Glamour in Görlitz

Von Ernst Ludwig von Aster · 04.02.2009
Im März kam Kate Winslet. Zu Dreharbeiten von "Der Vorleser". Im November Quentin Tarantino. Und drehte "Inglorious Bastards". "Hollywood-Glamour in Görlitz" frohlockt die örtliche Presse. In den letzten Jahren hat sich die Neiße-Stadt zur veritablen Filmkulisse für internationale Produktionen entwickelt.
Lautes Lachen hallt über den Görlitzer Untermarkt. Drei Frauen stehen vor einem Hausportal aus dem 15. Jahrhundert. Gucken, lachen und staunen. Links das große Rathaus, die ältesten Teile aus dem 14. Jahrhundert, in der Mitte des Platzes die frisch renovierte "Alte Börse" von 1706. 400 Jahre Architekturgeschichte auf engstem Raum:

"Wir haben gesehen, dass es ein Haus gibt wo schon viele Filme gedreht worden sind, das ist uns von unserer Görlitzer Freundin ganz toll erklärt worden."

Die Freundin steht im Hintergrund. Und lächelt. Erzählen kann sie über Görlitz eine Menge: Deutschlands östlichste Stadt. An der Neiße. Mit mehr als 3000 Baudenkmälern, unter anderem dem einzigen Jugendstilkaufhaus der Republik.

"Und dann hast Du uns noch gesagt, das Hollywood-Filme; Augenblick wie war das noch mal?"
"Das Hollywood-Filme, weil es so eine intakte Stadt ist, auch gedreht wurden. Und da haben wir natürlich mit großen Ohren zugehört."

Das Lächeln der Freundin wird noch etwas breiter. Glamour in Görlitz. Hollywood in der sächsischen 58.000-Einwohnerstadt – das macht Eindruck. Auch auf ihre Freundinnen aus Düsseldorf.

"Warte mal, was hast Du gerade gesagt, der kommt jetzt ins Kino, der Vorleser, genau, der Vorleser war das von dem Schlink ..... und dann von dem Kai Wang."
"Jackie Chan"

Ob Heidelberg in Schlinks "Vorleser", oder New York und Paris in Jules Vernes " In 80 Tagen um die Welt" – alles Görlitz. Bewundernd nicken die Düsseldorferinnen. Lassen andächtig den Blick über den Untermarkt schweifen.

"Die kleinen Balkone, ja wenn man darüber nachdenkt, mich erinnert Görlitz unheimlich an Italien. Italienische Städte, auch wenn es jetzt so kalt ist. Und das Flair auf den Straßen fehlt."

Gut 200 Meter weiter, in der Brüderstraße, verlässt Eberhard Klinger seine Galerie der Gegenwartskunst, geht einige Schritte nach links.

"Hier war abgesperrt und der Untermarkt war vollkommen umgebaut und es war das Paris des 18. Jahrhunderts."

Als Görlitz in Hollywood Premiere hatte. In der 116 Millionen-Euro-Produktion "In 80 Tagen um die Welt" wurde die Klein- zur Weltstadt, Görlitz zum alten Paris. Noch heute findet man die auf alt gemachten französischen Reklameschilder im Stadtbild. "Vin de Bourgogne" hängt über der örtlichen Weinhandlung, das Schild "Boulangerie" steht im Fenster einer Arbeitsvermittlungsgesellschaft.

"... ich meine, es ist auch jetzt eine dolle Kulisse im Original, aber ich muss sage, diese Filmkulisse hat also auch vielen Beteiligte, mit denen ich gesprochen habe, sehr gut gefallen. Die haben gesagt: Das könnten wir doch dranlassen, hähä, also so ein bisschen Paris würde uns auch ganz gut tun."

Eberhard Klinger war auch Teil der Kulisse. Ausstaffiert mit silbergrauem Gehrock, Hut und Stock flanierte er für eine Woche über den Untermarkt. War einer der ersten Görlitz-Statisten für Hollywood:

"Ein Lebemann, es hat mir viel Spaß gemacht in diesem Aufzug mal durch meine Heimatstadt zu spazieren ..."

Und nebenbei auch noch die Filmarbeiten zu beobachten. Den Aufbau einer riesigen Statue in der Altstadt etwa, den Auftritt von Regisseur und Action-Star Jackie Chan,

"der Jackie Chan, der ist dann in der einen Szene vom Seil hier von dem letzen Gebäude, hat sich praktisch darauf geschwungen. Also das lässt er sich auch nicht nehmen, obwohl er auch schon ein paar Knochenbrüche und Beinbrüche hinter sich hat, aber das lässt er sich nicht nehmen, aber dich denke im Alter wird er jetzt auch ein bisschen ruhiger."

