Gut ausgebildet und arbeitslos

Von Jochen Faget · 22.08.2013
Kein Job, keine Zukunft - die junge Generation in Portugal leidet besonders unter der Krise. Selbst hochqualifizierte Männder und Frauen finden keine Arbeit, sondern müssen sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Eine ganze Generation fühlt sich um ihre Zukunft betrogen.
"Mensch, bin ich blöd."

Das Lied "Parva que sou" wurde zum Hit im Krisenland Portugal. Zu einer Hymne verzweifelter junger Menschen, die keinen Ausweg mehr sehen: 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Instabilität, Unsicherheit, Perspektivenlosigkeit. Und keine Aussicht, dass sich etwas ändert, solange die Sparpolitik im Land weiter geht.

Der 25-jährige Alexandre Cunha sitzt an einem Computer im Jugendzentrum der mittelportugiesischen Stadt Caldas da Rainha, weiter hinten spielen Schüler Tischfußball. Alexandre sucht im Internet nach Jobangeboten.

"Ab und zu taucht tatsächlich etwas auf und ich hoffe, ein bisschen Geld zu verdienen. Sogar das Vorstellungsgespräch kann gut laufen, aber dann wird es doch nichts. Wir sind einfach so viele Arbeitslose, dass wir uns gegenseitig auf die Füße treten."

So geht es jetzt schon fast sei drei Jahren: Der studierte Designer weiß längst nicht mehr, wie viele Bewerbungen er schon geschrieben, wie viele negative Antworten er bereits erhalten hat. Aber Alexandre weiß, dass er keine Ausnahme ist:

"Die Mehrheit meiner Kollegen, die Mehrheit der Jugendlichen, die ich kenne, kann nur mit der Hilfe ihrer Familien überleben. Ich wohne noch bei meiner Mutter und ohne ihre Hilfe hätte ich wahrscheinlich längst emigrieren müssen."

Aber auch das hat niemand erwartet: Portugals Jugend protestiert immer lauter, geht auf die Straße. In der Hauptstadt Lissabon zu zehntausenden. Selbst im konservativen Provinzstädtchen Caldas da Rainha waren es ein paar Tausend, die nach Aufrufen im Internet für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen demonstrierten, freut sich der Arbeitslose Alexandre Cunha:

"Ich habe verschiedene Protestaktionen mitorganisiert. Wir waren überrascht, dass selbst hier zur größten Demo über 3000 Jugendliche gekommen sind. Es ist beeindruckend, wie viele Verzweifelte und Unzufriedene es inzwischen überall im Land gibt."

Rund 20 Jahre lang hatten alte Politiker jungen Menschen eine bessere Zukunft versprochen und - gleichsam zum Beweis ihrer Prophezeiungen – ihnen eine Weltausstellung 1998 in Lissabon und eine nicht minder bombastische Fußball-Europameisterschaft 2004 geboten. Dann war Portugal schon wieder das Armenhaus Europas. Dumm gelaufen, meint der Soziologieprofessor Pedro Vasconcelos:

Viel versprochen, wenig gehalten
"Durch die Modernisierung des Bildungssystems hatten viele Jugendliche die Chance, sich aufs Höchste zu qualifizieren. Jetzt werden deren Hoffnungen auf sozialen Aufstieg und wirtschaftliche Verbesserung brutal enttäuscht. Es wurde viel versprochen und wenig eingehalten. Darum herrscht jetzt Enttäuschung. Enttäuschung, die nicht nur das Selbstwertgefühl der Jugendlichen zerstört. Sie fühlen sich betrogen, sehen keine Zukunft. Sie sind von ihrem Heimatland enttäuscht."

Die wenigen jungen Portugiesen, die eine Arbeit haben, schuften für 500 bis 700 Euro im Monat. Sie machen alle erdenklichen Jobs, als Scheinselbstständige oder mit Zeitverträgen. Normalerweise in Bereichen, die ganz und gar nichts mit dem zu tun haben, was sie studierten, erzählt die gerade wieder einmal arbeitslos gewordene Rechtsanwältin Sandra Pimentel:

"Ich habe schon in einer Bar bedient, war in einer Hotelrezeption angestellt. Ich habe Bankkundendaten in Computer eingegeben und im Call Center einer Versicherung gearbeitet."

