Hilfe für Flüchtlinge

Ein Tag im Schweriner Patenschaftsbüro

Ein Straßenschild an einer historischen Hausfassade in der Puschkinstraße in Schwerin, aufgenommen am 30.12.2011
Das Patenschaftsbüro befindet sich in Schwerin in der Puschkinstraße in bester Innenstadtlage. © imago/bonn-sequenz
Von Alexa Hennings · 27.02.2017
Patenschaftsbüros für Flüchtlinge in ganz Deutschland versuchen, die Einheimischen und die Neuankömmlinge zusammenzubringen. So auch in dem Treff in der Schweriner Puschkinstraße. Dort engagieren sich Heike Sobanski und der junge Syrer Hamoud Adghim.
Die Schweriner Puschkinstraße hat Innenstadtlage, wenn auch etwas randständig. Eine Einbahnstraße mit Holperpflaster, einigen Läden und Cafés. Nummer 35 tanzt etwas aus der Reihe: Keine Auslagen in den beiden Schaufenstern, stattdessen ein orange-grünes Plakat. "Soziale Dienste / Jugendhilfe" steht darauf. Wer hineinschaut, sieht eine Gruppe junger, dunkelhaariger Männer um einen langen Tisch sitzen, jeder hat Papiere vor sich. Die meisten Passanten gehen schnell vorbei. Eine Frau mit kurzgeschnittenen, grauen Haaren und dickem Pullover kommt aus der Tür.
"Ganz schön kalt heute ..."
Heike Sobanski zündet sich eine Zigarette an. "Wir sind Paten" steht über dem zweiten Schaufenster. Ein Projekt, das die Bundesfamilienministerin angeschoben hat. Im November war hier die Eröffnung, großer Bahnhof, Manuela Schwesig, die Schwerinerin, war natürlich auch da.
14 solcher Patenschaftsbüros gibt es inzwischen in ganz Deutschland. Träger ist die Diakonie und der Bund der Muslime. Das Ziel: Patenschaften zu vermitteln zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen.
"Wir suchen Schweriner mit ein bisschen Zeit und einem großen Herz, die versuchen, unseren Neuschwerinern den Start ins Leben so ein bisschen zu erleichtern. Wir hatten 150 Leute hier zur Eröffnung, drin ging gar nichts mehr und hier draußen mussten die Autos zeitweise stehen bleiben."

