Glaube und Essen

Genuss mit Gottes Segen?

Eine zubereitete Gans festlich dekoriert
Guten Gewissens gemeinsam genießen: Die Weihnachtsgans © picture alliance / dpa / Ursula Düren
24.12.2014
Für viele ist Weihnachten vor allem ein Fest des üppigen Essens. Ein schlechtes Gewissen müsse man deswegen nicht haben, meint der Theologe Guido Fuchs. Man finde in der Bibel viele Beispiele dafür, dass wir genießen dürften.
Lust am Essen und Christentum - für viele passt das nicht gut zusammen. Denn Bescheidenheit, Enthaltsamkeit und Askese spielen in der Religion eine große Rolle. Dem Theologen Guido Fuchs zufolge ist die Bibel aber durchaus aufgeschlossen gegenüber Gaumenfreuden. So finde man darin viele Beispiele dafür, dass wir genießen dürften und sollten.
Es geht beim Essen eher ums "Wie" als ums "Was"
"Gott schenkt uns seine Schöpfung. Seinen Spuren folgt Überfluss, heißt es sogar einmal in den Psalmen", sagte Fuchs, der an der Universität Würzburg Liturgiewissenschaft lehrt. Es gehe in der Bibel nicht so sehr darum, was man esse, sondern wie. "Wir wissen ja von Jesus im Grunde auch fast nichts, was er gegessen hat, aber dass er sehr gern mit anderen Menschen gegessen hat, in Mahlgemeinschaften war, sich mit den Menschen unterhalten hat und auf die Art und Weise auch sein Evangelium verkündet hat."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Man nimmt sich das eigentlich jedes Jahr vor, man nimmt sich vor, ein wenig zurückhaltender zu sein, aber dann klappt es doch nicht: Weihnachten ist einfach auch ein Fest des üppigen Essens, für viele zumindest, und deshalb für manche auch eines des schlechten Gewissens. Ernährungswissenschaftlich kann man gewisse Nachteile des reichhaltigen Genusses von Lebkuchen, Christstollen und Gänsefleisch auch nicht bestreiten. Theologisch aber ist das Ganze nicht so klar. Wir wollen deshalb mit Guido Fuchs reden. Er ist außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaften der Universität Würzburg und er ist unter anderem auch Autor der Bücher "Gott und Gaumen" und "Gastlichkeit. Ihre Theologie, Spiritualität und Praxis im Gottesdienst". Schönen guten Morgen, Herr Fuchs!
Guido Fuchs: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich will, ich gebe es zu, wegen meines eigenen Verhaltens auch ein bisschen die Absolution von Ihnen! Ich bin ja regelrecht lebkuchenabhängig und habe viel Lebkuchen gegessen. Aber das kann ja nicht so schlimm sein, da steckt ja das Religiöse, das Christliche eigentlich schon im Namen, oder?
Lebkuchen als Arznei
Fuchs: Es gibt ganz unterschiedliche Deutungen des Namens Lebkuchen, aber es gibt auch eine schöne Deutung, dass das Wort Leb aus dem Althochdeutschen stammt und so viel wie Heil- und Arzneimittel bedeutet.
Und das hat vielleicht den Hintergrund, dass man in den Klöstern früher ja auch Gärten angelegt hat für Arzneimittel und entsprechende Pflanzen gezüchtet hat. Und die daraus gewonnenen Säfte hat man dann als Medizin bereitet und nicht in Tablettenform wie heute verabreicht, sondern sie verarbeitet in einen Teig, in einen Lebkuchen, und den in der Zeit von Weihnachten und vielleicht auch davor verteilt und verschenkt.
Und das ist an sich eine schöne Bedeutung, weil, es wird uns ja heute der Heiland geboren, und da steckt das Wort "heil" ja auch mit drin.
Fisch als Fasten- und Festspeise
Kassel: Gibt es denn auch andere Lebensmittel, die wir zu dieser Jahreszeit zu uns nehmen, wo man ganz direkten oder wenigstens einen indirekten religiösen Bezug herstellen kann?
Fuchs: Also, das Weihnachtsfest hat ja sehr unterschiedliche Hintergründe. Es war zum Beispiel der 24. Dezember jahrhundertelang ein Fasttag, ein Abstinenztag, deswegen halten sich auch viele Menschen auch heute noch ein bisschen zurück, an diesem Tag, und feiern dann erst morgen richtig mit einem schönen Festessen. Der Fisch hängt damit aber auch zusammen, der Fisch ist einerseits Fastenspeise, aber andererseits auch Festspeise, gerade im Christentum hat er ja eine besondere Bedeutung. Also, hier spiegelt sich das Fest auch in den Speisen wider.