Alles immer ohne Festanstellung. Darum habe sie jetzt auch kein Anrecht auf Arbeitslosengeld oder irgendeine andere staatliche Unterstützung. Ein menschenunwürdiges Leben, sagt sie. Dabei hat Sandra ihre Ansprüche schon stark zurückgefahren:

"Ich will doch nur eine dauerhafte Arbeit. Nicht einmal eine fürs ganze Leben, aber wenigstens eine Anstellung. Ich erwarte nicht, dass es für immer wäre. Wir müssen uns damit abfinden, dass sich das geändert hat."

Was sich alles geändert hat und noch immer – und zwar grundlegend - ändert, versucht der Soziologe Pedro Vasconcelos zu erklären:

"Die junge Generation erlebt zur Zeit Veränderungen mit völlig unsicherem Ausgang. Sie integriert sich in den Arbeitsmarkt und muss ihn wieder verlassen. Junge Menschen ziehen bei den Eltern erst aus - und dann wieder ein, weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können. Wegen dieser Lage auf dem Arbeitsmarkt können sie einfach nicht selbstständig werden."

Dumm gelaufen, sagt sich auch der Hochschuldozent João Neves aus der mittelportugiesischen Stadt Leiria. Der 30-Jährige lehrt Wirtschaft an der örtlichen Fachhochschule. Natürlich mit einem auf ein Studienjahr begrenzten Zeitvertrag, für gerade einmal 1300 Euro netto im Monat.

"Mein Vertrag läuft alle Jahre am 30. Juli aus und es heißt immer, das sei der letzte. Dann wird er doch erneuert, aber die Unsicherheit ist unerträglich. Gerade haben sie mir einen neuen Vertrag versprochen, ich glaub es aber erst, wenn ich ihn nächstes Schuljahr unterschreibe."

João unterhält sich mit einem Kollegen, Kaffeepause zwischen Examen. Die Cafeteria der Hochschule ist riesig, fast luxuriös. Ebenso wie der vor wenigen Jahren neu gebaute Campus: Viel Grün zwischen noch mehr Beton und Glas, modernste Vorlesungssäle und bestausgerüstete Laboratorien. Büros mit Blick auf die Autobahn, alles gebaut mit EU-Millionen, die bis vor wenigen Jahren überreichlich flossen. Nur reicht jetzt das Geld nicht mehr für Professorengehälter. Portugal will darum die Angebote im Hochschulbereich verringern.

"Hochschulen werden geschlossen werden, die Studentenzahlen werden reduziert. Allein in diesem Jahr wurden über 2000 Studienplätze weniger ausgeschrieben. Viele Hochschulen werden zu besseren Berufsschulen werden."

Eigentlich habe er die Schnauze voll, macht João seinem Ärger Luft. Nur habe er eben keine Alternative:

"Wir müssen uns alles gefallen lassen. Unsere Zeitverträge sind eigentlich illegal, wir akzeptieren sie wegen der dramatischen Situation trotzdem. Denn so haben wir wenigstens Arbeit. Aber mein Einkommen ist inzwischen um 30 Prozent zurückgegangen."

Junge Portugiesen, die einen Job haben, müssten für immer weniger Geld immer mehr arbeiten, stellt auch der Wirtschaftshistoriker José Maria Castro Caldas fest, der am angesehenen Zentrum für Soziale Studien der Universität Coimbra forscht:

Rückfall in vergangen gelaubte Zeiten
"Sie müssen sich den Forderungen der Arbeitgeberseite bedingungslos unterwerfen. Forderungen, die in einem Arbeitsverhältnis eigentlich unvorstellbar und unakzeptabel sind: Überlange Arbeitszeiten und vertragsfremde Tätigkeiten, wie sie eigentlich nur während der Diktatur vor 1974 möglich waren. Das alles erinnert an Zeiten, von denen wir hofften, dass sie längst vorbei wären."

