Hauptschullehrer: Deutschlernen hat oberste Priorität

Jovan Radosavlevic im Gespräch mit Hanns Ostermann · 09.09.2010
Die Regierung will mehr Lehrer mit Mitgrationshintergrund an Schulen einsetzen. Jovan Radosavlevic, Hauptschullehrer serbischer Herkunft, hält das für einen guten Ansatz. Es könne den Migratenkindern den Start erleichtern, werde sie aber nicht von der Pflicht des Deutschlernens entbinden.
Hanns Ostermann: Wenigstens in einem Punkt sind sich die Parteien einig: Der Erwerb der deutschen Sprache ist die entscheidende Brücke für die Integration. Nur wer deutsch spricht, kommt weiter. Die Frage ist nur: Wie erreicht man vielleicht integrationsunwillige Migranten?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière bezifferte ihre Zahl gestern auf 10 bis 15 Prozent. Könnten hier Lehrer helfen, die selbst eingewandert sind und über andere Erfahrungen verfügen? Ich habe darüber mit Jovan Radosavlevic gesprochen, er hat serbische Eltern, stammt aus Berlin und unterrichtet an einer Hauptschule in München mit einem hohen Ausländeranteil. Meine erste Frage an ihn: Was sind das für Klassen, in denen Sie unterrichten?

Jovan Radosavlevic: Also ich bin in der Hauptschule, und die Klassen, die ich habe, das sind ganz normale Kinder, wenn man es so sieht, die einfach ein bisschen lernschwach sind und ihre Probleme haben, mit der deutschen Sprache und vielleicht auch sonst so im Alltag.

Hans Ostermann: Woher kommen die Kinder?

Radosavlevic: Das ist ganz unterschiedlich. Bisher habe ich zehn Jahre an einer Schule unterrichtet, da war der Ausländeranteil ungefähr 70 Prozent, und von diesen 70 Prozent waren 50 Prozent aus der Türkei. Aber interessanterweise - letztes Jahr, da hatte ich einen Einsatz an einer Schule, wo es Übergangsklassen gab, und das sind Klassen, da kommen Kinder rein, die können überhaupt kein Deutsch, also gar kein Deutsch. Die sind ganz neu in Deutschland und müssen die Sprache erst mal lernen. Und wenn sie das können, kommen sie in eine normale Klasse.

Hans Ostermann: Was machen Sie dann, wenn Sie in die Klasse kommen, die Tür schließen und sagen, guten Tag, ich heiße Radosavlevic und bringe euch jetzt Deutsch bei – reden Sie dann deutsch?

Radosavlevic: Mit den Kindern? Also in der Übergangsklasse? Ja, natürlich, klar, da bleibt mir ja keine große Wahl. Das heißt, ich kann natürlich auch einige andere Sprachen, meine Muttersprache, und da gibt es einige Schüler, die können das auch. Und dann, wenn es überhaupt nicht weitergeht, dann greife ich darauf zurück. Aber in der Regel wird in den Klassen deutsch gesprochen, also das ist ganz klar.

Hans Ostermann: Stellen Sie da eigentlich bei den verschiedenen Nationalitäten Unterschiede fest, dass die einen vielleicht bereitwilliger Deutsch lernen wollen als die anderen?

Radosavlevic: Nein, nein, es hat überhaupt nichts mit den Nationalitäten zu tun, denke ich. Ich meine, ich habe da eine Klasse gehabt, meine allererste Klasse in München, das war am Hauptbahnhof in der Nähe, und da waren wirklich viele Migrantenkinder, und ich glaube, ich hatte in der Klasse von 19 Schülern, das war eine kleine Klasse, hatte ich einen deutschen Schüler. Und der, ich glaube, der konnte auch nicht viel besser Deutsch als die anderen Kinder. Also das kann man nicht so verallgemeinern.

Hans Ostermann: Nun spricht trotzdem der Bundesinnenminister von etwa 10 bis 15 Prozent, die nicht bereit sind, sich zu integrieren. Sie haben offensichtlich in München völlig andere Erfahrungen gesammelt. Woran liegt das?