Jeden Tag suchen Menschen Hilfe

Die Aufregung hat sich längst gelegt. Dass es ruhig geworden ist, kann man trotzdem nicht sagen. Jeden Tag kommen Flüchtlinge, die etwas nicht verstehen in ihrem neuen Leben und Hilfe suchen: Papiere vom Jobcenter, Rechnungen, ein Brief von der Schule, Arzttermine, Bewerbungsschreiben, Vorsorgepass für die Kinder - hier bei Heike Sobanski und ihrem Kollegen Hamoud Aldghim läuft alles auf.
Heike Sobanski: "Da haben wir dann auch schon die tollsten Sachen erlebt. Da kam hier eine Mutti, hatte noch keinen Deutschkurs. Hat sich eine Monatskarte gekauft, hat sie auch entwertet und hat dann von ihrem Ausweis die Buchstaben abgemalt. Ach, zehn Minuten später kommen die Kontrolleure, sehen, dass der eine Buchstabe falsch geschrieben ist und ziehen natürlich die Karte ein. Sie wusste sich aber zu helfen, kam hierher und ich habe mir das angeguckt.
Am anderen Morgen habe ich da angerufen. Ich sag: Leute, man kann päpstlicher sein als der Papst. Die Frau hat noch keinen Deutschkurs, die ist beigegangen und hat mit größter Anstrengung die Buchstaben von ihrem Ausweis abgemalt! Ich sag, ich weiß, ihr habt Kulanz. Ich habe nämlich selber mal als Kontrolleur gearbeitet. Na ja, sie durfte dann hinkommen, sie hat die Monatskarte dann abgeholt und brauchte auch nichts zu bezahlen."
Heike Sobanski hat schon einiges gemacht in ihre Leben, sie ist gelernte Rinderzüchterin, machte Weiterbildungen zur Sicherheitsfachkraft und Altenpflegerin. In den letzten Jahren musste sie von Hartz IV leben, weil sie wegen ihrer Krebserkrankung keine Arbeit mehr fand.
Sie suchte sich welche: Ehrenamtlich in der neu gegründeten Schweriner Bahnhofsmission. Als 2015 die Flüchtlinge kamen, strandeten sie zuerst dort. Heike Sobanski arbeitete sich ein in die Probleme, die Menschen haben, die mit nichts ankommen als ihrem Leben:
"Ich möchte wirklich nicht wissen, was so einige auf der Flucht erlebt haben, die sind - also einer unserer Dolmetscher ist bis in die Zehenspitzen traumatisiert. Der hat die Bombenangriffe erlebt und hat die Weißhelme gefilmt, wenn sie Leichen ausgebuddelt haben und hat das an die Weltpresse geschickt. Er wollte eigentlich bleiben, aber irgendwann, wie sie dann in Aleppo nur noch Kinder und Frauenleichen geborgen haben, hat sich bei ihm der Schalter umgelegt und er ist weg.
Und er war auch der erste Dolmetscher, der sich bei uns in der Bahnhofsmission gemeldet hat und gesagt hat, er will helfen. Die haben dann von Arabisch ins Englische übersetzt, damit war uns natürlich schon geholfen. Und wie er dann mitkriegte, dass ich einen Sohn in seinem Alter habe, 34, dann stand er da, kriegte das Grinsen von einem Ohr zum anderen und sagte: Okay, you my new German Mom."
So etwas wie die "New German Mom" ist Heike Sobanski auch für Hamoud Aldgihm. Der 27-Jährige kam vor anderthalb Jahren aus Syrien, sein Elektrotechnik-Studium musste er wegen des Krieges aufgeben. Aus Furcht, zum Militär zu müssen, machte er sich mit seinem Bruder auf die gefährliche Route über das Mittelmeer, Frau und Kind musste er zurücklassen. Erst vor wenigen Wochen durften sie auch nach Deutschland kommen.
Nach seinem Deutschkurs arbeitete Hamoud Aldgihm ehrenamtlich als Arabisch-Lehrer für Flüchtlingskinder, denn viele Eltern möchten, dass die Kinder auch in dem neuen Land die Muttersprache nicht vergessen und vor allem lesen und schreiben lernen.

Auch ein Welcome-Café und Vereine helfen

Zu seinen Schülern gehören auch einige Schweriner, die etwas Arabisch lernen wollen, damit sie sich besser mit den Neuankömmlingen verständigen können. In der Stadt bemühen sich ein Welcome-Café und viele Vereine, zu helfen. Eine richtige Anlaufstelle für jene, die Hilfe suchen und jene, die sie geben wollen, hat bisher gefehlt. Das Patenschaftsbüro schließt diese Lücke. Hier eine Stelle bekommen zu haben, ist für den Syrer genauso wie für die Deutsche ein Sechser im Lotto.
Fragt man Hamoud nach seinen Hoffnungen, fragt er zurück:
"Soll ich alle nennen? Okay. Erste Hoffnung: Mein neues Leben in Deutschland verbessern. Die Zweite: Ich wünsche für jeden neuen Schweriner, einen Deutschen zu kontaktieren, zu sprechen. Das bedeutet auch das neue Leben erleichtern."
Sieben Monate dauert ein Deutschkurs, das ist ein Anfang, findet Hamoud, aber es reicht längst noch nicht aus. Nach dem Kurs finden nur die wenigsten eine Arbeit oder Ausbildung und haben deshalb kaum eine Chance, täglich mit Deutschen zu sprechen und damit ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Aber ohne gute Sprachkenntnisse keine Arbeit in Deutschland, keine Integration. Ein Teufelskreis, den man zum Beispiel mit der Patenschafts-Idee durchbrechen könnte: Zeit zusammen verbringen, ob beim Kochen oder beim Einkaufen, Lesen und Sprechen üben, bei den Deutschkurs-Hausaufgaben helfen, Ausflüge machen, zu Behörden oder zum Arzt begleiten - es gibt viele Möglichkeiten, zu helfen.
Und wenn erst einmal der Anfang gemacht ist, dann läuft vieles wie von selbst. Wie bei Rahaf Mughli, die mit ihrem einjährigen Sohn Amir auf dem Teppich sitzt, der direkt hinter dem Schaufenster des Patenschaftsbüros liegt. Dort ist die Spielecke aufgebaut. Bauklötzer, Puzzle, Kuscheltiere.
"Guck Amir, ich hab's geschafft, Amir."
Die 25-Jährige aus Syrien ist seit einem Jahr in Deutschland. Wegen ihrer drei kleinen Kinder - zwei besuchen inzwischen schon den Kindergarten - kann sie nicht am Sprachkurs teilnehmen. Deutsch hat sie allein Zuhause am Computer gelernt - und mit Hilfe von zwei Patinnen:
"Ich lerne immer zu Hause. Aber ich habe zwei Frauen, Deutsche. Sie kommen immer nach Hause und lernen mit mir Deutsch und helfen mir. Und alleine jeden Tag, jeden Morgen oder Nachmittag sitze ich alleine und lerne alleine. Und mein Mann hat Arbeit in Firma Josch, ist Schneider von Beruf."
Rahaf Mughli ist von der Patenschafts-Idee überzeugt:
"Alle Leute brauchen Hilfe, ausfüllen von Briefen, treffen zusammen. Gute Idee. Treffen zusammen, machen Ferien für Kinder, gehen auch einmal auf dem Spielplatz spielen. Sehr gut, wirklich gute Idee."

