"Herbergsvater der globalen Wissensgesellschaft"

Moderation: Gabi Wuttke · 12.07.2006
Von 2007 an wird der Archäologe Luca Giuliani der traditionsreichen Institution des Berliner Wissenschaftskollegs im Grunewald vorstehen. Das, was der designierte Rektor der dort beherbergten Elite von Wissenschaftlern bieten möchte, sei vor allem Zeit zum Arbeiten.
Wuttke: Guten Morgen, Herr Giuliani!

Giuliani: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Fühlen Sie sich als Herbergsvater der globalen Wissensgesellschaft?

Giuliani: [lacht] So hatte ich das noch nie gesehen, aber es hat vielleicht ein bisschen was. Herbergsvater muss natürlich für das Wohl der Beherbergten sorgen, und das ist, glaube ich, auch ein zentraler Punkt. Nun die Wissensgesellschaft ist ja außerordentlich heterogen und ich glaube, dass das Wissenschaftskolleg tatsächlich einer der Orte ist, wo diese Heterogenität zum Zug kommen darf und zum Zug kommen soll, weil jede Form von Homogenisierung eigentlich den Absichten der Institution zuwider laufen würde.

Wuttke: Sie haben sich vor mehr als 30 Jahren entschieden, die Vergangenheit zu Ihrem Beruf zu machen, mit der klassischen Archäologie. Bald sind Sie nun also für die Weichenstellung in die Zukunft verantwortlich. Sind Sie dafür gerüstet?

Giuliani: Nun, das müssten Sie eigentlich die Mitgliederversammlung des Kollegs fragen.

Wuttke: Gut, andersherum: Waren Sie selbst überrascht, dass mit Ihrer Wahl ja die bisherige Linie durchbrochen wurde, pure Geisteswissenschaftler an die Spitze des WIKO zu wählen?

Giuliani: Pure Geisteswissenschaftler? Ich glaube nicht, dass Herr Grimm ein purer Geisteswissenschaftler ist. Herr Grimm ist Jurist. Nun kann man sich natürlich fragen, ob Juristen Geisteswissenschaftler sind. Außerdem ich bin Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie und dort rangiere ich in der Klasse Geisteswissenschaft, obwohl ich mich mit dem Etikett Geisteswissenschaft nie sonderlich befreunden kann, weil das ist so ein Kampfbegriff aus dem späten 19. Jahrhundert.

Wuttke: Warum?

Giuliani: Naja, Geisteswissenschaften ist als … (Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll unverständlich) entwickelt worden, als Kampfbegriff gegen die Naturwissenschaft und insofern finde ich den Begriff nicht wahnsinnig interessant. Aber noch mal aktuell zur Frage Vergangenheit und Zukunft: Ich glaube nicht, dass man die Vergangenheit erforschen kann, ohne Blick auf die eigene Gegenwärtigkeit und ohne Hoffnungen für die Zukunft. Und ich glaube, dass der Blick in die Zukunft, der auf die Vergangenheit verzichtet, ein kurzsichtiger Blick wäre, also jetzt nicht um Legitimierungen in der Vergangenheit zu suchen, aber weil einfach die Vergangenheit eine Vielfältigkeit bietet, die es erleichtert, den eigenen Standpunkt als einen von vielen möglichen und einen irgendwo auch zufällig gewordenen zu verstehen.

Wuttke: Das heißt, Sie werden fortsetzen, was das Wissenschaftskolleg zu Berlin seit seiner Gründung als Marschrichtung vorgegeben hat? Oder wollen Sie eigene Akzente setzen, wenn zudem im Jahr der Geisteswissenschaften 2007 Ihr Amt beginnt, Sie aber von Geisteswissenschaften eigentlich gar nichts halten, zumindest nicht von dem Begriff?

