Heftige Proteste rund um den "reichen Juden"

Von Cornelie Ueding · 16.04.2012
Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" hat wie kein anderes die Gemüter erregt: Vor allem die klischeehafte Figur des "reichen Juden" hat in Deutschland heftige Diskussionen ausgelöst. Selbst, nachdem es am 16. April 1987 seine verspätete Uraufführung in New York erlebte und danach überall auf der Welt gespielt wurde, war der Bann in Deutschland noch nicht gebrochen.
"Wenn es einen Menschen gibt, der als Mensch in diesem Stück dargestellt ist, mit allen seinen Facetten, dann ist das der 'reiche Jude'. Der Topos, in Deutschland, 40 Jahre danach, jemand den 'reichen Juden' zu nennen, ist eine unverschämte Provokation. Und wo ich dem Fassbinder, im Nachhinein eigentlich sag: Verdammt noch mal. Hut ab! Dass Du mit so einer Provokation anfängst und es schaffst, sie in diesem Stück aufzulösen."

Daniel Cohn-Bendits vehementes Plädoyer für die Frankfurter Aufführung von Rainer Werner Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" galt einem Text, den Fassbinder 1975 für das Theater am Turm (TAT) in Frankfurt geschrieben hatte, der aber das Licht der Theaterwelt auch 1985, drei Jahre nach seinem Tod, noch nicht erblickt hatte. Er hatte das Stück als seine letzte Arbeit am TAT wegen massiver Proteste nicht durchsetzen können. Und auch die Publikation des Textes wurde von Kontroversen begleitet. Als schließlich am 31. Oktober 1985 Demonstranten die Bühne besetzten und die Uraufführung in Frankfurt verhinderten, begann eine Schlammschlacht um das als antisemitisch empfundene Stück, die ihresgleichen sucht. Nur in einer geschlossenen Vorstellung vor Kritikern konnte die Inszenierung gezeigt werden. In einem erst spät aufgetauchten, nie gesendeten Fernsehinterview hatte Rainer Werner Fassbinder schon 1976 erläutert:

"Mich, als ich das Stück geschrieben habe, hat Frankfurt schon interessiert, weil ich da gelebt habe, leider. Es sollte von Anfang an nur diese eine Aufführung in Frankfurt geben, die ich gemacht hätte. Und wo ich mit dem Text, der da war, oder den ich erweitert hätte oder den wir alle gemeinsam erweitert hätten, eine Aufführung zustande gebracht hätte, die was über Frankfurt gesagt hätte, wie die Situation war in Frankfurt. Es ist kein Stück, das man im Stadttheater Heidelberg oder was weiß ich wo aufführen kann – das sollte auch nie sein. Und dann noch einmal, wie gesagt, es ist nicht fertig, das Stück. Das Stück ist in einem unfertigen Zustand abgedruckt worden."

Nur in Frankfurt oder New York, hatte der Autor verfügt, dürfe sein Stück um die unheilige Kumpanei von Behörden und Grundstücksspekulanten uraufgeführt werden. Und so fand die offizielle Welturaufführung schließlich am 16. April 1987 in einem Kellertheater in New York, dem Thieves Theatre, am Lower Broadway statt. 500 Dollar hatten die Aufführungsrechte an dem, wie in der FAZ-Kritik zu lesen war, "rasch hingehauenen, unreifen Melodram" gekostet, und Regisseur Nick Fracaro wagte sich an das in Deutschland verfemte Stück. Nicht obwohl, sondern weil die strukturellen Probleme des Frankfurter Westends und der New Yorker Lower East Side durchaus vergleichbar waren: Korruption der Bauherren, Zwangsräumungen, Luxussanierungen und damit Zerstörung des sozialen Raums. "Trash, the City, and Death", so der Titel, lag ganz auf der Linie von Fracaros Projekten: Schon vorher hatte er, im Gefängnis und auch in der Psychiatrie, Theater mit Betroffenen für Betroffene gemacht. Bei der Premiere waren etwa die Hälfte der Zuschauer deutsche Journalisten in Erwartung eines Eklats. Doch der blieb aus, obwohl jeder vierte Einwohner New Yorks jüdischer Herkunft ist. Die Aufführung wurde einen Monat lang en suite gespielt und verschwand dann turnusgemäß vom Spielplan. Erklären lässt sich die erstaunlich sachbezogene Rezeption des New Yorker Trash aber keineswegs mit dem hämischen Hinweis mancher Kritiker auf "hilfloses Laienspiel", sondern mit einer sehr viel weniger ideologiefixierten Grunddisposition der amerikanischen Öffentlichkeit dieser Zeit. Der amerikanische Theaterwissenschaftler David Bathrick:

"Was Fassbinder für uns, glaube ich, wichtig macht – ist nicht-ideologisch. Das heißt, die Probleme, die er anpackt, sind natürlich klassenbedingt, geschlechtsbedingt. Aber es ist sehr schwer, Fassbinder eigentlich auf einen Nenner zu bringen. Ob er für die Arbeiterklasse oder gegen die Arbeiterklasse, ob er selber Sexist ist oder ob er Antisemit ist. Und das Wichtige ist: Er ist mittendrin in dem Stoff, so tief, dass man verführt wird, eigentlich die Probleme anzupacken. Und das macht ihn für uns, glaube ich, faszinierend. Ich meine, in Deutschland ist es leichter, von Klasse und von bestimmten ideologischen Grundsätzen auszugehen. Sobald das im Vordergrund ist bei uns, wird das abgelehnt."

So ist die verschleppte Aufführungsgeschichte dieses Fassbinder-Stücks zu einer Art Gradmesser für ideologische Verhärtungen weltweit geworden: Sogar in Tel Aviv wurde es erfolgreich gespielt. Die deutsche Erstaufführung fand erst 2009 statt.