Kassel: Manche Gläubige finden ja, ein guter Christ müsse sich ständig um Enthaltsamkeit bemühen. Sind denn die Lust, die Freude am Essen und das Christentum im Grunde genommen nicht kompatibel?
Fuchs: Also, dieser Zug kam natürlich schon in der Geschichte der Christenheit vor, vor allem aber durch die Mönche geprägt, durch die Klöster. Im Grunde aber finden wir auch in der Bibel sehr viele Beispiele dafür, dass wir genießen dürfen und sollen. Gott schenkt uns seine Schöpfung. Seinen Spuren folgt Überfluss, heißt es sogar einmal in den Psalmen, und davon sollen wir auch genießen dürfen. Aber eben immer in einem rechten Bezug auch zur Schöpfung.
"Jesus hat gern mit anderen Menschen gegessen"
Kassel: In einem rechten Bezug an Weihnachten bedeutet doch wahrscheinlich auch, es kommt nicht nur darauf an, was man isst oder gar wie viel, sondern auch in welcher Umgebung, in welcher Art und Weise man das tut?
Fuchs: Das ist sicher im Christentum eine ganz große Bedeutung. Es geht hier gar nicht so sehr darum, was man isst, sondern wie man isst. Wir wissen ja von Jesus im Grunde auch fast nichts, was er gegessen hat, aber dass er sehr gern mit anderen Menschen gegessen hat, in Mahlgemeinschaften war, sich mit den Menschen unterhalten hat und auf die Art und Weise auch sein Evangelium verkündet hat.
Kassel: Das heißt, man könnte so ein bisschen die Ausrede benutzen, ich habe zu viel gegessen, aber ich habe dabei mich auch ganz angenehm mit allen meinen Freunden unterhalten?
Fuchs: Also, ja, könnte man so sagen. Wenn das Essen allen wohlgetan hat an in dem Sinne, dann war es auch mal recht, ja.
Kassel: Ich habe schon erwähnt, eines Ihrer Themen, nicht nur, aber auch, in Ihrem Buch ist ja das Essen in der Kirche. Da muss ich nun zugeben: Da war ich zunächst überrascht. Findet das auch in Deutschland statt, essen in Kirchen?
Fuchs: Ja, ich muss sagen, ich war auch überrascht, als ich mich angefangen habe damit zu beschäftigen. Weil, in der katholischen Kirche ist das quasi ausgeschlossen, aber in den evangelischen Kirchen findet das sehr häufig statt, dass ein Gottesdienst zum Beispiel im Rahmen eines Essens auch gefeiert wird: ein Frühstücksgottesdienst oder ein Abendmahl mit Abendessen. Oder dass man im Anschluss an den Gottesdienst noch zusammenbleibt und gemeinsam isst und trinkt, etwa an Erntedank.
Auch an Weihnachten gibt's dafür Beispiele, sogar in katholischen Kirchen. Es gibt die Gemeinschaft Sant'Egidio, die lädt jedes Jahr am 25. Dezember die Armen zu einem Weihnachtsmahl in der Kirche ein. Mancherorts nicht nur in der Kirche oder nicht in der Kirche, aber eben auch in Kirchen. So hat das auch schon 1982 begonnen in Rom: In der Basilika Santa Maria in Trastevere wurden die Armen zu einem Essen eingeladen.
Das Profane heiligen: Essen in der Kirche
Kassel: Sie sind ja selber auch Katholik, Herr Fuchs. Ist es nicht bei katholischen Christen ein bisschen so, dass man erst mal denkt, das ist doch eine Entweihung eines heiligen Raums, der Kirche, wenn man da plötzlich üppiges Essen auftischt?
Fuchs: Ja, das ist sicherlich der Grund, dass man sagt, das sozusagen Profane soll draußen bleiben, das hat in diesem heiligen Raum nichts zu tun. Andererseits ist ja auch gerade durch die Menschwerdung Gottes an Weihnachten, die wir an Weihnachten feiern, ja auch das Profane ein Stück geheiligt worden. Und wenn man das im richtigen Maß macht, es geht ja auch hier nicht um das vordergründige Essen und Trinken, dann kann man sicherlich auch im Kirchenraum miteinander Mahl halten und feiern.
Kassel: Der Theologe und Autor des Buches "Gott und Gaumen" Professor Guido Fuchs mit einer guten Nachricht für Christen, die Weihnachten auch mit gutem Essen verbinden: Genießen Sie die Feiertage mit den beiden Gs, der Gans und dem guten Gewissen – streng genommen schon drei Gs! Herr Fuchs, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen guten und genussreichen Appetit, wo auch immer Sie essen an Weihnachten!
Fuchs: Gesegnete Feiertage, Herr Kassel!
Kassel: Danke schön, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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