Historischer Thriller

Als das Böse in die Welt kam

Auf dem Bild zu sehen ist das mit Verletzten und Toten übersäte Schlachtfeld von Gettysburg.
Amerikanischer Bürgerkrieg: Timothy O'Sulivan fotografierte im Juli 1863 das mit Verletzten und Toten übersäte Schlachtfeld von Gettysburg in Pennsylvania. Es war eine der blutigsten Schlachten auf dem Kontinent. © picture alliance / dpa / Timothy O'Sullivan
Von Thomas Wörttche · 24.07.2015
In seinem Thriller "Die sieben Leben des Arthur Bowmann" schickt der französische Autor Antonin Varenne einen Söldner und Killer auf einen Höllentrip in das Amerika des 19. Jahrhunderts - und erzählt gleichzeitig von den blutigen Anfängen des globalen Kapitalismus.
Arthur Bowman ist der härteste aller harten Sergeants der Ostindischen Kompanie, jener privaten Armee, die im 19. Jahrhundert die imperialistischen Handelsinteressen des Empire mit nackter Gewalt durchsetzt.
Auf einer Geheimmission in Burma wird er von lokalen Kriegern gefangengenommen und furchtbar gefoltert. Nach seiner Freilassung fristet er sein Dasein als Wachschutzmann der Kompanie im Londoner Hafen. Aus dem empathielosen Killer ist endgültig ein Wrack geworden, das sich nur noch im Suff und im Opiumrausch erträgt, total indolent und stumpf gegenüber der Welt.
Naturgewalten, Rassismus und Brutalität
Erst als ein Serial Killer sein Unwesen treibt, dessen Opfer die gleichen Foltermerkmale trägt wie der Körper von Bowman, und er selbst in Verdacht gerät, wird er aktiv. Er folgt dem Killer in die mittlerweile vom Bürgerkrieg geschüttelten USA. Ein Höllentrip quer durch den von Naturgewalten, Rassismus und Brutalität bestimmten Halbkontinent konfrontiert ihn immer mehr mit sich selbst.
Wie seine amerikanischen Kollegen James Carlos Blake oder Bruce Holbert legt der bei uns noch weithin unbekannte französische Kriminalschriftsteller Antonin Varenne mit "Die sieben Leben des Arthur Bowman" Hand an die Wurzeln der Gründungsnarrative der westlichen Gesellschaften.
Zu diesem Zweck kombiniert er Handlungselemente des Abenteuerromans, des historischen Romans, des Westerns und des Serial-Killer-Romans und dekonstruiert sie, indem er sie auf die hässlichen Realitäten des sich im 19. Jahrhundert formierenden globalen Kapitalismus prallen lässt. Die Wahl eines Anti-Helden, denn Bowman ist zu keiner Zeit eine irgendwie sympathische Figur, untersagt jede Art identifikatorischer Lektüre, dessen krasser Egoismus ihn deutlich als von den gesellschaftlichen Strömungen der Zeit geprägt, zeichnet.
Meisterstücke intensiver, wuchtiger Prosa
Der Vorschein des kleinen, privaten Glücks verzichtet bewusst auf eine politische Option. Der Loner, der einsame Reiter in finsterster Nacht, macht für sich das Beste aus dem großen Drama, dessen Teil er nun einmal ist. Und dafür geht er über Leichen, wie früher als Söldner im Interesse der Kompanie, beziehungsweise dessen Investoren.
Varenne kann eindrückliche Tablaux entwerfen, seine Schilderungen des "Big Stink" von 1858 – als eine Dürre in London das Leben unerträglich machte, weil die direkt in die Themse eingeleiteten Fäkalien nicht weggeschwemmt werden konnten – oder der grausamen, vernichtenden Kälte im Westen der USA sind Meisterstücke intensiver und wuchtiger Prosa. Ein paar Redundanzen und zähe, um sich selbst kreisende reflektierende Passagen dienen immerhin als Rezeptionsbarrieren gegen allzu gefällige Konsum-Lektüre.
Die kritische Kombination verschiedener populärer Erzählmuster respektive Genres verweist dabei sehr deutlich auf deren gemeinsames Groß-Thema: Auf die Gewalt, auf denen die "westlichen Werte" auch basieren, die aber in der "Normalausprägung" dieser Muster unhinterfragter Teil einer Heldensaga wird. Dass dabei auch die Entmystifikation des "Bösen", das vor allem in den meisten Serial-Killer-Narrativen als kontextlos und insofern auch als innerhalb des Systems bekämpfbar dargestellt wird, sozusagen beiläufig passiert - das gehört zu den großen Vorzügen eines originellen Romans.
Antonin Varenne: "Die sieben Leben des Arthur Bowman"Aus dem Französischen von Anne SpielmannC. Bertelsmann, München 2015559 Seiten, 22,99 Euro
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