Goldschmiedekunst zwischen Himmel und Hölle

Von Kirsten Westhuis · 25.02.2012
Die Münsteraner Ausstellung über Goldschmiedekunst im Mittelalter verdeutlicht, wie stark die Goldschmiedekunst und das Stiftungswesen mit der Theologie und der Frömmigkeit des Mittelalters zusammenhängen. 300 kirchliche Exponate zeigen, wie sehr man Gold sinnbildlich für das Göttliche sah.
Mit einem Holzstäbchen und einem Wattebausch poliert der Restaurator Peter Bolg den silbernen Prudentia-Schrein auf Hochglanz. Er ist eines der besonders kostbaren Mittelalter- Schätze, die in der Münsteraner Ausstellung "Goldene Pracht" gezeigt werden:

"Ich muss sagen, die Leute haben was gekonnt. Auf jeden Fall waren die in diesen Arbeiten, was das figürliche anbetrifft, perfekt."

Das Volk der westfälischen Stadt Beckum hatte den silbernen Reliquien- Schrein zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Auftrag gegeben - als Stiftung für die Pfarrkirche Sankt Stephanus und damit zugleich als Beitrag für das Seelenheil des Einzelnen. Denn die Rettung der Seele vor den Höllenqualen bestimmte im Mittelalter das Weltbild der Menschen, erläutert der Historiker Gerd Althoff:

"Man hat in dieser Zeit einmal gedroht mit der ewigen Verdammnis, auf der anderen Seite aber auch dem Sünder Wege gewiesen, wie er diese ewige Verdammnis vermeiden könne. Und das ging durch gute Werke. Und diese Guten Werke sind unter anderem in der Ausstellung zu sehen: Man hat im Grunde genommen gestiftet.

Man nennt das die "do ut des- Theologie": ich gebe etwas, damit du was gibst. Allerdings ist der Weg nicht so direkt, dass man für die Gabe eine Gegenleistung bekommt. Für die Gabe bekommt man zunächst Gebete und Messfeiern und Bitten an Gott und der lässt sich dann im Grunde genommen zur Milde erweichen und verzeiht dem Sünder Sündenstrafen, die ansonsten seine Zeit - so ist ja das theologische Modell - in einem Zwischenraum, in dem, was man Fegefeuer nennt, verkürzen und vor allen Dingen die Gefahr abwendet, dass wenn das Jüngste Gericht kommt, dass man dann in der Hölle endet."

Aus diesem angstbesetzten Glauben heraus erblühte das Stiftungswesen. Die frühen Stifter waren Adelige und hohe Kleriker, später stifteten auch mehr und mehr Kaufleute und andere wohlhabende Bürger. Die Kirche nahm die Gaben an und erbrachte dann im Gegenzug die fromme Dienstleistung. Sonderangebote, Vorzugskonditionen, Nachfrage und Angebot - es gab sogar Umrechnungstabellen, wie viele Messen oder Gebete die Tilgung einer Sündenstrafe "kostete". Gerd Althoff:

"Ein Totschlag braucht sicherlich erheblich mehr als hundert Messen und die Zahlen gehen immer schnell in die Hunderte und Tausende und deswegen waren ja alle Stifter und überhaupt alle Menschen darauf angewiesen, dass diese Gebetshilfe, die auch noch nach dem Tode wirksam war, dass die möglichst lange geleistet wurde."
Am besten bis in alle Ewigkeit. So verfügten Adelige in ihren Testamenten zum Beispiel, dass jährlich an ihrem Todestag jeder, der für sie bete, ein reichhaltiges Festmahl erhalten solle; dass an diesem Tag alle Armen gespeist würden, oder ähnlich attraktive Belohnungen für die Lebenden. Wieder andere ließen eigene Klöster errichten mit der Aufgabe, einzig für die Familie zu beten. Besonders beliebt waren Stiftungen in Form kostbarer Kreuze, Monstranzen, Kelche und anderer Gegenstände für die Liturgie. Oft waren sie mit dem Namen oder dem Bild des Stifters versehen, sodass es bei der Messfeier kein Vorbei am Gedenken der Person geben konnte. So kam ein ganzer Schatz an Goldschmiedekunst zustande, sagt Bistumskurator Holger Kempkens:

"Das ist natürlich die seit dem Mittelalter nie verstummende Anklage: wie passt das zusammen mit dem von Christus gepredigten Armutsideal. Es gibt einige Bibelstellen, auf die man sich berufen kann. Das ist zum einen im Alten Testament, wo im Buch Exodus geschildert wird, dass diese Dinge aus Gold und Edelsteinen hergestellt werde sollen, die reinsten Materialien, um eben der Reinheit Gottes zu entsprechen."

