Hochschulpolitik

"Unaufgeklärter und vormoderner Föderalismus"

Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
Überfüllter Hörsaal Uni Tübingen © picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel
Moderation: Julius Stucke · 20.05.2014
Der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, fordert die Aufhebung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern bei der Bildung. Vor dem Hintergrund eines gemeinsamen entsprechenden Appells der Wissenschaftsorganisationen übt Olbertz deutliche Kritik an der Politik.
Julius Stucke: Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft, Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg, Bildung ist der Schlüssel zu mehr Wohlstand für alle, Bildung ist der Schlüssel zu Integration. Politisches Standardrepertoire, und wow, für was Bildung alles ein Schlüssel sein kann! Es sind Sätze, die kaum einer verneinen mag, vermutlich sagen Politiker sie deshalb so gerne. Aber wer schon mal den Schlüsseldienst zu Hause hatte, weiß: Gute Schlüssel gibt es nicht zum Nulltarif. Die große Koalition will viel Geld in Bildung investieren, aber es passiert nichts, klagen Wissenschaftler. Guten Morgen, Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin!
Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen, Herr Stucke, ich grüße Sie!
Stucke: Herr Olbertz, die Politik dürfe die Zukunft des Wissenschaftssystems nicht aufs Spiel setzen, das mahnten gestern die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat gemeinsam. Heute gehen - mal wieder, muss man sagen - bundesweit Studierende zum Aktionstag auf die Straßen. Teilen Sie die Kritik, die Politik setzt die Zukunft aufs Spiel?
Olbertz: Ja, ich teile die voll und ganz. Und es läuft uns auch die Zeit davon. Für die großen Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern zur Bildungs- und Wissenschaftsförderung, die laufen aus in den nächsten überschaubaren Jahren, teilweise sogar Monaten und es gibt keine Nachfolgeidee sondern nur ein archaisches Gezerre zwischen Bund und Ländern über die Zukunft der Bildungsfinanzierung. Ich kann diesen Appell der führenden Forschungsorganisationen nur ganz dick unterstreichen und trage den mit.
"Weder eine stolze Haltung, noch ein effektives Vorgehen"
Stucke: Wie schlecht ist denn die Situation der Hochschulen?
Olbertz: Ja, sie ist insofern schlecht, als es für diese Initiativen, die ich ansprach - Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzinitiative - überhaupt keine Nachhaltigkeit gibt. Das heißt, es läuft aus und wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Das hat ja auch zum Hintergrund, dass das, was man als Ziel vor Augen hatte, nämlich strukturbildend wirksam zu werden, also das Forschungssystem stärker auf die Spitzenforschung hin umzubauen, dass diese strukturbildenden Effekte sich gar nicht konsolidieren können, wenn plötzlich das Licht ausgeht. Das heißt, wir können nicht planen, wir können keine längerfristigen Projekte in Angriff nehmen, sondern müssen sehen, wie wir mit einer äußerst bescheidenen Grundfinanzierung versuchen, irgendwie über Wasser zu bleiben. Das ist ja weder eine stolze Haltung, noch ein effektives Vorgehen. Zugleich sind wir aber in einem harten, auch internationalen Wettbewerb. Und so ein Moratorium, so eine Lähmungszeit können wir uns überhaupt gar nicht leisten.
Stucke: Also wenig zu spüren von der Bildungsrepublik Deutschland, die die Bundeskanzlerin ja mal ausgerufen hatte. Ich habe es vorhin gesagt, die Bundesregierung will viel Geld investieren - sechs Milliarden Euro zusätzlich für Kitas und Hochschulen, drei Milliarden für die Forschung -, das Versprechen ist also groß, das Problem ist: Im Weg steht das sogenannte Kooperationsverbot. Also, der Bund darf nicht Geld geben für die Länder, weil Bildung Ländersache ist. Muss dieses Kooperationsverbot weg?
Olbertz: Ja, unbedingt! Ich fordere das ja seit Jahren und keineswegs alleine. Eigentlich müsste man noch viel offensiver herangehen und sagen, wir brauchen ein Kooperationsgebot. Denn Bildung und Wissenschaft sind nationale Aufgaben und die kann man auch nur in einem nationalen Schulterschluss zwischen Bund und Ländern wahrnehmen. Die Länder alleine können es nicht und der Bund auch nicht, und da brauchen wir ein ganz neues System der Bund-Länder-Finanzierung, ohne dieses aberwitzige Kooperationsverbot. Kann man übrigens niemandem erklären, es lässt sich nicht übersetzen, es lässt sich im Ausland niemandem erläutern, was wir hier in Deutschland überhaupt für ein Problem haben bei der Organisation der Bildung.
