Hitler mal zwei

12.02.2008
Der französische Bestsellerautor Eric-Emmanuel Schmitt wurde mit dem Buch "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" international bekannt. In seinem neuen Werk entspinnt er zwei Geschichten um eine ganz andere Hauptfigur. Er erzählt abwechselnd von Adolf H. und von Hitler - in der Variante als angenommener und in der als abgelehnter Kunststudent.
Es nützt nichts, von Seite zu Seite wird einem die Gesellschaft dieses Romanhelden unangenehmer. Ausgerechnet Adolf Hitler steht im Mittelpunkt des jüngsten Werkes von Eric-Emmanuel Schmitt, dem weltweit erfolgreichen Bestsellerautor. Nach Jesus, mit dem er sich im "Evangelium nach Pilatus" beschäftigt hatte, wendet sich der 1960 in St.-Foy-les-Lyon geborene Schriftsteller nun Hitler zu. Er wolle die "Versuchung des Bösen" erforschen, erklärt er sein Ansinnen in einem dem Roman angefügten Arbeitsjournal. Der Ausgangspunkt seiner Recherche ist die Idee, dass Hitlers Leben anders verlaufen wäre, wenn er von der Wiener Kunstakademie nicht abgelehnt worden wäre.

Parallel entspinnt Schmitt zwei Geschichten um dieselbe Hauptfigur herum und erzählt abwechselnd von Adolf H. und von Hitler, einmal in der Variante als angenommener Kunststudent und einmal in der Variante als abgelehnter Kunststudent. Die beiden Erzählebenen sind nur durch Absätze voneinander getrennt, motivisch dicht verwoben und schreiten auch zeitlich im Gleichmaß fort. Das Ganze nimmt in Wien seinen Ausgang.

Durch die Annahme zum Studium selbstsicherer geworden, besucht der Adolf H. die Malklassen der Akademie und schließt Bekanntschaft mit einigen Kommilitonen. Nach kurzer Zeit stellt sich allerdings ein Problem ein: sobald ein weibliches Aktmodell den Bademantel lüftet, fällt Adolf in Ohnmacht. In seiner Not konsultiert er seinen Hausarzt, dieser schickt ihn in die Berggasse 19 zu einem gewissen Doktor Freud, der Hitler mit wenigen Sitzungen von seiner Traumatisierung durch den gewalttätigen Vater befreit.

Nun erobert der Kunststudent die Frauenwelt. 1914 wird er an die französische Front einberufen und erlebt das Grauen des Krieges, fühlt sich aber inmitten seiner Freunde geborgen. Nach dem Krieg wird er ein erfolgreicher Maler, siedelt nach Paris über, findet seine große Liebe und verliert sie wieder und zieht schließlich nach Berlin um, wo er mit seiner jüdischen Frau eine Familie gründet, den Krieg durchsteht und schließlich einen ruhigen Lebensabend in den USA verbringt.

Das frühe Erwachsenenalter des zweiten Hitler verläuft ungleich trübsinniger. Durch die Ablehnung der Akademie wird er in ein Dasein als billiger Kunstmaler gedrängt, der Postkarten abpaust und an Passanten zu verscherbeln versucht. Sein Alltag besteht aus schäbigen Pensionszimmern und zwielichtigen Bekanntschaften, bis auch er an der französischen Front landet.

Die Bedrohung versetzt ihm einen Vitalitätsschub. Nach einem Gasangriff zeitweise erblindet, gerät er in die Behandlung eines jungen Arztes, der mit Hypnose experimentiert und dem Patienten folgendes suggeriert:

"Adolf Hitler, Deutschland braucht Sie. Deutschland ist krank, wie Sie. Es muss gesund werden, wie Sie. (…) Große Aufgaben warten auf Sie, eine Welt muss wiederaufgebaut werden, Ihr Leben muss vollendet werden".

In quälender Ausführlichkeit – der Roman hat immerhin knapp 500 Seiten – folgen die hinlänglich bekannten Stationen von Hitlers Aufstieg als Diktator: München, Berlin, die Wolfsschanze, der Russlandfeldzug, der Einmarsch der Russen nach Berlin und sein Selbstmord.

