Hilfe für minderjährige Flüchtlinge

Die Kinder sind total überfordert

Flüchtlingskinder aus Syrien in Potsdam
Flüchtlingskinder aus Syrien am 10.09.2015 in Potsdam (Brandenburg). © picture alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger
Ninja Charbonneau im Gespräch mit Oliver Thoma · 19.09.2015
Täglich kommen auch hunderte Kinder nach Deutschland, zum Teil ohne Eltern. In den Notunterkünften würden sie neben all den Erwachsenen oft übersehen, sagt Ninja Charbonneau von Unicef. Auf ihre Bedürfnisse wie psychologische Betreuung werde zu wenig eingegangen.
Am 20. September ist der Weltkindertag der Vereinten Nationen. In diesem Jahr steht er vor allem auch im Zeichen der Flüchtlingsdebatte. So veranstalten am Sonntag das Deutsche Kinderhilfswerk und Unicef Deutschland unter dem Motto "Kinder willkommen!" zwei große Kinderfeste in Berlin und Köln. Damit soll auch auf die Rechte und Bedürfnisse von Kindern aufmerksam gemacht werden, die als Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen.
Über die aktuelle Situation der geflüchteten Kinder vor allem in Deutschland sprach Deutschlandradio Kultur mit Ninja Charbonneau, Pressesprecherin von Unicef Deutschland.
Zunächst sei es wichtig, dass die Kinder überhaupt wahrgenommen werden, sagte Ninja Charbonneau.
"Bisher spielen die Kinder unter den Flüchtlingen eigentlich in der politischen Diskussion kaum eine Rolle. Das heißt, wir müssen sie erst einmal sehen, wahrnehmen und ihnen besondere Aufmerksamkeit schenken. Denn auch Flüchtlingskinder sind natürlich in aller erster Linie Kinder und haben die gleichen Rechte wie alle Kinder und haben die gleichen Bedürfnisse."
So bräuchten sie kindgerechte Unterbringung, Spielmöglichkeiten, Zugang zu Bildung und medizinische Versorgung und darüber hinaus eine besondere Unterstützung. Kinder und Jugendliche seien in einer besonders schwierigen Lage, weil sie lange Fluchtwege hinter sich hätten und schwierige Erfahrungen aus ihren Heimatländern mitbringen würden. Deshalb bräuchten sie spezielle Angebote, so Charbonneau.
Aktuell ändere sich die Lage in den Flüchtlingslagern täglich, weil jeden Tag tausende Menschen in Deutschland ankommen und ihr Eindruck sei bisher:
"Dass Kindern zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, vielleicht auch ein Stückweit aus Überforderung heraus. Und dass die meisten Notunterkünfte genau das, was Kinder jetzt dringend brauchen, nämlich Stabilität und Halt, nicht bieten. Es gibt wenig Privatsphäre, es gibt sehr selten wirklich ausreichende Spielmöglichkeiten oder zumindest auch mal einen Raum und Angebote, wo Kinder wirklich Kind sein können."
Auf Dauer sind Strukturen notwendig
Es helfe zwar weiter und es sei sehr schön, dass viele Menschen sich engagieren und Kuscheltiere und Spielzeug spenden, aber das würde in der aktuellen Situation für die Kinder nicht reichen, betonte Charbonneau. Auf Dauer seien richtige Strukturen notwendig:
"Wenn wir in den Unterkünften sehen, dass Familien in Zelten untergebracht sind oder zu Hunderten in Turnhallen schlafen, dort überhaupt keine Möglichkeit haben, sich überhaupt einmal zurückzuziehen, dann ist das für alle Menschen schwierig. Aber das ist für Kinder oder gerade Teenager ja wirklich eine unzumutbare Situation und das darf auf Dauer so nicht sein."
Auch die medizinische Versorgung in den Flüchtlingseinrichtungen sei generell ein Problem, kritisierte Charbonneau. Zum Teil handele es sich um Basics, das Nötigste würde vor Ort behandelt, wenn überhaupt, so Charbonneau. So würde bisher auch zu wenig drauf geachtet, in welcher psychischen Verfassung die Kinder überhaupt seien.
"Das ist eine riesige Überforderung"
Oft würden Kinder und Jugendliche von ihren Familien auch alleine auf die Flucht geschickt und von Schleppern nach Europa gebracht, was für jedes Kind eine absolute Überforderung sei, sagte Charbonneau.
"Man muss sich jetzt auch einmal in die Situation der Familie reinversetzen. Das sind ja wahnsinnig schwierige Entscheidungen. Wie groß muss eigentlich die Verzweiflung sein von jemanden, von einer Familie, die sich von einem Kind trennt und alles auf eine Karte setzt sozusagen, in der Hoffnung, dass das Kind, der Jugendliche es schafft, diesen sehr gefährlichen Weg erst einmal zu überleben, und in der Fremde anzukommen und zurechtzukommen. Das ist eine riesige Herausforderung und natürlich auch Überforderung für die Kinder und Jugendlichen."
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