in der Anmoderation auch gesagt haben, dass dort gestattet wurde, dass mehrere tausend Demonstranten auch in der Sperrzone übernachten durften. Das ist Teil der Deeskalationsstrategie, und das ist ausdrücklich zu begrüßen aus meiner Sicht.

Kolkmann: Zeigt das auch, dass diese doch sehr große Sicherheitszone noch vor dem Zaun doch sehr, sehr großzügig bemessen ist und man sich diese Großzügigkeit deswegen auch leisten kann?

Nieszery: Sie ist sehr großzügig bemessen, und ich denke, das hat auch durchaus taktischen Grund gehabt. Und ich denke, es hat sich auch bewährt, dass das so gemacht wurde, dass man kanalisieren kann.

Kolkmann: Der SPD-Politiker Johannes Kahrs hat härtere Strafen gegen Steinewerfer gefordert. Er sagte, dass sei versuchter Mord und so müsste man auch dagegen vorgehen. Es sei praktisch eine Gewaltorgie der Autonomen. Das klingt sehr extrem.

Nieszery: Das ist ausgesprochen extrem. Ich teile seine Meinung ausdrücklich nicht. Ich denke schon, dass diese Leute, die als Gewalttäter in Erscheinung getreten sind, auch angemessen bestraft werden müssen. Es sind harte Haftstrafen ausgesprochen worden, zehn Monate in diesen Schnellverfahren teilweise, und ich denke, das hat auch abschreckende Wirkung und ist ausgesprochen ausreichend. Ich würde dringend dazu raten, dass sich diese selbst berufenen Sicherheitsexperten ein wenig zurücknehmen und erst mal abwarten, dass der Einsatz zu Ende geführt wird.

Kolkmann: Nun kann man über Großzügigkeit sprechen, wenn Demonstranten in der Sicherheitszone übernachten dürfen. Trotzdem, wenn man schaut, gestern war ja die Blockade aus Sicht der Demonstranten durchaus erfolgreich, denn Heiligendamm war ja auf dem Landweg über Stunden nicht zu erreichen. Vor allen Dingen für die Journalisten, die Schmalspurbahn Molli war blockiert, und die Journalisten mussten mit Schiffen transportiert werden. Ist das nicht eine große Niederlage trotz allem für die Polizei?

Nieszery: Ich sehe das differenziert. Ich glaube schon, dass eine Blockade von Straßen und auch die Molli-Bahn, die dort blockiert wurde – mein Gott, das kann man sicherlich aushalten. Die Leute, die dort gesessen haben, haben keine Gewalttaten begangen. Sie haben auf ihre Probleme und auf ihre Ansichten aufmerksam gemacht durch spezielle Aktionen, aber sie sind ja nicht gewalttätig geworden in dem Sinne. Und wenn ein Journalist statt der Molli mal mit dem Schiff von Königsborn nach Heiligendamm gefahren wird, ist das doch auch mal abwechslungsreich. Also man sollte das immer gelassen sehen und Ruhe bewahren. Ich denke, wichtig ist, dass es hier nicht zu extremen Ausschreitungen kommt.

Kolkmann: Es wurde sicherlich im Vorfeld im mecklenburgischen Landtag darüber diskutiert, wie man die Sicherheitsstrategie organisiert, ob man zuviel des Guten plant oder eher nicht. Wie war da die Lage allgemein, dass man doch eher ein bisschen mehr plant?

Nieszery: Die Sicherheitsplanungen sind ja nicht nur vom Land gemacht worden, sondern in Zusammenarbeit mit dem Bund und mit den Teilnehmerländern des G8-Gipfels. Da ist eine vielfältige Sicherheitslage aufgestellt worden, und bei der Sicherheitsberatung ist der Landtag im Prinzip gar nicht eingebunden worden. Wir sind letztendlich nur daran beteiligt gewesen, den Haushalt dementsprechend abzusichern, dass wir auch diese Kräfte einsetzen können.

Kolkmann: Das heißt, Sie müssen bezahlen.

Nieszery: Ja, den größten Teil müssen wir sicherlich bezahlen. Das ist so, ja.

Kolkmann: Und auch den größten Teil der Polizisten stellen?

Nieszery: Nein, den größten Teil an Polizisten können wir gar nicht stellen, weil wir eine relativ kleine Landespolizei haben. Der größte Teil der Polizisten kommt aus anderen Bundesländern und auch vom Bund.

Kolkmann: Sie waren selber lange Jahre, hatte ich schon eingangs gesagt, beim Bundesgrenzschutz. Wie sind denn die Polizisten darauf vorbereitet worden, auch dort zusammenzuarbeiten?

Nieszery: Da hat es sicherlich im Vorfeld auch Absprachen gegeben und auch sicherlich gemeinsame Übungen. Ich weiß das von hier, also von unserer Landespolizei, die haben sich sehr gut darauf vorbereitet, weil auch viele Bedienstete aus den Revieren jetzt in die geschlossenen Einheiten mussten. Und die sind gut vorbereitet worden, auch in Übungen und so weiter. Die Abstimmung hat auf Führungsebene sicherlich auch stattgefunden.

Kolkmann: Nun liegt ja das Tagungshotel direkt am Meer. Das ist ja ein gewisser Vorteil, weil man vom Meer her relativ gut bewachen kann. Aber da scheinen sich ja auch Lücken eingestellt zu haben. In dem Sicherheitszaun, der im Wasser gespannt ist, soll es Löcher geben. Die "Bild"-Zeitung titelt da schon, Terroralarm bei Gipfel.

Nieszery: Die Bildzeitung nehme ich grundsätzlich nicht ernst. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Ob da nun jemand Löcher in das Netz reingeschnitten hat, das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht. Mir fehlt auch dieser Hinweis. Ich stehe zwar ständig in Kontakt mit dem Innenminister und Sicherheitskräften, aber das hat mir bisher noch keiner erzählt, dass da massive Sicherheitsbedrohungen von Seeseite stattfinden sollen. Das ist mir nicht bekannt.

Kolkmann: Gehen Sie davon aus, dass es noch Auseinandersetzungen geben wird in den kommen Tagen?

Nieszery: Ich denke schon, dass es Auseinandersetzungen geben wird. Ich hoffe, dass die größtenteils friedlich verlaufen werden. Aber bei solchen großen Demonstrationen ist es manchmal auch nicht zu vermeiden, dass hin und wieder mal ein paar kleine Rangeleien auftreten. Ich hoffe vor allen Dingen, dass das Konzert heute glimpflich über die Bühne geht, denn dort treffen sich 70.000 bis 80.000 Menschen in Rostock. Und ich kann nur wirklich an alle appellieren, sich zusammenzureißen, friedlichen Protest zu äußern und dann auch wieder nach dem Konzert vernünftig und ruhig nach Hause zu fahren.

Kolkmann: Das Public Viewing am Strand ist allerdings abgesagt worden. Wäre das eine zu riskante Veranstaltung geworden, also die Übertragung auf große Leinwände?

Nieszery: Das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht, also da bin ich nicht eingebunden in diese Entscheidung.

Kolkmann: Sind Sie froh, wenn das Ganze vorbei ist?

Nieszery: Ich bin froh, wenn das vorbei ist, ja. Das ist schon der größte Einsatz, den wir je gehabt haben von der Polizei hier in Deutschland und in unserem Bundesland, und ich bin eigentlich wirklich froh, wenn es vorbei ist und vor allem, wenn es friedlich vorbei gegangen ist.

Kolkmann: Das war Norbert Nieszery, der sicherheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im mecklenburg-vorpommerschen Landtag und Vorsitzender des Innenausschusses im Schweriner Landtag.