Eric-Emmanuel Schmitt ist von einem missionarischen Geist durchdrungen und hat auch mit seinem neuen Buch nur das Beste im Sinn. Er will aufklären, warnen, den Ursprung des Bösen ertasten. Das mag ihm niemand absprechen, nur sollte er sich auch literarisch seines Gegenstandes würdig beweisen.

Und genau daran hapert es. Schmitts Roman ist der Versuch, mit Hilfe einer Entwicklungsgeschichte Antworten auf die Frage zu geben, wie ein Mensch zu dem wird, was er ist. Schmitt geht von der Gewöhnlichkeit des Hitlerschen Charakters aus und variiert damit die These von der Banalität des Bösen, die Hannah Arendt in der Auseinandersetzung mit Adolf Eichmann geprägt hat. So wie Schmitt es darstellt, wurde der böse Hitler aus Hass, Enttäuschung, Ablehnung und Demütigung geboren. Ein Problem ist die Verharmlosung Hitlers: Bei Schmitt wirkt der Diktator mitunter beinahe niedlich oder Mitleid erregend.

Dass er den Ursprung seines Größenwahns mit den Kränkungen seiner Jugend erklärt, ihm ein sexuelles Problem anhängt und seine Berufung ausgerechnet auf die Behandlung eines Hypnotiseurs zurückführt, ist eher billig. Darüber hinaus verfällt der Autor oft in eine biedere Küchenpsychologie, und mitunter schleicht sich ein schwer erträgliches Pathos ein. Zum Beispiel wenn der schwer verwundete, gute Hitler von einer Krankenschwester gerettet wird:

"Sie war rot geworden wie eine Frischvermählte. Sie ergriff seine auf den Laken liegende Hand und drückte sie voll Kraft. "Ich bin glücklich, bei Ihnen zu sein". "Ist das ein Gebet?" "Ja. Man muss sich auf das Glück konzentrieren. Die Dunkelheit beiseite schieben und Licht finden." "Ich habe Schmerzen. Ich habe Angst. Ich sehe nichts." "Doch. Es gibt immer Licht. Was ist für Sie in diesem Augenblick jetzt das Glück?" "Sie sind es". "Na, sehen Sie. Und was noch?". "Sie. Ihre Hände. Ihr Lächeln".

Besonders prekär wird es, wenn Schmitt Hitlers rhetorisches Talent als eine Art Begattung mit dem Publikum inszeniert. Das klingt dann folgendermaßen:

"Hitler beginnt, die Menge erschaudern zu lassen. Sie applaudiert. Sie will genommen sein. Er facht sie an, lässt sich machen, hält sie zurück, drückt seinen Mund auf den ihren, um sie am Schreien zu hindern. Rein und raus, er hält sich zurück, er nimmt den Knebel ab: Sie frohlockt (…) Rein. Er lässt nicht locker. Sie ist folgsam. Sie schreit. Er macht weiter. Sie stöhnt. Er wechselt den Rhythmus. Sie schnurrt und klagt zugleich. Er beschleunigt. Das Herz geht hoch. Sie kommt. (…) Er hat die Menge kommen lassen, aber er ist nicht gekommen. Er verachtet sie, weil sie so schnell gekommen ist, ohne dass er gekommen ist. In dieser Verachtung fühlt er sich überlegen."

Angesichts der Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes wirken derartige Szenen schlichtweg geschmacklos. Hitler wird zur Comicfigur.

Der Nationalsozialismus scheint in der französischen Literatur gerade Hochkonjunktur zu haben. Neben Schmitt hat sich auch Jonathan Littell, dessen Roman "Die Wohlgesinnten" über einen SS-Offizier in diesem Frühjahr auf Deutsch erscheint, dem Thema gewidmet. Der große Reiz, der von Hitler und seinen Chargen ausgeht, mag mit der versteckten Lust an den irrationalen Anteilen der deutschen Geschichte zusammenhängen. Littell war von der Kritik gefeiert worden und hatte zugleich für hitzige Diskussionen gesorgt. Ob die fiktionalen Explorationen auch historisch stimmig sind und literarisch tragfähig, scheint für die französischen Leser weniger entscheidend zu sein. Nazi-Grusel war schon immer für einen Skandal gut.

Rezensiert von Maike Albath

Eric-Emmanuel Schmitt, Adolf H. Zwei Leben.
Aus dem Französischen von Klaus Laabs.
Ammann Verlag Zürich 2008
509 Seiten.