Radosavlevic: Die Kinder, die wirklich Erfolg haben in der Schule, die kommen aus einem Elternhaus, wo die Kinder auch wirklich gefördert werden oder wo die Eltern dahinter sind. Zum Beispiel letztes Jahr hatten wir den qualifizierten Hauptschulabschluss, und der beste Schüler war ein türkischer Schüler komischerweise, ja, also überhaupt nicht komischerweise, weil ich führe es darauf zurück: Die Mutter war da sehr dahinter, dass der halt einfach lernt. Und dazu gehört natürlich, dass man vorwiegend sich auf Deutsch unterhält und unterstützt wird von zu Hause, denke ich.

Hans Ostermann: Die Kinder leben ja trotzdem zwischen zwei Welten: Sie sprechen zu Hause eine andere Sprache als in der Schule. Welche Probleme bringt das mit sich?

Radosavlevic: Das kann man vielleicht nicht so sagen, dass sie wirklich in zwei Welten leben. Also in der Klasse ist es so: Normalerweise sprechen die Kinder deutsch, aber wenn jetzt zum Beispiel, also zu viele Schüler von einer Nationalität in einer Klasse sind, sei es jetzt, dass sehr viele Türken in der Klasse sind oder sehr viele Jugoslawen also beziehungsweise Serben oder Bosnier oder was auch immer, bilden sich einfach Gruppen, in denen vorwiegend, wenn sie untereinander sprechen, einfach ihre Muttersprache sprechen. Das ist das eigentliche Problem. Und ich denke einfach, es wäre sinnvoller, die Klassen anders einzuteilen.

Hans Ostermann: Nun gibt es ja nicht nur Musterkinder, von denen Sie eben gesprochen haben, sondern es gibt natürlich auch Kinder, die schwer zu motivieren sind. Wo setzen Sie da an im schulischen Alltag?

Radosavlevic: Ja, da gibt es eine ganze Menge Geschichten. Also wir versuchen, das zum Beispiel über Patenprojekte hinzukriegen, und das interessiert die Kinder, weil in diesen Patenprojekten, da wird nicht nur gelernt, sondern da kriegt zum Beispiel ein Kind einen Paten zugewiesen, der mit dem Kind auch einfach mal was unternimmt. Einmal die Woche wird sich da getroffen und dann geht man vielleicht mal in den Zoo oder ins Kino oder was auch immer. Aber es wird auch gelernt.

Und das ist ein Ansatzpunkt, der funktioniert ganz gut. Auch durch das Zusammensein mit dem Paten, die ja meistens eher deutsch sind, lernen die Kinder auch einen Teil der Kultur, und das ist wichtig. Die meisten Kinder bei mir in der Klasse, die kennen einfach nicht so viel von der deutschen Kultur an sich, so Sachen, die Kinder schon erlebt haben, bevor sie in die Schule kommen – sei es die Feiertage, die Feste, all so Kleinigkeiten. Das kennen die Kinder eigentlich nicht.

Hans Ostermann: Trotzdem: Wie groß ist der Druck, den Sie manchmal auch ausüben müssen? Was machen Sie, wenn jemand wiederholt die Hausaufgaben nicht gemacht hat?

Radosavlevic: Ja, das … dann müssen die Kinder meistens nachsitzen und dann die Sachen nachholen, natürlich die üblichen Sachen: die Eltern informieren, und immer wieder beharrlich darauf bestehen, dass die Kinder die Aufgaben machen. Da hilft nichts.

Hans Ostermann: Viele fordern ja jetzt. verstärkt Lehrer mit Migrationshintergrund einzusetzen. Welche Vorteile hätte das aus Ihrer Sicht?

Radosavlevic: Ja, da habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, ob das jetzt wirklich ein Vorteil ist, vielleicht einfach, dass die Kinder sehen, okay, der kommt auch aus einem anderen Land, hat vielleicht sogar die gleiche Nationalität, und der hat es auch zu etwas gebracht. Und das ist eine Möglichkeit, dass da einfach der Vorbildcharakter sehr stark da ist, und auf der anderen Seite: Natürlich kann ich mich als – ich habe ja auch einen Migrationshintergrund –, kann ich mich auch relativ gut in die Kinder hineinversetzen. Das wäre ein guter Ansatz.

Hans Ostermann: Ich sprach mit Jovan Radosavlevic, einem Hauptschullehrer in München. Ich danke Ihnen sehr und wünsche heute einen schönen Schultag!

Radosavlevic: Vielen Dank!

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