Gesichter des Islams: Mohammeds starke Gefährtinnen

Von Reinhard Baumgarten · 20.12.2010
Wo der Koran konservativ bis extremistisch ausgelegt wird, werden Frauen aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen und ihrer Bürgerrechte beraubt. Aber auch diejenigen, die in der muslimischen Welt für die Rechte von Frauen kämpfen, berufen sich auf den Koran.
"O Menschheit. Seid euch eures Erhalters bewusst, der euch aus einer einzigen lebenden Wesenheit erschaffen hat und aus ihr Partnerwesen erschuf und aus beiden eine Vielzahl von Männern und Frauen verbreitete. Koran Sure 4 Die Frauen, Vers eins."

Am Anfang der neuen Religion, zu Beginn des 7. Jahrhunderts, steht eine besondere Beziehung zwischen einem außergewöhnlichen Mann und einer ungewöhnlichen Frau. Khadidscha bint Khuwailid ist 40 Jahre alt, als sie dem 15 Jahre jüngeren Mohammed ibn Abdallah die Ehe anträgt. Jahrelang hat Mohammed, der sich in seiner Heimatstadt Mekka den Ehrentitel al-Amīn – der Redliche – erworben hat, für die erfolgreiche Kaufmannsfrau gearbeitet. Die zweifache Witwe und Mutter Khadidscha ist den Quellen zufolge eine wohlhabende und selbstbewusste Geschäftsfrau, in deren Auftrag der junge Mohammed Gewinn bringenden Handel treibt. Mohammed entstammt einem verarmten Zweig des Mekka beherrschenden Stammes der Qureisch. Er willigt in die Heirat mit der vermögenden Unternehmerin ein. Zeit seiner Ehe mit Khadidscha heiratet Mohammed keine weitere Frau, obwohl die Vielehe damals in Arabien üblich ist. Gemeinsam haben sie der Überlieferung nach sechs Kinder – zwei früh verstorbene Söhne sowie vier Töchter.

"Und unter seinen Wundern ist dies: Er erschafft für Euch Partnerwesen aus eurer eigenen Art, auf dass ihr ihnen zuneigen möget. Und Er ruft Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch hervor. Hierin, siehe, sind fürwahr Botschaften für Leute, die denken. Koran Sure 30 Die Byzantiner, Vers 21."

Mohammed und Khadidscha bleiben fast ein Vierteljahrhundert miteinander verbunden. Zahlreiche Überlieferungen beschreiben das Verhältnis zwischen den Eheleuten als von großer Liebe und gegenseitigem Respekt geprägt. Mohammed habe sich um die Kinder gekümmert und er habe auch bei der Hausarbeit geholfen. Die beiden führen, den islamischen Quellen zufolge, eine gleichberechtigte Ehe ohne Zwang. Es ist die erste muslimische Ehe, die zum Prototyp des Verhältnisses von Männern und Frauen im Islam hätte werden können. Aber sie wird es nicht, weil der über Jahrhunderte gewachsene Drang der Männer überwiegt, die Frauen beherrschen zu müssen.

Die herausragende Bedeutung Khadidschas für ihren Ehemann sowie bei der Entstehung des Islams kann nicht verhindern, dass sich Frauen im Laufe der islamischen Geschichte immer neuen von Männern entworfenen Regeln beugen müssen. Denn vieles, was der Prophet an sozialen Veränderungen ins Werk setzt, widerspricht den bis dahin geltenden patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen Arabiens:

"Die Männer sollen einen Nutzen haben von dem, was sie verdienen. Und die Frauen sollen einen Nutzen haben von dem, was sie verdienen. Bittet deshalb Gott um seine Huld."

Erbrecht für Frauen, Mitbestimmung in der Ehe, eigenes Einkommen, Gleichheit vor Gott – vielen Muslimen gehen diese Neuerungen schon zu Lebzeiten des Propheten deutlich zu weit. Nach dessen Tod drehen der traditionellen Geschlechtertrennung verhaftete Gelehrte und Herrscher das Rad der Entwicklung nach und nach zurück.

"Frauen waren immer am Entstehen von Geschichte und Gesellschaft beteiligt."

Hatoon Al-Fāsi ist Professorin an der König Saud Universität in Riad. In keinem islamischen Land der Gegenwart sind die Rechte von Frauen so eingeschränkt, ist das Verhältnis von Männern und Frauen derart reglementiert wie in Saudi-Arabien, dem Ursprungsland des Islams:

"Wir haben ein Frauenproblem. Die Stellung der Frauen steht weder im Einklang mit der islamischen Lehre noch damit, wie ihre Stellung im heutigen modernen Leben sein sollte. Ich glaube, das ist kein originäres Problem des Islams, Arabiens oder der Geschichte als solches. Wir haben ein Problem mit Modernität."

Verhüllungsgebot und Kopftuchzwang in der Öffentlichkeit; Reisen und Berufstätigkeit nur mit männlicher Erlaubnis; Kontaktverbot zu nichtverwandten Männern – das alles im Namen jener Religion, die vor 1400 Jahren auf dem Boden Arabiens ungeahnte soziale und politische Umwälzungen eingeleitet hat. Die Grundsätze von damals, davon ist der in Oxford lehrende Islamwissenschaftler Tariq Ramadan überzeugt, gelten noch heute:

"Wenn es um Rechte, die richtige Arbeit, um Geld oder den sozialen Status geht, dann hat der Islam keine Probleme mit Frauen. Aber Muslime haben sie. Wir müssen uns hier die Muslime vornehmen. Ich sage immer: Die größten Probleme für die Frauen stellen nicht die schriftlichen Quellen dar, sondern die Männer."