Deutsche Freundinnen aus dem Nachbarhaus

Ihre beiden deutschen Freundinnen wohnen im Nachbarhaus in der Plattenaussiedlung Großer Dreesch, wo die meisten Migranten leben. Ideal, um schnell und unkompliziert zu helfen:
"Ich möchte Lehrer in der Kita werden. Erstmal in die Schule gehen, lernen und dann Ausbildung machen. Nächstes Jahr vielleicht, jetzt ist mein Kind noch klein und nächstes Jahr vielleicht bleibt mein Kind mit seinem Bruder in der Kita und ich gehe in die Schule lernen und mache Ausbildung in der Kita. Ich mag lernen. Und verstehe alles und gehe alleine zum Kinderarzt, Frauenarzt, alles alleine. Ich spreche mit meinen Kindern manchmal deutsch und mein Mann spricht arabisch mit den Kindern. Muss beides lernen: Arabisch nicht vergessen und Deutsch lernen, alles zusammen."
Am Tisch haben sich inzwischen neue Besucher um Heike Sobanski und Hamoud Aldghim geschart. Jeder hat ein Problem, das oft einen Rattenschwanz an Telefonaten oder E-Mails hinter sich herzieht. Wo ist die Mietzahlung stecken geblieben? Ein neuer Babypass für den Kinderarzt muss her, eine Schwangere braucht einen Frauenarzttermin. Nach fünf Telefonaten hat ihn Hamoud schließlich bekommen. Was tun, wenn der Deutschkurs zu Ende ist, aber ein Job immer längst nicht in Sicht?
Hamoud ermuntert dazu, sich immer weiter zu bilden:
"Es reicht nicht, wenn man eine neue Sprache will. Die Meisten waren in einer zu schlimmen Situation, als sie herkamen. Das bedeutet, sie brauchen mehr Bildung, noch mal Re-Start, neues Leben, Re-Start wirklich. Die meisten, die ich kenne aus meiner Heimat, die wollen wirklich arbeiten. Die suchen wirklich Arbeit, aber die Schwierigkeit ist die Sprache. Woher kann man die aktiv bekommen? Von Freunden. Die Kultur zusammenführen. Das bedeutet nicht, wir bleiben zu Hause und gehen nur zum Jobcenter. Man muss mehr aktiv sein, muss die deutsche Sprache lernen.
Nach einem Jahr Hiersein schon in Arbeit, das ist selten. Auch Hamouds Bruder hat schon einen Job als Übersetzer im Flüchtlingsheim in Schwerin. Doch vielen seiner Landsleute fehlen noch die Kontakte:
"Wenn ich sage, die Syrer müssen integriert sein - wie? Dann sitzt er in der Straßenbahn, er hat noch drei Plätze. Alle Deutschen sitzen woanders oder im letzten Wagen. Wie muss dieser Mann integriert sein? Die haben immer Angst, ist okay, weil wir sind aus anderem Land, andere Kultur. Aber wenn wir immer bleiben mit Grenze zwischen uns, ist das kein Problem für uns, sondern für die deutsche Zukunft. Wir sind auch Menschen. Jede Gesellschaft hat Gute und Schlechte. Wir machen immer Fokus auf die Schlechten der 'refugees'. Wenn ein Mann macht das Schlechte, dann steht morgen in Zeitungen: Die 'refugees' machen das. Nein, nicht die 'refugees', sondern ein Mann macht das."