Giuliani: Von dem Begriff nicht. Von den Wissenschaften selber halte ich eine ganze Menge. Aber ich halte nichts von der Parole, ich meine ich halte nichts von der Parole, wenn man eine Abschottung und eine Abgrenzung gegenüber der Naturwissenschaft darunter versteht. Ich glaube, dass eine wesentliche Aufgabe in unseren Fächern darin besteht, sich gegenüber der Naturwissenschaft zu öffnen und wenn man es vielleicht ein bisschen polemisch sagen darf, auch die Naturwissenschaft ein wenig zu unterwandern, indem man die Naturwissenschaft über ihre eigene Geschichte aufklärt, denn die Geschichte der Naturwissenschaft ist, wenn Sie so wollen, ein geisteswissenschaftliches Phänomen.

Wuttke: Durchaus. Heißt das, es ist auch mit diesem Satz schon vorgegeben, womit Sie 2007 durchstarten wollen?

Giuliani: Nein, also ich wäre schlecht beraten, wenn ich durchstarten wollte. Also die Rhetorik von Oppositionspolitikern, die eine Wahl gewinnen und sagen, jetzt wollen wir das Steuer rumreißen, wobei man sich dann wundert, wie unverändert der Kurs bleibt, die Rhetorik ist mir fremd. Das Wissenschaftskolleg hat eine Geschichte, die ein Vierteljahrhundert alt ist, also aus archäologischer Perspektive eine sehr junge Institution.

Wuttke: Weniger als ein Augenschlag …

Giuliani: Ja, weniger als ein Augenschlag, aber immerhin. Ich meine, für unsere Lebenszeit ist es doch langsam eine ganz erkleckliche Dauer. Und es hat, glaube ich, eine sehr erfolgreiche Bilanz und hat sich eine bestimmte Position gesichert. Und das wäre töricht, wenn man dieses Kapital jetzt durch einen Kurswechsel vergeuden wollte. Auf der anderen Seite ist es glaube ich auch nie damit getan, dass man sagt, wir halten Kurs, indem wir nichts verändern, denn die Umwelt verändert sich ja und wenn man die Position des Kollegs behaupten will in einer sich verändernden Umwelt, wird man auch den Kurs der Umwelt und den veränderten Bedingungen anzupassen haben.

Wuttke: Herr Giuliani, lassen Sie uns vielleicht mal genau in diese kleine Kerbe, die Sie gerade selbst geschlagen haben, hineingucken. Was hat das Wissenschaftskolleg, was Universitäten nicht bieten können?

Giuliani: Naja, ich will jetzt nicht polemisch werden gegenüber der deutschen Bildungspolitik...

Wuttke: Sie dürfen hier alles!

Giuliani: ...aber es ist nun einmal so, ein wesentliches Problem der Universität ist, dass es den Lehrenden immer schwieriger gemacht wird, Wissenschaft zu betreiben. Wenn ich an einer amerikanischen Universität lehren würde, dann hätte ich etwas weniger als das Deputat, das ich in München habe. Und ich habe genau dasselbe Deputat wie alle anderen auch. Es wird einfach schwierig und wir müssen ständig um den Status quo zu halten, Anträge schreiben. Wir müssen uns ständig um Drittmittel kümmern, weil wir an dem Parameter der drittmittelgeförderten Naturwissenschaften wiederum gemessen werden. Naturwissenschaften brauchen tatsächlich Drittmittel. Unsereins bräuchte eigentlich, um etwas Wissenschaft zu betreiben nur Zeit. Nicht furchtbar viel Geld, also wir müssen den Standard der Bibliothek aufrechterhalten und so, aber das sind eigentlich, das, was eine berühmte Person mal peanuts genannt hat. Aber was wir brauchen, ist Zeit und diese Zeit wird uns zunehmend durch Antragschreiben, durch Evaluierungen und durch Verwaltungsarbeit genommen. Und das ist genau das, was das Wissenschaftskolleg den Fellows ermöglicht.

Wuttke: Das Wissenschaftskolleg ist nicht nur ein Leuchtturm, sondern es hat eben auch für die Fellows paradiesische Zustände. Hier kommen die Besten der Besten her. Ist es auch in Ihrem Sinne, denen alles zu geben, die eigentlich so wie so schon alles haben?