Eberhard Klinger lächelt. Sechs Jahre ist das her. Seine Premiere als Statist. Und Görlitz Premiere als Filmstadt. Seitdem wird immer wieder hier gedreht. Und Eberhard Klinger wartet auf seine nächste Rolle:

"Ich habe mich dann auch beim Vorleser beworben und so, tja, da gab es kein Interesse, aus welchen Gründen weiß ich nicht."

Müßig darüber nachzudenken, sagt der 60-Jährige. Er ist sich sicher, dass bald wieder in Görlitz gedreht wird. Und er sich bewerben wird ...

"Es kommen ganz konkrete Anfragen zu Grundstücken, andererseits werden auch Motivanfragen gestellt, wo uns Bilder zugesandt werden, wie sich das Motiv gestalten soll. Und wir suchen dann."

Mit schnellem Schritt eilt Manuela Barthel, eingemummelt in eine weiße Steppjacke, einen roten Ordner unter dem Arm, über den Görlitzer Obermarkt. Sie arbeitet für die Stadtverwaltung, Abteilung Liegenschaften, ist zuständig für die Betreuung der öffentlichen Grundstücke. Und die Wünsche der Filmindustrie.

"Wir versuchen alles möglich zu machen, damit wir hier als Filmstadt bekannt werden."

Und darum ist Manuela Barthel immer auf der Suche. Nach passenden Drehorten. Wenn die Filmgesellschaften anfragen. Die schätzen vor allem den architektonischen Stil-Mix der 58.000-Einwohnerstadt. Und das geschlossene Altstadtensemble, das in großen Teilen verkehrsberuhigt ist.

"Wir haben über 3000 Denkmale in der Stadt in geschlossener Reihe im Wesentlichen aus allen Baustilen, Renaissance, Gotik, Barock und da sind wir ganz besonders stolz darauf."

Und da findet sich eigentlich für jeden etwas, sagt sie. Für wen sie heute auf der Suche ist, das darf sie aber nicht verraten. Film-Geheimnis. Die Objekte der Begierde:

"Wir haben wieder Anfragen insbesondere zu engen Gassen und Straßen in der Stadt. Und da gibt es ja auch genügend in der Altstadt, ich denke die können wir beantworten die Anfrage."

Gut 300 Meter weiter, im Rathaus in der alten Jägerkaserne, laufen die Drähte zusammen, wenn Görlitz zum Drehort wird.

"Wir werden in der Regel vorher antelefoniert."

Sagt Frank Elmenthaler, der Leiter der Straßenverkehrsbehörde. Ein massiger Mann, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Auf seinem Aktenschrank liegen drei Polizeimützen. DDR-Volkspolizei, Nachwende-Polizei, sächsische Landespolizei. Alle hat er getragen. Auf dem Beistelltisch: Ein schwarz-weißer Winkstab aus DDR-Zeiten. Der "Reglerstab", sagt Elmenthaler. Heute regelt er die Filmarbeiten. Wie zuletzt beim "Vorleser":

"Es fing eigentlich damit an, dass es hieß, ja wir würden mal wieder gerne drehen wollen in der Stadt Görlitz. Und wir müssten doch mal darüber sprechen. Und dann haben wir uns getroffen. Und darüber gesprochen. Und dann kam es so peu a peu an dem Tag, was alles vorgesehen war, unter anderem diese großräumige Sperrung und Einsatz der Straßenbahn."

Einsatz einer historischen Straßenbahn auf den Görlitzer Gleisen, Absperrung eines Großteils der Innenstadt – die Wunschliste der "Vorleser"-Filmcrew.

"Vom Meter her wird das natürlich relativ schwierig werden. Ich kann es gerne mal versuchen etwas nachzumessen."

Elmenthaler greift zum Lineal. Geht zu einer Straßenkarte im Maßstab 1:1000, die an der Wand hängt.

"Also es war schon mindestens ne Steck von ca. 600-800 Metern die davon betroffen war, was jetzt die Straßenbahn betraf ..."

Elmenthaler trommelte Ordnungsamt- und Behörden zusammen, holte die Polizei an den Tisch, organisierte Intervallsperrungen der Straßen, änderte den Fahrplan der Straßenbahn.

"Bei der Straßenbahn war die Strecke gesperrt, weil auch das Fahrzeug ein anderes Stromsystem hatte als die regulären Bahnen. Und es gab Schienenersatzverkehr ne Zeit. Und der übliche Verkehr wurde halt um dieses Gebiet herumgeleitet mit Hilfe der Polizei ... das war mehrere Tage hintereinander."