Freier öffentlicher Internetzugang nur am Marienplatz

Hamoud Aldghim kennt einige der syrischen Jugendlichen, die immer am Marienplatz sind - dem einzigen öffentlichen Platz in Schwerin mit freiem Internetzugang:
"Das sind alles Kinder unter 18, die meisten. Die haben bis jetzt keine Schule. Was machst du? Du machst vielleicht Probleme. Und die Deutschen haben Angst, die wollen da bleiben und am Marienplatz im Internet surfen. Internet is the only way to contact our familiy in Syria."
Auf dem Schweriner Marienplatz gab es schon öfter Auseinandersetzungen zwischen ausländischen und deutschen Jugendlichen. Hamoud zeigt auf ein großes Plakat an der Wand des Patenbüros: Darauf die Namen jener, die bis jetzt noch keinen Schul- oder Kindergartenplatz haben. Das macht Integration schwieriger. Einmal versuchten mehrere junge Syrer, Rosen zu verschenken auf dem Marienplatz. Eine Rose für ein Lächeln, war das Motto. Klappte mäßig. Etwas besser ging es in Hamouds Neubaublock, wo er und sein Bruder nach dem Einzug mit Blumen vor jeder Wohnungstür standen, um sich bei den Hausbewohnern vorzustellen:
"Mein Bruder hat die Blumen gekauft. Ich habe einen Bund und er den anderen. Ich nehme die rechts und er die links. Die rechts war besser als die links. Fünf Etagen, vier bei mir rechts haben sie schon genommen, sagen: Thank You very much, You are welcome. Und einer sagt: Nein, ich will nicht. Und links mein Bruder hat nur eine genommen, die andere sagen, nein danke, immer die Tür zu gemacht. Aber jetzt sind im ganzen Haus unsere Freunde, die Freundschaft zwischen uns ist sehr gut jetzt. Sie haben schon gewusst, dass wir nicht mehr beim Jobcenter sind, wir bezahlen die Wohnung selbst. Jetzt gibt es vielleicht mehr Anerkennung."

Angst um die Angehörigen in Syrien

Manche suchen Rat und Trost, weil sie um ihre Angehörigen in der Heimat fürchten. Wie dieser junge Syrer, der seit über einem Jahr auf Frau und Kind wartet. Er holt sein Handy hervor, darauf ein Babyfoto:
"Nicht gesehen. Zehn Monate."
Sein zehn Monate altes Kind. Er kennt es nur von Fotos. Seine Frau war schwanger, als er sich auf den Weg nach Europa machte - in der Hoffnung, die Familie bald nachholen zu können:
"Ich weiß nicht bis wann. Immer schreiben sie mir, und ich antworte: Warten, warten, warten."
Hamoud kann gut trösten, denn er hat es selbst erfahren, wie es ist, schon hier zu sein und die Familie noch im Kriegsgebiet zu wissen. Seine Frau und die anderthalbjährige Tochter konnten erst ein Jahr nach ihm nach Deutschland kommen, das war im November 2016.
Die "New German Mom" hat das Auf und Ab der Gefühle ihres Kollegen miterlebt:
"Er war in der Zeit, wo das ganze Verfahren mit der Botschaft lief, nicht ganz aufnahmefähig. Verstehen kann ich das auch, wie sie zu Hause war, in Syrien, im Telefon hörte man im Hintergrund die Bombeneinschläge von Aleppo. Dass er sich da Gedanken gemacht hat, das ist vollkommen klar. Und seitdem sie jetzt hier ist, ist er komplett umgedreht. Wir haben hier einen ganz krassen Fall: Der Mann ist hier, er spricht auch schon ganz gut deutsch und fungiert als Dolmetscher, wenn mein Kollege unterwegs ist.
Der ist seit anderthalb Jahren hier, seine Frau und seine neun Kinder sitzen in der Türkei fest. Das ist so ein Extremfall, wo wir dann auch manchmal am untersten Level arbeiten. Man möchte helfen und man kann es nicht. Das sind einem die Hände gebunden. Es gibt so viele Geschichten, die wir auch in der Zeit der Bahnhofsmission gehört haben, wo man dann am Ende des Tages gesagt hat: Wie gut, dass wir hier leben."