Giuliani: Naja, alles haben. Was haben die denn? Sie haben nicht die Zeit und das Eine, was das Kolleg bietet, ist die Zeit. Zeit zum Arbeiten, also nicht Zeit zum aus dem Fenster schauen, obwohl es im Grunewald schön ist, wenn man aus dem Fenster guckt, aber man hat eben Zeit zum Arbeiten und man hat absolut ideale Arbeitsbedingungen. Aber das andere ist, dass es ein gewisses Ausmaß an Unvorhersehbarem ermöglicht. Es werden Leute eingeladen, von denen man meint, dass sie miteinander gut können und andere, die werden halt individuell eingeladen. Und das ist eine alte Erfahrung des Kollegs, dass es gerade bei den Gruppen häufig nicht klappt. Also es kann passieren, Sie laden fünf Wissenschaftler ein, die eigentlich relativ benachbart sind, und dann reden die zehn Monate lang nur ein paar Wörter miteinander. Und auf der anderen Seite, das ist natürlich, kann man sagen, das ist bedauerlich, aber auf der anderen Seite wird das aufgewogen durch unendlich viele Kontakte, die absolut unvorhersehbar waren.

Wuttke: Aber was hat der Wissenschaftsstandort Berlin von dieser Politik außer Prestige?

Giuliani: Ich glaube, dass die Position des Kollegs sich in Berlin geändert hat. Also ich kann mich erinnern, ich war ja selber in Berlin. Ich habe zwölf Jahre an den Museen gearbeitet. Und damals war das Kolleg, also ab 1981, vorher gab es das nicht, war es tatsächlich, man hatte den Eindruck, eine Institution auf einem anderen Stern, eigentlich nicht in Berlin, sondern extraterritorial. Das hat sich seit langem glaube ich geändert. Ich glaube, es findet eine intensive Kooperation mit anderen Institutionen statt: mit den Museen, mit den Universitäten, mit der Akademie. Man darf natürlich die Kooperation nicht so weit treiben, dass die Fellows dann von Berlin aufgefressen werden. Also man muss ihnen einfach die Freiheit lassen, ob sie sich darauf einlassen wollen oder nicht.

Wuttke: Aber kann man denn davon sprechen, dass sie aufgefressen werden? Meine Frage geht natürlich dahin, was hat die Öffentlichkeit, was hat die Gesellschaft von diesem ja doch "closed shop" Wissenschaftskolleg?

Giuliani: Die Gesellschaft, nun die Gesellschaft ist ein polymorphes Etwas. Aber es gibt Kolloquien, die sind geschlossen, also die sind nur für die Fellows selbst.

Wuttke: Eben.

Giuliani: Es gibt aber immer wieder Abendveranstaltungen und da werden auswärtige Gäste dazugeladen. Nun ist das Kolleg eine relativ …, es ist in intimen Räumlichkeiten untergebracht. Wenn der Hörsaal voll ist, dann ist er voll. Aber ich habe den Eindruck immer wieder gemacht, dass man ein wechselndes Publikum dort findet, ein interessiertes Publikum und dass das Kolleg durchaus in der Berliner Gesellschaft verankert ist, dort angekommen ist und dort auch angenommen wird.

Wuttke: Das heißt Kritik, dass dieser Elfenbeinturm, der sich in einer wunderschönen Villa tarnt, zu abgeschottet ist, hat Sie gar nicht erreicht?

Giuliani: Das ist eine veraltete Kritik. Aber es ist klar, dass man immer daran arbeiten wird, diesen Eindruck zu konterkarieren und durch Öffnungen, soweit sie möglich sind, auch dem entgegenzuarbeiten. Nur Sie wissen, das ist halt so eine dumme Sache mit dem Paradies. Sie kommen nur durch eine enge Pforte rein, und wenn Sie die einreißen, dann ist das Paradies leider weg. Elfenbeinturm ist etwas Irreales, also das darf eigentlich in der Form nicht sein. Es ist eine privilegierte Situation, das ist mir sehr klar, aber es ist nicht eine Situation, in der man sich darin sonnen kann, abgeschottet zu sein vom Rest der Welt.

Wuttke: Im Radiofeuilleton der designierte Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Professor Luca Giuliani. Ich danke Ihnen sehr, Herr Giuliani, und wünsche Ihnen viel Erfolg!