"Man braucht nur ein bisschen Initiative und Fantasie"
Stucke: Es gibt ja aber trotzdem auch noch einige, wenn auch vielleicht wenige Befürworter dieses Verbots. Bundesländer zum Teil, die sich einfach nicht in ihre Hochschulfinanzierung reinreden lassen wollen und die die Sorge haben, wenn der Bund Geld gibt, dann gibt er eben nicht nur Geld, sondern dann steuert er demnächst auch unsere Bildung. Und das wollen nicht alle. Was sagen Sie denn zu der Kritik?
Olbertz: Für mich ist das ein unaufgeklärter und vormoderner Föderalismus, der damit verfolgt wird. Nehmen Sie mal die Universitäten: Sie können einfach nicht regional finanzierte Universitäten in einen internationalen Wettbewerb stecken, das geht gar nicht, so viel Geld ist nicht da und die einzelnen Länder können es ja auch nicht. Und ich finde auch, dass der Versuch, die eigenen Ausgaben für die Bildung zu minimieren, das Gegenteil von der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben ist. Im Moment schielen die Länder auf den Bund und hoffen, dass er ihnen die wesentlichen Ausgaben abnimmt, zugleich wollen sie aber die Autonomie wahren über die Bildung. Das passt doch nicht zusammen. Also, wenn, dann muss man eine couragierte Haltung einnehmen und Prioritäten setzen, oder aber den Schulterschluss mit dem Bund suchen. Nur, beides nicht zu tun, kann eigentlich gar nicht gut gehen.
Stucke: Sie waren als Kultusminister in Sachsen-Anhalt einige Jahre selber für die Bildung zuständig, kennen die politische Seite aus der Praxis. Hätten Sie auf dieser Länderseite nicht doch ein bisschen Sorge vor der vollständigen Aufhebung dieses Kooperationsverbotes?
Olbertz: Habe ich überhaupt nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass man im Grundgesetz eine Passage entwickelt, die die Ländergemeinschaft als verbindliches Handlungssubjekt verankert, das heißt also, die Länder als Gemeinschaft verpflichtet, sich zu einigen und ihre Ressourcen zusammenzulegen. Das wäre dann eben gerade kein Zentralstaat, vor dem alle ein bisschen Angst haben, sondern eine verantwortliche, durch das Grundgesetz gebundene Ländergemeinschaft, die für Bildung und Wissenschaft zuständig ist und diese Verantwortung auch wahrnimmt. Möglich ist das, man braucht nur ein bisschen Initiative und Fantasie. Und genau das vermisse ich in der Politik im Moment total.
"Die Katze dreht sich im Kreise"
Stucke: Das wäre allerdings ein Vorschlag, der ähnlich wie ein Ende des Kooperationsverbots nicht mal eben schnell kommen kann, weil Grundgesetzänderung notwendig ist. Was wäre denn eine Möglichkeit, um jetzt sofort den Universitäten, den Hochschulen zu helfen?
Olbertz: Ja, das weiß ich nicht, ob es eine Möglichkeit ohne Aufhebung des Kooperationsverbotes wirklich gibt. Wir müssen eine Einigung wenigstens herbeiführen über die sogenannten Overheads, das heißt, über die Infrastrukturkostenpauschalen, die an allen Drittmittelprojekten ja dranhängen, die bezahlt im Moment der Bund alleine und das hat der Rechnungshof beanstandet. Das heißt also, wenn die Länder einen Teil dieser Begleitsummen für Drittmittelprojekte übernehmen würden, müssten sie in ihren Haushalten dafür Geld einstellen. Das können sie aber nicht angesichts von Schuldenbremse und Neuverschuldungsverbot. Das heißt, die Katze dreht sich im Kreise oder beißt sich selber in den Schwanz. Insofern glaube ich nicht, dass es eine vernünftige und dauerhafte Lösung gibt, ohne diese Grundgesetzpassage zu ändern.
Stucke: Sagt Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Herr Olbertz, einen schönen Tag und ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Olbertz: Ich danke Ihnen auch, bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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