Hauptsache mobil

05.11.2007
Allen Warnungen zum Trotz: Die Zahl der Autos steigt weltweit ebenso wie die per Flugzeug zurückgelegten Strecken. Winfried Wolf analysiert in seinem Buch "Verkehr. Umwelt. Klima." die Folgen des Tempowahns und plädiert für eine Entschleunigung des Lebens.
Das Buch plädiert für eine Entschleunigung des Lebens, denn der Tempowahn unserer Zeit zeitigt fatale Folgen. Das gilt vor allem für den Individualverkehr, das Versprechen der persönlichen Freiheit. Allen Politikerbeteuerungen zum Trotz wird weltweit der PKW-Verkehr gefördert. Seit 1950 wuchs die Autoflotte laut UN-Klimabericht fünfmal schneller als die Weltbevölkerung.

In den USA kommt bald auf jeden Bewohner, von Säugling bis zum Greis, ein Kraftfahrzeug. Osteuropa hat seit dem Fall der Mauer kräftig aufgeholt. Und selbst China und Indien scheinen sich am Verkehrsleitbild des Westens zu orientieren, auch wenn die Autozahlen noch weit hinter denen des Westens zurückliegen.

Eine bedrohliche Entwicklung bedenkt man, welche Klimaschäden das Auto mit seinem CO2-Ausstoß verursacht. Zudem werden die externen Kosten des Autoverkehrs ständig verharmlost oder unter den Teppich gekehrt.

Dramatisch ist auch die Entwicklung des Luftverkehrs, bei der Winfried Wolf noch nicht einmal den enormen Anstieg der Flugreisen durch die Billigflieger berücksichtigt hat. In Europa ist der Flugverkehr zwischen 1980 bis 2004 immerhin um mehr als das Dreifache angestiegen. Das Flugzeuge ausgesprochen klimaschädlich sind, ist keine neue Erkenntnis.

Geradezu systematisch werden laut Wolf die verkehrs- und umweltpolitisch vernünftigen Alternativen, der öffentliche Nahverkehr und die Eisenbahn, behindert und diskriminiert. Das klingt übertrieben. Werden nicht überall Schnellgeschwindigkeitsstrecken gebaut, um die Leute aus Auto und Flugzeug wieder in den Zug zu bringen?

Pure Augenwischerei, meint der Autor und bringt dafür zahlreiche Belege. Danach steigt zwar die Zahl der Bahnkilometer für schnelle Verbindungen. Aber dafür schrumpft das Streckennetz. Vor allem die Privatisierung wirkt sich hier fatal aus. Immer mehr regionale Verbindungen fallen weg oder die Taktzeiten der Züge werden massiv zurückgefahren. Bedient werden nur noch lukrative Strecken. Gleichzeitig wird die Zahl der Beschäftigten drastisch reduziert. Darunter leiden natürlich Service und Sicherheit. Der Reisekomfort sinkt ebenfalls. Selbst die neuen Riesenbahnhöfe in Deutschland dienen weniger dem Bahnkunden als dem Einzelhandel. Es sind, formuliert Wolf ironisch, "Geschäftswelten mit Gleisanschluss". Zahlreiche kleinere Bahnhöfe werden geschlossen.

Die Begründung, mit der Privatisierung würde die öffentliche Hand entlastet, entlarvt Winfried Wolf als Augenwischerei. Ganz im Gegenteil: Wo auch immer privatisiert wurde, stiegen die Schienensubventionen, teilweise um das Dreifache. Die Gewinne der privaten Betreiber schmälerte das aber nicht. Sie haben es häufig auf die Grundstücke der Bahnen abgesehen, die oft in bester Großstadtlage zu finden sind und daher einen enormen Immobilienwert darstellen.

Nichts deutet, so belegt Winfried Wolf gründlich anhand jüngster Statistiken, auf eine Verkehrswende hin - allen Klima-Sonntagsreden zum Trotz. Das Buch listet systematisch und sehr detailliert alle Umweltsünden des Verkehrs auf. Seine heftige, bissige, teilweise ironische, allerdings immer gut begründete Kritik ist nicht neu, nur umfangreicher als in anderen Büchern zum Thema. Im Unterschied zu vielen geht der Autor in der Verkehrsgeschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück, skizziert kritisch die Entwicklung der verschiedenen Verkehrsmittel bis heute.

Herausgekommen ist ein voluminöses, eng bedrucktes, fast schon lexikalisches Nachschlagewerk zu allen Aspekten des Verkehrs. Es endet mit sieben Tugenden einer alternativen Verkehrsorganisation. Dort plädiert der Autor unter anderem für Verkehrsvermeidung, öffentlichen Nahverkehr, fußgänger- und fahrradfreundliche Städte sowie autofreie Stadtzonen. Keine neuen Forderungen, dennoch sinnvolle. Das gilt für das ganze Buch. Es hat das Format und die Qualität eines Standardwerkes.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Winfried Wolf: Verkehr. Umwelt. Klima. – Die Globalisierung des Tempowahns
Promedia Verlag Wien 2007
495 Seiten, 34,90 Euro