Die in der Geschichte Portugals am besten ausgebildete Generation kann im eigenen Land nicht überleben! Darum wandern immer mehr Jugendliche aus, suchen ihr Glück als Hotelzimmermädchen in der Schweiz, verdingen sich als Ingenieure in Deutschland und Angola, arbeiten als Krankenschwestern und Pfleger in England. Auch der Hochschuldozent João hat bereits mit dem Gedanken gespielt, wegzugehen. Doch das sei nicht leicht, gibt er zu:

"Natürlich hält mich die Tatsache, dass ich noch Arbeit habe, in Portugal. Aber schließlich habe ich auch mein ganzes Leben hier – die Familie und meine Freunde. Aber wenn ich meinen Job verliere, muss ich weggehen. Hier würde mich kein Unternehmen einstellen. Die wollen alle nur Billigstarbeiter, einen wie mich interessiert die nicht."

Während João so lang wie möglich in Portugal bleiben will, hat sein Kollege Nuno Reis sich bereits damit abgefunden, eher früher, als später auswandern zu müssen:

"Nicht etwa langfristig, sondern mittelfristig werde ich weggehen. Der schlecht bezahlte Job, den ich hier nur auf Zeit habe, ist irgendwann weg. Und dann will und werde ich emigrieren."

Portugal könne seinen jungen Bürgern schlicht und ergreifend keine Zukunft mehr bieten:

"Wir hören schon zu lange dieses Krisengerede, bereits seit der Jahrtausendwende geht das so. Unser Land ist ein chronisches Krisenland mit schlechten Aussichten. Aber niemand hat sich träumen lassen, dass es so schlimm würde."

Zumindest die jungen Portugiesen seien nicht mehr so passiv und friedfertig, wie die Generation ihrer Eltern, meint Alexandre:

"Die Portugiesen mögen bis jetzt ja eher still gehalten haben, es mag eine Tendenz gegeben haben, sich alles gefallen zu lassen und abzuwarten, was geschieht. Aber jetzt ist diese Passivität verschwunden. Ich sehe überall Protest und Zorn über die Lage."

Portugals Jugend fühle sich betrogen, stellt der Soziologe Pedro Vasconcelos fest. Um ihre Chancen, um ihre Zukunft, um ihr Leben:

Alles nur eine große Lüge?
"Jahrelang wurde der Jugend eingeredet, die Lage des Landes werde sich verbessern, Portugal würde es gut gehen, so wie den anderen Ländern der EU. Und jetzt sieht es so aus, als ob das alles falsch gewesen sei. Zur Desillusion über vergebene Chancen kommt da die Desillusion über die Lage des Landes. Alles scheint eine große Lüge gewesen zu sein."

Portugals Politiker müssten sich auf eine härtere Gangart der Jugend einstellen, warnt auch der Wirtschaftshistoriker José Maria Castro Caldas. Die Grenzen der Leidensbereitschaft und der Leidensfähigkeit seien erreicht:

"Die Spannung, die Unzufriedenheit und die Auflehnung nehmen zu. Noch verhindert die Angst das Schlimmste. Aber der Ärger wird irgendwann durchbrechen. Auf eine unerwartete und noch unvorstellbare Art."

"Ich gehöre zur Generation, die das nicht mehr aushält", singt Deolinda in ihrem Frust-Hit. "Das dauert alles schon viel zu lang. Mensch, ich bin doch nicht blöd."

Immer, wenn die Gruppe das singt, tobt und rast das jugendliche Publikum. Denn Portugals Jugend will nicht mehr für die Fehler bezahlen, die die Politiker des Landes in den vergangenen Jahren gemacht haben. Auch, weil sie inzwischen so gut ausgebildet ist.

Er habe Design studiert, weil er helfen wollte, sein Land besser zu machen, sagt Alexandre Cunha aus dem Provinzstädtchen Caldas da Rainha. Er wollte und will seine Heimatstadt, die jetzt kein Geld hat, ihn dafür zu bezahlen, lebenswerter gestalten. So blöd kann diese Idee, kann dieser Wunsch doch nicht gewesen sein.