Gut und kurz

Von Susanne Burg · 06.02.2009
Es ist ein gutes Jahr für den Kurzfilm. Die "Berlinale Shorts" entwickeln Thesen, trauen sich was, haben eine Idee und führen sie konsequent durch. Inhaltlich regiert das Grau. Die Welt ist ein dunkler Ort. Hier ersticken Väter ihre Babys, die in der Ukraine mit HIV geboren werden, junge Frauen finden den Tod und junge Männer werden erschlagen oder geköpft.
Herr Karpf sitzt in seiner Wohnung, in einem grünen T-Shirt und Boxershorts. Er hat Geburtstag und wartet darauf, dass ihn jemand anruft. Aber es ruft niemand an. Als sich schließlich jemand meldet, ist das Mobiltelefon auf Vibrationsalarm gestellt und er findet es nicht. Er ruft sich selber an und es ist so lange besetzt, dass niemand durchkommt. Zehn Minuten lang verfolgt die Kamera Herrn Karpf bei diesem Elend, verfolgt ihn, wie er sich zunehmend selber Stress macht.

"Die Leiden des Herrn Karpf. Der Geburtstag" von Lola Randl ist einer der Beiträge des diesjährigen Kurzfilmfestivals und er ist brillant. Ein kurzer Film über die Einsamkeit und Entfremdung des Großstadtmenschen. Formal zurückhaltend, witzig und spielerisch.

Erst nach ein paar Minuten reimt man sich zusammen, dass dies kein Dokumentarfilm, sondern dass alles inszeniert ist. Und man lernt: Herr Karpf befindet sich nicht ganz alleine in der Wohnung. Da ist noch die Kamera, der die Regisseurin Lola Randl eine ganz eigene Rolle zuschreibt.

"Diese Kamera, da frage ich mich manchmal, wer ist die: Er spricht mit der Kamera, dann erklärt er wieder ganz pedantisch irgendwas, wie irgendwas funktioniert oder wie gut die Salbe ist und wer ist die Kamera? Ich glaube, nicht Über-Ich, aber eine Gewissensinstanz, die bei ihm zu Hause ist und die ihm was vormacht. Wie man selber sich auch was vormacht."

Deutschland ist in diesem Jahr mit fünf Filmen stark vertreten bei den Berlinale Shorts. Alle Filme sind formal und inhaltlich ganz unterschiedlich - wie auch die Beiträge aus Russland, Rumänien, Kuba oder Paraguay. Es wird experimentiert, animiert, es gibt Dokumentarfilm und einen Schwarz-Weiß-Western.

Keiner der Filmemacher allerdings hat versucht, mit der Ästhetik von selbstgemachten Internet-Videos zu konkurrieren, so die Leiterin der Sektion Maike Mia Höhne:

"Ein Trend in diesem Jahr und der spiegelt sich auch in anderen Sektionen das Jahr, dass wider allem digitalen Trend die Leute zurück zum Material greifen, auf Film drehen, Film bearbeiten, bei Video so tun, als ob es Film wäre, es geht um eine Wahrhaftigkeit, um eine neue Identifizierungsmöglichkeit, dasselbe passiert auf verschiedenen Ebenen auch beim Ton, es geht um eine genaue Tonarbeit, genaues Hinhören, nicht so zuklatschen mit Musik, sondern im Moment bleiben."

Inhaltlich regiert das Grau. Die Welt ist ein dunkler Ort. Hier ersticken Väter ihre Babys, die in der Ukraine mit HIV geboren werden, junge Frauen finden den Tod und junge Männer werden erschlagen oder geköpft. Das alles vollzieht sich unaufgeregt. Die Menschen nehmen ihr Schicksal hin, kaum einer schreit und manchmal wird gleich ganz geschwiegen. So in "Kain", einem Sechsminüter aus Belgien von Kristof Hoornaert. Die Vögel zwitschern an einem warmen sonnigen Sommertag, während ein Mann dem anderen immer wieder einen Stein auf den Kopf haut.

"Die Kraft der kurzen Filme ist die, dass sie frei entstanden sind, niemand, der was anderes will, nur ich stimme das an und das ist eine ganz eigene Kraft und sie ist besonders, sie entwickeln eine eigene Handsprache, müssen sie auch."

Lola Randl hat ihre ganz eigene Form gefunden. Die 28-jährige Nachwuchsregisseurin macht serielle Kurzfilme. Drei Zehnminüter über Herrn Karpf gibt es jetzt. Und jedes Mal trägt er sein grünes T-Shirt, läuft durch seine Wohnung und hat ein Problem.

"Toll, dass man etwas auf den Punkt bringen muss und die Problematik des Herrn Karpf wäre eigentlich gar nicht auszuhalten als Langfilm."

Es ist ein gutes Jahr für den Kurzfilm. Die Narration ist zurückgekehrt. Die Filme entwickeln Thesen, trauen sich was, haben eine Idee und führen sie konsequent durch. Und auch kommerziell ist der Kurzfilm wieder im Aufwind. Die Kurzfilmagentur in Hamburg beliefert mittlerweile 60 Kinos bundesweit, und das Videoportal Maxdome, betrieben vom Pro-Sieben-Konzern, hat gerade bekannt gegeben, dass sie künftig auch Kurzfilme zum Abruf einstellen wollen.