Vielleicht habe der ein oder andere Stifter auch eher eitel als demütig gehandelt und seinen irdischen Reichtum in den Stiftungen zur Schau stellen wollen. Aber das sei eine doch sehr moderne Interpretation, sagt Professor Gerd Althoff. Die Rettung der Seele prägte das gesamte mittelalterliche Leben - durch alle Schichten:

"Ich würde größten Wert darauf legen, dass das ein allgemeines Bewusstsein ist, es gibt ja auch häufiger die Vorwürfe, als ob die Priester selber an diese Sache nicht geglaubt hätten und quasi das Volk in Angst und Schrecken versetzt hätten, das halte ich für eine modernes Missverständnis. Es ist ein allgemeines Weltbild, das erst mit der Reformation überwunden worden ist und heute natürlich unsere Mentalität nicht mehr prägt."

Eine ganz eigene, ferne Welt hinter der mittelalterlichen Goldschmiedekunst macht die Ausstellung "Goldene Pracht" zugänglich. Sie ist in elf Kapitel unterteilt und auf die Räume des LWL-Landemuseums für Kunst- und Kulturgeschichte und die Domkammer der Sankt Paulus-Kathedralkirche verteilt. Die mehr als 300 Exponate kommen aus ganz Europa, etwa aus Belgien, Frankreich oder Großbritannien. Besonders interessant sind die Stücke, die eng mit der Westfälischen Geschichte zusammen-hängen. So wurde etwa ein Stück aus dem Osnabrücker Domschatz wiederentdeckt, das im 30jährigen Krieg als Auslöse diente und über Schweden nach Finnland gelangte. Oder der silberne Prudentia-Schrein aus dem westfälischen Beckum, der einiges über das Handwerk der damaligen Zeit verrät. Kurator Holger Kempkens:

"Der Schrein wurde angefertigt von drei Goldschmieden, die uns freundlicherweise ihre Namen auf dem Schrein hinterlassen haben. Wenn man hier schaut, unterhalb der thronenden Maria beginnt es, da kann man den Namen Renfridus lesen, dann Hermanus und Sifridus, das sind also die drei Goldschmiede, die in einer Kooperation diesen Schrein gefertigt haben. Aufgrund von kunsthistorischen Analysen kann man annehmen, dass sie ihre Tätigkeit in Osnabrück ausgeübt haben."

Renfridus, Hermanus und Sifridus aus Osnabrück - das klingt eher nach grobem Handwerk als nach Kunst. Doch die lokalen Goldschmiede seien auf keinen Fall zu unterschätzen, betont Holger Kempkens. In der Ausstellung werden den westfälischen Exponaten Kunsthandwerke aus belgischen oder französischen Werkstätten gegenübergestellt. Doch die Bedeutung der sakralen Mittelalterkunst für die heutige Identität Westfalens sieht Historiker Gerd Althoff kritisch:

"Auf der einen Seite kann man sagen, natürlich, warum soll man nicht ungebrochen stolz sein auf irgendwelche Leistungen, die in dem Raum in dem man lebt in erbracht worden sind. Auf der anderen Seite würde ich sofort warnen, wenn man daraus für uns heute jetzt sagt aha, da haben wir doch den Beweis: Westfalen ist nicht provinziell und ähnliches, das sind Rückschlüsse, die man besser lassen sollte. Man sollte den Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben durchaus attestieren, dass sie bestimmte Leistungen erbracht haben, dass sie von einer bestimmten Mentalität auch geprägt waren."

Goldener Glanz über der westfälischen Geschichte? Die Ausstellung eröffnet auf jeden Fall einen ganz eigenen Zugang zur Lebenswelt und Theologie des Mittelalters. Bis zur Eröffnung am 26. Februar poliert der Restaurator Peter Bolg die außergewöhnlichen mittelalterlichen Kunstwerke auf Hochglanz.:

"Also, es ist ein Glück, wenn man an so was arbeiten darf und die damaligen Gold- beziehungsweise Silberschmiede waren bestimmt sehr, sehr stolz, dass sie sowas herstellen durften, und ich bin halt stolz darauf, dass ich an sowas arbeiten darf."

Weiterführende Informationen:

Ausstellung Goldene Pracht in Münster
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