Film ab in Görlitz. Vorfahrt für den Vorleser. Knapp eine Woche war eine der Hauptverkehrslinien gesperrt, große Teile der Innenstadt lahmgelegt. Proteste gab es kaum, sagt Elmenthaler. Dafür ein Hauch von Glamour in Görlitz.

"Wir haben immer mal die Möglichkeit am Filmset einfach mal mit zuzuschauen, also Sachen einfach mal zu sehen, die man sonst nicht zu sehen bekommt, sage ich mal."

Der Straßenverkehrsbehörden-Leiter lächelt. Etwas verschwörerisch. Einblicke für Eingeweihte.

"Na, zum Beispiel Kate Winslet in dem Fall, nahe dran."

Kate Winslet spielt im Vorleser die Straßenbahnschaffnerin "Hanna". Hat dafür bereits den Golden Globe gewonnen. Ist für den Oscar nominiert. Frank Elmenthaler hat sie gesehen. Von ganz nah.

"Sie kam halt an den Set gefahren zur Probe und stieg halt aus ihrem Fahrzeug neben mir aus, ging zur Straßenbahn, man war praktisch Teil der Filmcrew."

Der Straßenverkehrsamts-Leiter wird ein wenig rot. Lächelt versonnen. Geht dann zu seinem Schreibtisch, greift zu einem kleinen Zettel. Er hat noch einmal nachgerechnet, was der Stadt die Dreharbeiten gebracht haben. Finanziell. Der Görlitzer Anteil am Millionenbudget der Vorleser-Produktion. Der Preis für die Umwidmung einer Hauptverkehrsstraße, die Einstellung der Straßenbahn, die Organisation des Schienenersatzverkehrs, die Sperrung eines Teils der Innenstadt. Der Polizeieinsatz zur Verkehrsregelung.

"Ich kann ihnen gerne mal ne Summe sagen, was es ungefähr gekostet hat ... wir hatten also im Jahr 2007 ca. dreieinhalbtausend Euro eingenommen und 2008 ca. 7800 Euro ..."

Macht summa summarum 11.300 Euro.

"Die Stadtführer zeigen das auch, die werden auch danach gefragt."

Gefragt nach den Drehorten für den Film "Der Vorleser". Sagt Görlitz Oberbürgermeister Joachim Paulick.

"Und das ist schon so ein Stückchen Mehrwert, der auf jeden Fall bleibt, die Bekanntheit wächst dadurch."

Paulick steht in seinem Büro, im ersten Stock des historischen Rathauses, blickt auf den Untermarkt:

"Für den Vorleser ist hier die Marktszene gedreht worden, wo der junge Mann die Rose da kauft für seine Geliebte."

Filmarbeiten direkt vor seinem Fenster.

"Ja, lenkt manchmal ein bisschen ab, ist natürlich auch spannend."

Ein wenig Ablenkung für den Oberbürgermeister. Ein bisschen Glamour für Görlitz. Viele verließen in den letzten 20 Jahren die Stadt, zogen der Arbeit hinterher. Heute leben hier noch 58.000 Einwohner. "Viele alte Gebäude, wenig junge Bewohner", spotten Zugezogene. Eine Stadt mit den typischen "ostdeutschen Strukturproblemen", sagt Paulick. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren um die 20 Prozent. Da freut man sich, über jede gute Nachricht. Und jeden Besuch aus Hollywood:

"Auf den ersten Blick kam mir jemand sehr bekannt vor, es war dann auch Quentin Tarantino, zum Glück habe ich ihn wirklich erkannt und begrüßt. Aber es sind dann ganz lockere Typen, auch die die da mit waren. Und wir haben dann die Möglichkeit genutzt, ihnen das Rathaus den Untermarkt mit allen Möglichkeiten zu zeigen."

Quentin Tarantino, spätestens seit "Pulp Fiction" und "Kill Bill" ist er eine der Regie-Legenden Hollywoods. Auch er war auf Kulissensuche – in Görlitz. Joachim Paulick lächelt, greift zum Schlüssel, bittet ihm zu folgen. Will zeigen, was er Tarantino zeigte. Durch eine schwere Holztür geht es, durch alte Bogengänge, zum historischen Sitzungssaal.

"Das beeindruckt natürlich jeden amerikanischen Bürger.1564 Originalausstattung ... und das Portal ist 1450, ich weiß noch gar nicht, ob Columbus da schon geboren waren."

