Gianluigi Nuzzi: "Alles muss ans Licht"

Ein neues Vatileaks?

Papst Franziskus
Papst Franziskus hatte 2013 eine Reformkommission gegründet, um die finanzielle Situation des Vatikans zu untersuchen © picture alliance/dpa/Fabio Frustaci/Eidon
Von Thomas Migge · 08.11.2015
Dass es Veruntreuung und Geldverschwendung an der Kurie gibt, ist seit der sogenannten Vatileaks-Affäre bekannt. Der italienische Investigativ-Journalist Gianluigi Nuzzi hat jetzt nachgelegt und ein Buch mit neuen Enthüllungen veröffentlicht – auch gleich auf Deutsch.
"Dieser zweite Vatileaks-Skandal unterscheidet sich wesentlich vom ersten Skandal dieser Art 2012, als der Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. verhaftet wurde, weil er geheime Dokumente vom Schreibtisch des Papstes gestohlen hatte. In dem aktuellen Fall aber handelt es sich um Dokumente, die im Besitz der Reformkommission waren, die von Papst Franziskus 2013 mit dem Ziel gegründet wurde, die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Heiligen Stuhls zu untersuchen."
Für Andrea Tornielli, Vatikanexperte der Tageszeitung "La Stampa", ist das neue Buch seines Kollegen Gianluigi Nuzzi eine extrem wichtige Lektüre zum Verständnis der aktuellen Situation im Vatikan. Die brisanten Informationen für das neue Buch mit dem Titel "Alles muss ans Licht – Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes", darunter geheime Dokumente und Mitschnitte von Sitzungen mit dem Papst, hat Nuzzi wahrscheinlich von den beiden Anfang der Woche im Vatikan verhafteten Mitarbeitern der päpstlichen Reformkommission erhalten. Namen nennt er nicht.
Sein Buch wirft einen erstaunlichen Blick auf die Finanzen und das Finanzgebaren des Kirchenstaates. Wer geglaubt hatte, dass die Bemühungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu mehr Kontrolle in Sachen Wirtschaft und Finanzen Früchte trugen, wird eines Besseren belehrt. Gianluigi Nuzzi:
"Meine Recherchen für dieses Buch haben ergeben, dass die Reformgegner immer noch in der Kurie sitzen. Dort sind jene Leute, die nicht am status quo rütteln wollen. Denn es ist doch dieser Status quo, der ganz besondere Interesse, Machtinteressen, Lobbies am Leben erhält."
"Kosten außer Kontrolle"
Nuzzi veröffentlicht unter anderem den Mitschnitt eines Treffens des Papstes mit einigen Kardinälen am 3. Juli 2013. Darin wird Franziskus darüber informiert, dass es, Zitat, "unmöglich ist, die wahren Finanzen des Kirchenstaates auf den Punkt zu bringen".
Der Papst erfuhr auch, dass, Originalton, "die Kosten außer Kontrolle" sind. Franziskus habe daraufhin heftig reagiert und Klarheit eingefordert. Nuzzis neues Buch nennt zahllose Fälle undurchsichtiger Finanzaktivitäten. Im Fall von Selig- und Heiligsprechungsverfahren spricht der Autor sogar von illegaler Bereicherung:
"Um solche Selig- und Heiligsprechungsverfahren zu beginnen, mussten die Antragsteller bis zu 40 .000 Euro zahlen. Wo genau dieses Geld hin ging, ist nicht immer klar. Es existieren keine Nachweise über die Verwendung dieser Gelder! Es handelte sich um viel Geld. Allein während des Pontifikats von Johannes Paul II. wurden 1316 Personen selig- und 483 heilig gesprochen. Rund 400 Girokonten bei der Vatikanbank IOR wurden diesbezüglich blockiert und einige davon untersucht, doch Transparenz gibt es noch keine."
800-Millionen-Euro-Finanzloch in der Rentenkasse
In Nuzzis Buch ist auch von einem 800-Millionen-Euro-Finanzloch in der vatikanischen Rentenkasse die Rede, vom Verschwinden von Waren, darunter Lebensmittel, Medikamente und Kleidung, aus vatikaninternen Geschäften im Wert von circa 1,6 Millionen Euro und vom Chaos des immensen Immobilienbesitzes des Heiligen Stuhls. Und dann ist da auch der Fall des Peterspfennigs. Der "Denarius Sancti Petri" ist eine Geldsammlung, die jedes Jahr in sämtlichen katholischen Gemeinden, also auch in Deutschland, statt findet. Das Geld wird dem Papst geschickt, der es karitativen Einrichtungen zukommen lässt. Offiziell jedenfalls, so Nuzzi:
"Ich beziehe meine Einschätzung auf Daten aus den Jahren 2012 und 2013. Daraus wird deutlich, wohin diese Gelder fließen: Rund 60 Prozent wurden zum Stopfen von Finanzlöchern der Kurie im Vatikan benutzt. 20 Prozent wurden zu Investitionszwecken zur Seite gelegt. Nur 20 Prozent kamen also beim Papst an und flossen wahrscheinlich in karitative Einrichtungen. Also recht wenig. Ob es sich hierbei um Betrug am Gläubigen handelt? Nun, das muss jeder für sich selbst entscheiden."
Wie schon bei seinen vorhergehenden investigativen Büchern "Vatikan AG" und "Seine Heiligkeit" überrascht Nuzzi auch dieses Mal wieder mit einer Vielzahl präzise recherchierter Informationen. So präzise, dass es dem Vatikan bisher nicht gelungen ist, die von dem Journalisten gelieferten Informationen zu widerlegen. Wie aus dem Vatikan bekannt wurde, überlege man sich dieses Mal aber rechtliche Schritte gegen das Veröffentlichen geheimer vatikanischen Dokumente einzuleiten. Gianluigi Nuzzi lässt das kalt:
"Ich bin nur den Gesetzen meines Staates, also Italien, gegenüber verantwortlich. Nicht den Gesetzen eines anderen Staates. Wie in jeder anderen Demokratie hat auch in Italien ein Journalist immer noch das Recht, seine Rechercheergebnisse zu veröffentlichen".

Gianluigi Nuzzi: "Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes"
Verlag Ecowin, 384 Seiten
21,95 Euro

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