Gustav Mahlers Fünfte in der Berliner Philharmonie

Meeresbilder und Lagunenschmerz

Der Dirigent und Geiger Pietari Inkinen
Der Dirigent und Geiger Pietari Inkinen © Jukka Mykkänen/ks-gasteig
05.04.2015
Dieser Moment bietet eine grandiose Chance: Der finnische Geiger und Dirigent Pietari Inkinen ist spontan beim DSO eingesprungen. Dort dirigiert er am Osterwochenende Gustav Mahlers Fünfte Sinfonie, Christianne Stotijn singt außerdem Edward Elgars "Sea Pictures".
Das ist der "Elgar", wie man ihn sich nicht besser vorstellen könnte: Melancholisch, ein bisschen nostalgisch, hingebungsvoll, was lyrische Naturbilder anbelangt, so romantisch wie möglich - in seinen fünf Liedern für Mezzosopran und Orchester, den Meeresbildern ("Sea Pictures op. 37), lotet Edward Elgar einen eigenen Weg aus zwischen Wagnerscher Überwältigungstechnik und klassischer Formstrenge. Erstaunlich bei diesen Liedern aus dem Jahr 1889 ist die fühlbare Nähe zur Musik Gustav Mahlers. Es gibt nichts, was die fünf Gedichtvertonungen wirklich miteinander verbindet, außer ein mehr oder minder starker Bezug zum Meer, allerdings an verschiedenen Gestaden. Besonders am Herzen lag dem Komponisten das zweite Lied - ein Liebesgedicht seiner Gattin Caroline Alice mit dem Titel "Im Himmel (Capri)".
Die niederländische Mezzosopranistin Christianne Stotijn hat sich vor allem auf Klavier- und Orchesterlied konzentriert. Dass sie auch bei der englischen Sängerin Dame Janet Baker studiert hat, gibt ihr eine besondere Authentizität im englischen Repertoire, hat doch Dame Janet Baker wiederum eine legendäre Aufnahme der "Sea-Pictures" von Elgar unter dem Dirigenten Sir John Barbirolli gemacht.
Von der Sehnsuchtsinsel Capri des Ehepaars Elgar und vieler anderer Engländer ist es nicht so weit bis nach Venedig. Die Lagunenstadt assoziiert die ganze Welt seit Viscontis Thomas Mann-Verfilmung "Der Tod in Venedig" mit dem Adagietto aus Gustav Mahlers Fünfter Sinfonie. Der Film hat in diesem Film nachträglich ein "Sea-Picture" kreiert. Ansonsten lebt auch diese Mahler-Sinfonie natürlich vor allem davon, dass in ihr "meeresferne" K.-u.-k.-Folklore aufscheint, die der Komponist mit viel Weltschmerz verarbeitet und mit einem nicht weniger Wagnerschen Überschwang verbunden hat, der schon bei Edward Elgar zu finden ist.
Jaap van Zweden musste dieses Konzert absagen. Stattdessen dirigiert Pietari Inkinen das Programm ohne Änderungen.
Der finnische Dirigent Pietari Inkinen wird demnächst 35 Jahre alt. Er gehört zu den international äußerst erfolgreichen Nachwuchskünstlern aus dem nordosteuropäischen "Land der Musik". Seit 2008 ist er Music Director des New Zealand Symphony Orchestra. Vor fünf Jahren war er mit diesem Orchester und der Geigerin Hilary Hahn auf einer großen Tournee durch Europa. Seit 2009 ist er zudem erster Gastdirigent des Japan Philharmonic Orchestra. Im Sommer wird er auch noch Chefdirigent der Prager Symphoniker und Chefdirigent der Ludwigsburger Schlossfestspiele.
An der Sibelius-Akademie und bei Zakhar Bron an der Kölner Musikhochschule hat Inkinen Violine studiert. Der Beginn seiner Karriere als Solist und als Dirigent fand natürlich in Finnland statt, wo die vielen hervorragenden Orchester frühzeitig jungen Musikern die Chance für Auftritte bieten. Am liebsten verbindet Pietari Inkinen seine beiden Talente und leitet als konzertierender Geiger Orchester wie demnächst auch bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, wo er an einem Abend das Doppelkonzert von Johann Sebastian Bach gemeinsam mit Gustavo Surgik spielen und die Sinfonische Dichung "Kullervo" von Jean Sibelius dirigieren wird. Deutschlandradio Kultur überträgt dieses Konzert live am 15. Mai 2015.
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 4. April 2015
Edward Elgar
"Sea Pictures" für Mezzosopran und Orchester op. 37
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5 cis-Moll
Christianne Stotijn, Mezzosopran
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Pietari Inkinen