Altes Portal, alte Holztäfelung, alte Gemälde. Paulick protzte, Tarantino staunte.

"Da macht der Wow, da stehen die da und gucken ... das ist Geschichte pur zum Anfassen und vor allen Dingen auch nutzbar."

Auch für den neuen Tarantino-Film "Inglorious Bastards". Ein Remake eines Weltkriegs-Dramas, in dem eine Handvoll amerikanischer Soldaten hinter den deutschen Linien gegen die Nazis kämpft.""

"Und wir merkten dann schon, dass während dieses Ganges und des Gespräches die Pferde mit ihm durchgingen, also da wurden schon Szenen entwickelt, fast gespielt. Und es war eine Begeisterung da, da kam bei mir gleich das Gefühl auf, ich glaube den haben wir eingefangen."

Und so konnte Paulick einige Wochen später wieder aus dem Rathausfenster gucken. Und Hollywood in Aktion sehen:

"Beim Tarantino-Film gab es hier irgendwelche Kriegsszenen. Und das Beeindruckendste war, dass da oben von dem Dach, das werden so 25, 30 Meter Höhe sein, heruntergefallen ist."

"Wir hatten doch eigentlich immer die Aufgabe gehabt auf unseren Rathausturm zu schießen, der Herr Brühl, der von Good Bye Lenin, der stand da oben auf dem Rathausturm. Und wir mussten aus allen Richtungen versuchen ihn abzuschießen."

Enrico Deegen steht unter dem Rathausfenster. Auf dem Untermarkt. Den Rucksack voll mit Bio-Baby-Brei und Vitamin-Säften. Nachschub für die kranke Familie.

"Einmal bin ich dahinten links gestorben, beim Rathaus hinten links, dann bin ich hier nochmal genau vorm Rathaus zweimal gestorben. Und dann bin ich nochmal im Innenhof gestorben."

Deegen, 37 Jahre, Sozialarbeiter, ehemaliger Zivildienstleistender, bekennender Pazifist war an der Filmfront. Im Kampfeinsatz. Für Quentin Tarantino. Er hatte einen der wohl begehrtesten Statistenjobs der Republik.

"Es haben sich insgesamt wohl 4000 Leute beworben, für den ganzen Film halt, und nen Freund von mir hat da eher aus Spaß raus gesagt, komm wir bewerben uns da mal. Und dann kam halt die Rückantwort: Dein Gesicht passt: So ein bisschen kantig und so."

Deegen grinst. Der Dreh war für den ehemaligen Zivildienstleistender ein Crashkurs in Sachen Militärkunde.
"Und wir hatten noch so nen Major bekommen, der war extra aus Amerika da eingeflogen, der hat auch schon beim Soldat James Ryan mitgemacht, und der Major hat und so gesagt richtig Anzugsordnung, wie wir uns verhalten sollen und so."

Die anderen Statisten hatten fast alle Militärerfahrung, einige arbeiteten bei der Polizei. Deegen aber wusste noch nicht einmal, wie er sein Gewehr zu halten hatte.""

"Ich brauchte die volle Einweisung. Die anderen wussten gleich, wie was zu machen, ich hatte null Ahnung gehabt. Ich hatte da so einen Karabiner, der war 100 Jahre alt gewesen und da fiel immer der ganze Abzug raus. Also ich stand dann immer das: also wie denn jetzt?"

Doch der US-Major drillte den Pazifisten Degen. Bis der am Ende ballerte wie ein alter GI. Und Spaß daran hatte. Auch wenn Freunde und Bekannte spotteten: Über den schießenden Zivildienstleistenden in Uniform. Für den Kult-Regisseur Tarantino würde Deegen wieder zur Waffen greifen. Und nicht nur er.

"Die anderen die sind teilweise von Sachsen-Anhalt, Thüringen sind die angereist zum Drehtag, die hätten auch ohne Gage gespielt, die hätten sogar noch Geld gegeben, um mitzuspielen, die waren total heiß."

Hollywood an der Neiße. Film-Tourismus in Görlitz. Seit seinem Auftritt ist Enrico Deegen in einer Statisten-Datei gespeichert.

"Nen paar Wochen drauf hatten Studenten aus Babelsberg hier nen Filmdreh in Görlitz. Und wollten auch wieder. Die hatten mich angeschrieben gehabt. Aber das war Erkältung, Grippe das ging einfach nicht. Aber das ging natürlich runter wie Öl, wenn man gleich nochmal angefragt wird."

In Görlitz. Wenn es sich mal wieder um einen Film dreht …