Vermittlung als schwieriges Unterfangen

Heike Sobanski hat gleich selbst die Patenschaft übernommen für Hamouds Frau Boshra, die sich mit ihrer zweijährigen Tochter bis jetzt noch gar nicht allein aus dem Haus traut. Das Ziel, Patenschaften zu vermitteln zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen hat sich als recht schwieriges Unterfangen herausgestellt. Haben die anderen Initiativen, die eher da waren als das Patenschaftsbüro, schon die Hilfsbereiten "abgeschöpft"?
In drei Monaten fanden sich in Schwerin erst 25 "Tandems" zusammen. Es gab schon Zeitungsartikel in der Lokalpresse, und ab und an kommt auch ein Schweriner in den Laden und informiert sich. So wie Hans Gruber. Der pensionierte Ingenieur steht mit einem Stapel zurechtgesägter Bretter und einer Werkzeugkiste im Laden. Er will in dem Mini-Flur ein Regal bauen, damit endlich die Teetassen und Keksdosen einen Platz haben. Anfang Januar kamen er und seine Frau Eva zum ersten Mal hierher:
"Stand in der Zeitung, hatten wir gelesen, dann wussten wir die Öffnungszeiten nicht und haben uns hier vors Büro gestellt und uns die Öffnungszeiten abgeschrieben. Und da stand Hamoud in der Tür und sagte: Herzlich willkommen, Salaam! Und da habe ich ihn gleich gefragt, was heißt denn Friede sei dir? Und er sagte: Salaam alek. Und dann hat er uns reingebeten. hat uns eine Orange geschenkt und gefragt, was wir wollen. Und wir haben gesagt: Wir wollen mitmachen! Und so hat sich das innerhalb einer Woche entwickelt, dass wir hier ein bisschen Möbel bauen, die hier fehlen, von Akten abstellen bis Spielzeug in die Kisten kramen, Gläser - was ebenso gebraucht wird. Weil, dieser Raum vorne ist auch Wohnzimmer für die Syrer, die treffen sich gerne hier. Das ist natürlich sehr gut, das ist dann auch der Treffpunkt, wo wir, die Einheimischen hinkommen können und wir uns mit denen unterhalten."
Hans Gruber war einst ein selbst ein Flüchtlingskind: Mit seinen Eltern kam er am Kriegsende von Stettin nach Köln:
"Dort hießen wir dann die Immis, die Immigrierten. Waren nicht sehr beliebt. Und da ich das weiß, wie man sich fühlt, wenn man nicht mehr zuhause ist, hat das bei mir auch motivierend gewirkt. Etwas zurück zu geben, was ich selbst einmal erfahren habe, sagen wir es mal so. Wenn ich im Leben in Not war, gab es immer Leute, die halfen mir weiter. Das gebe ich jetzt weiter. Ich habe auch nichts dafür bezahlen und geben müssen und die müssen es auch nicht. Wir haben letzten Sonnabend einen kleinen Kurs gemacht, da wurde eine Solarlampe gebastelt. Es waren neun Kinder da, meist Mädchen, da war ich erstaunt. Die Väter waren auch da. Es fing an, völlig chaotisch zu werden, weil mit so vielen hatten wir nicht gerechnet. Aber die Väter haben mit gearbeitet und um ein Uhr war alles fertig und alles hat funktioniert. Ich war erstaunt. Die Leute aus dem Süden können besser improvisieren als wir, die wir preußisch erzogen sind."

Lehrreiche Technikspiele für die Kinder

Jeden zweiten Samstag kommt der Ingenieur in das Patenschaftsbüro und macht mit den Kindern Technikspiele. Basteln und dabei ein bisschen Physik und Deutsch lernen, das passt. Hans Gruber muss bald einen neuen Raum suchen, so viele Kinder kommen inzwischen. Gemeinsam mit seiner Frau Eva möchte er auch eine Patenschaft übernehmen:
"Wir müssen erst noch Leute kennenlernen. Wir haben ja gerade erst angefangen. Technik-Spiele ist mehr so sein Ding, ich gehe eher in Richtung Tischtennis oder Hobby, so in der Richtung. Aber so eine richtige Patenschaft für eine Familie haben wir noch nicht übernommen, würden wir machen, wenn wir mehr Kontakte kriegen. Aber man muss sich erst kennenlernen, es läuft ja auch auf einer Art Vertrauensbasis. Wenn man sich nicht kennt und soll sich dann Fremden anvertrauen, das ist immer schwierig. Und wenn man dann die ersten Kontakte gehabt hat, dann kann man sagen: Ah, wir fühlen uns wohl miteinander, wir können zusammen arbeiten oder wir können Hilfe annehmen von denen. Das wird kommen. Begleitung zu Ämtern, gemeinsam spazierengehen, in Läden gehen, vorlesen, was auf den Etiketten steht, was das ist. Auch so direkt Deutsch lernen. Das wird kommen, wie es sich entwickelt, kein starres Programm. Starre Programme kommen eh nicht an."

