"Glücksschweine" von Markus Liske

Berlin im Love-Peace-and-Happiness-Rausch

Partygäste
Drogen, und dann Feiern, bis der Arzt kommt: Dieser Zeitvertreib war auch in den 90er Jahren in Mode © picture alliance/dpa/Foto: Arno Burgi
Von Gerrit Bartels · 20.07.2016
Der Berliner Autor und Musiker Markus Liske hat mit "Glücksschweine" einen Neunzigerjahre-Roman geschrieben, der allerdings auch auf andere Dekaden verweist. Ansonsten: Beziehungswirrwarr, Trauerarbeit, Clubkultur, Drogen - alles dabei.
Es gibt in diesem Roman einen Dialog, der ganz gut auf die Fülle der neunziger Jahre verweist, insbesondere auf ihre popkulturelle Fülle. Max, der Held und Ich-Erzähler von "Glücksschweine", erzählt seinem Freund Colin, dass er das Nirvana-MTV-Unplugged-Album geschenkt bekommen hat und wie er das findet: nämlich gar nicht so traurig. Woraufhin Colin sich entsetzt: "Wie bist du denn drauf? Kurt Cobain? Das ist doch der größte Verbrecher! Man darf dich einfach nicht aus den Augen lassen. Leg dir’ n guten Techno auf, zieh’ ne Line und hab’ Spaß mit deiner Nymphe."
Hier Nirvana, der Selbstmord von Cobain im Jahre 1994 und Rock, dort Sex, Drogen, Techno – in diesem Spannungsfeld bewegt sich der Berliner Autor und Musiker Markus Liske mit seinem Roman "Glücksschweine", der explizit ein Neunzigerjahre-Roman sein soll. Der Prolog beginnt mit dem Satz "Hier sind die Neunziger – erinnerst du dich noch?" und liefert ein paar politische Eckdaten dieses Jahrzehnts, aber auch die Erkenntnis, dass die Zeit stets im Fluss ist und Dekaden nie so eindeutig in ihren historisch-gesellschaftlichen Ausprägungen zu bestimmen sind.

Max ist nach Südostasien geflüchtet

Das wirkt zunächst arg didaktisch. Doch Liske, der 1967 in Bremen geboren wurde, zerstreut jede Befürchtung sofort, es hier mit einem staksigen Thesenbuch zu tun zu haben. Er lässt "Glücksschweine" gar nicht in Berlin beginnen, wie man denken könnte, sondern in Südostasien, in Thailand und Kambodscha. Dorthin hat Max sich geradezu geflüchtet, gleich für mehrere Monate, um sich unter anderem Klarheit darüber zu verschaffen, ob er seine Freundin Nina nun wirklich zugunsten seiner Geliebten Peebles verlassen soll.
Nach seiner Rückkehr weiß er Bescheid: Peebles! Doch die nächste Erfahrung, die er macht, ist um einiges existentieller als seine Asienerlebnisse. Sein bester Freund Marvin hat sich mit einem Sturz von einem Hochhausbalkon das Leben genommen. Liske erzählt dann, wie Max und sein Freundeskreis diesen Selbstmord zu verarbeiten versuchen.
Dabei hat man den Eindruck, dass die Berliner Neunzigerjahre, der Roman spielt 1995, noch gar nicht richtig angefangen haben. Max wohnt in Wilmersdorf, beginnt einen Kabelträger-Job beim ZDF in Tempelhof, Freundinnen von ihm scheinen vor allem Grufti-Mädchen zu sein. Und auch die Musik, die er immer wieder hört, kommt wie sein durchgehend schwarzes Outfit direkt aus den achtziger Jahren: The Smiths, The Cure, Joy Division, Soft Cell.

Beziehungswirrwarr und Trauerarbeit

Beziehungswirrwarr, Trauerarbeit, Achtzigerjahre, zudem ein paar Prisen Siebzigerjahre-Innerlichkeit – aber nur wenig Neunziger. Das ändert sich erst, als Max beschließt, das Jammern sein zu lassen und nach vorn zu schauen. Er lässt nach der Lektüre von Theweleits "Buch der Könige II" seine Magisterarbeit über Gottfried Benn liegen und stürzt sich ins Nachtleben: ins E-Werk, den Tresor, den Kit-Kat-Club, die GoGo-Bar, die Schönhauser 5, mit vielen neuen Drogen versteht sich, dargereicht als Pillen und Pülverchen, was ihm in Hände und in den Schlund kommt.
Obwohl jetzt noch weniger passiert und Max sich ziellos treiben lässt, nimmt Liskes seltsam zweigeteilter, manchmal etwas verlaberter, bisweilen mit mancher skurriler Geschichte aufwartender Roman plötzlich Fahrt auf. Der Titel bekommt seinen Clubkultur-konnotierten Sinn, Berlin ist im Love-Peace-and-Happiness-Rausch (schaut sich aber auch Christos verhüllten Reichstag an oder Käthe Bs Wohnung in Mitte) und wird von Max noch einmal ganz anders und neu entdeckt, gerade in Mitte und Prenzlauer Berg.

Entspannen lernen ist angesagt

"Glücksschweine" erinnert in seinem zweiten Teil an Bücher wie Rainer Schmidts "Liebestänze" oder Ju Innerhofers "Die Bar", ohne ein reiner Clubkultur-Roman zu sein. Da ist allein Max vor, der mit seiner Alles-Egal-Haltung, seiner Drogenliebe, seinen ungeklärten Beziehungsgeschichten, seinem Desinteresse am sonstigen Zeitgeschehen eher an Spätachtziger-Helden wie Sven Regeners Herrn Lehmann erinnert. Entspannen lernen ist angesagt. Und kehren die Achtziger nicht sowieso in Pop und Mode alle Jubeljahre wieder? Und die Erinnerungskunst? Die braucht Dekaden sowieso nur als Rahmen, die besteht vor allem aus Geschichten, wie Markus Liske und sein Held am Ende wissen, "die einander überlagern, ein Netzwerk alternativer Realitäten bilden, das alles durchdringt".

Markus Liske: "Glücksschweine"
Verbrecher Verlag, Berlin 2016
298 Seiten, 22 Euro

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