Eine Jugendliche als Patin für ein Kleinkind

"Wo ist Aya? Da ist Aya?"
Jadwiga, die Tochter von Heike Sobanski, hat ein zweijähriges Mädchen auf dem Schoß. Es ist Aya, die Tochter von Hamoud. Die beiden schauen sich Fotos von Aya auf dem Handy an.
"Aya. Nee, das ist nicht Aya. Wo ist Mama? So anstrengend, so viele Fragen ..."
Obwohl sie erst 15 ist, ist Jadwiga schon Patin, die Patin von Aya:
"Meine Mama hat hier angefangen, und dann dachte ich mir so: Kann man doch auch mal mitmachen. Ich wollte halt auch mal was für kleinere Kinder tun und habe eigentlich relativ viel Freizeit. Und dann habe ich Hamoud kennengelernt und Boshra, seine Frau. Und dann die kleine Aya, und ich habe sie sofort ins Herz geschlossen. Ich möchte Aya in ihrer weiteren Zukunft begleiten und ihr auch helfen, wo ich kann. Und dann mal gucken, wie lange das hält, ich hoffe, lange. Gerade, weil sie ja neu in Schwerin sind, bzw. in Deutschland, ist es wichtig, dass sie so eine kleine Starthilfe bekommen. Und da kann man schon was mit erreichen."
Als Jadwiga in der Schule von ihrer Patenschaft erzählte, hoffte sie, dass es andere ihr gleichtun würden. Doch das geschah nicht. Viele, so meint die 15-Jährige, verallgemeinern schlechte Erfahrungen, die sie vielleicht mit Flüchtlingen haben. So wie an ihrer eigenen Schule, einer Gesamtschule im Plattenbaugebiet:
"Da gibt es viele Probleme. Ich will jetzt nicht sagen durch die Flüchtlinge, aber zum Großteil durch die Jüngeren, die ohne Eltern gekommen sind, ist das Drogenproblem an unserer Schule sehr groß geworden. Ja, und dann ist eins zum anderen gekommen. Sie denken halt, ohne Mama und Papa können sie machen, was sie wollen. Aber da müssen wir dann auch sagen: Halt stopp, bis hierhin und nicht weiter. Bei uns geht das anders, ist halt manchmal traurig. Aber es gibt auch Schüler, Flüchtlinge, die wirklich Deutsch lernen und ranklotzen, da muss ich auch meinen Respekt aussprechen, dass sie so viel daran legen, Deutsch zu lernen. Sie versuchen halt ihr Bestes."

Unmissverständliche Gesten der Passanten

Was hat das Mädchen Aya mit Landsleuten zu tun, die sich nicht benehmen? Die Neuntklässlerin befindet: "Null Komma nix". Deshalb hilft sie.
"Nicht alle gleich über einen Kamm scheren. Es gibt solche und solche, das mag sein. Aber es gibt wirklich nette Menschen, auch syrische Menschen, und die sind wirklich dankbar für jede kleine Hilfe. Das muss man mal ein bisschen akzeptieren. Das hat auch was mit Toleranz zu tun, was einige Deutsche wahrscheinlich nicht so besitzen."
Jadwigas Mutter hat schon erlebt, dass Leute am Schaufenster des Patenschaftsbüros vorbeigehen und eine unmissverständliche Geste zeigen. Andere schauen kurz durch die Scheibe und sind dann schnell weg.
Vor ein paar Monaten hat Jadwiga auf Facebook für eine Stiftung einen Spendenaufruf gepostet: Einen Euro für Aleppo, um dort Schutzräume und Krankenhäuser wieder aufzubauen:
"Stellt euch mal vor, es gibt einen dritten Weltkrieg und wir müssten flüchten. Wir aus unserem eigenen Land. Wir Deutsche müssen flüchten. Wo wollt ihr hin? Wahrscheinlich werdet ihr dann genauso dumm angemacht und als irgendwas bezeichnet, was euch im Herzen wehtut. Und genau das ist der springende Punkt. Die Menschen wollen einfach nur leben. Und deshalb möchte ich euch bitten, eure Menschlichkeit herauszufordern und einen Euro für diese Aktion zu spenden."
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