Liebe und Barmherzigkeit soll die Grundlage für die Ehe zwischen Mann und Frau im Islam sein. Zwangsehen hat der Prophet Mohammed, den islamischen Quellen zufolge, in mehreren "Hadith" genannten Aussagen zurückgewiesen.

"Was jene Frauen angeht, deren Widerspenstigkeit Ihr Grund zu fürchten habt, ermahnt sie (zuerst), dann lasst sie allein im Bett, dann schlagt sie, und wenn sie daraufhin auf euch acht geben, sucht nicht ihnen zu schaden. Koran Sure 4 Die Frauen, Vers 34."

Über keinen Koranvers, der sich mit dem Verhältnis von Frauen und Männern befasst, wird so heftig und kontrovers diskutiert wie über diesen. Der Vers wird vor rund 1380 Jahren in einer Phase verkündet, in der immer mehr Männer um ihre innerfamiliäre Dominanz fürchten, weil den Frauen durch koranische Offenbarungen mehr Rechte zugestanden werden und sie gegenüber ihren Männern mit neuem Selbstbewusstsein auftreten. Frauen gelten nicht mehr als Besitz ihrer Männer, denen sie jederzeit zu Diensten sein müssen. Das anhaltende Murren der Männer zeigt Wirkung.

Khadidscha war eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Frei in ihren Entscheidungen, führte sie ein selbstbewusstes Leben. Sie kannte keinen Schleier, sie war Teil des öffentlichen Lebens ihrer Heimatstadt; ihr Wirkungskreis beschränkte sich nicht auf ihre vier eigenen Wände. Sie war eine für ihre Zeit außergewöhnliche und ungemein selbstständige Frau, die an der Entstehung des neuen Glaubens entscheidenden Einfluss hatte. Sie war es, die dem deutlich jüngeren Mohammed die Ehe anbot. Er wusste, dass er eine zweifache Witwe und Mutter und keine Jungfrau ehelichte.

Umso bedauerlicher ist es, wie wenig dieses besondere Verhältnis zwischen dem Propheten und seiner ersten Gemahlin die Beziehung der Geschlechter im Islam in den vergangenen Jahrhunderten geprägt hat. Umso erschreckender ist es, dass noch immer muslimische Frauen im Namen der Ehre ermordet werden. Doch Khadidscha ist nicht vergessen, wie Fauzia Shoukri im marokkanischen Fes mit leuchtenden Augen betont. Die 32-jährige ist Modemacherin und betreibt in ihrer Heimatstadt ein Atelier mit einem halben Dutzend Beschäftigten:

"Ich wäre gerne wie die Frau des Propheten, so wie Khadija. Sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, und unser Prophet hat bei ihr gearbeitet. Mein Mann arbeitet auch bei mir, in diesem Jahr wird er seinen eigenen Laden aufmachen. Am Anfang hatte ich immer noch das Gefühl, dass ich seine Chefin bin, aber mit der Zeit habe ich bemerkt, dass ich zwischen Chefin während der Arbeit und Ehefrau unterscheiden muss. Ich muss ihn respektieren und auf ihn hören. Er war manchmal eifersüchtig, wenn ich viel mit den Männern über die Arbeit geredet habe. Aber nachdem er mich gut kennen gelernt hat, sind solche Sachen vorbei. Ich habe das Gefühl, dass ich schon von den Frauen des Propheten etwas gelernt habe."

Nichts brauchen islamischen Länder dringender als selbstständige und selbstbewusste Frauen, sagt Nadir Fergani. Der ägyptische Sozialwissenschaftler war im Auftrag der Vereinten Nationen jahrelang für die Berichte zur Menschlichen Entwicklung in den arabischen Ländern zuständig. Für ihn steht außer Frage, dass die Ausgrenzung von Frauen wesentlich zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rückständigkeit vieler muslimischer Länder beiträgt:

"Ich denke, die wissenschaftliche Literatur hat erkannt, dass Frauen im Durchschnitt mehr Potenzial haben als Männer. Eine Gesellschaft, die Frauen also unterdrückt, unterdrückt nicht nur die Hälfte ihres Potenzials, sondern unterdrückt sogar einen noch größeren Anteil als die Hälfte ihres kreativen Potenzials. Es bedeutet Verlust von Potenzial, nicht nur für das Individuum, sondern auch für die gesamte Gesellschaft und die Welt. Ich denke, dass die Welt weitaus produktiver wäre, produktiver und menschlicher, wenn Mädchen die ihnen zustehenden Rechte am Tage ihrer Geburt bekommen würden."

Es sind die Rechte zur freien Entfaltung, zum selbstbestimmten Leben, zur freien Partnerwahl – ohne Zwangsehe, ohne Ehrenmord, ohne Schleierzwang. Es sind Rechte, die Khadidscha zu dem befähigt haben, was sie zeit ihrer Ehe mit Mohammed hingebungsvoll tat: Ihren Mann in seiner Berufung zu unterstützen. Und dieser, so entnehmen moderne Musliminnen wie Kauthar al-Kasim den Quellen, kümmerte sich um Frau und Familie:

"Daraus leiten wir auch ab, dass wir uns gegenseitig (helfen), was für viele Familien hier noch nicht selbstverständlich ist. Zum Beispiel, dass der Mann im Haushalt hilft, dass durchaus die Frau vielleicht weiter kommen kann als der Mann. Ich fange jetzt mit einer Promotion an, mein Mann ist Erzieher. Das passt für viele nicht zusammen, das passt auch für viele muslimische Familien nicht zusammen, hat aber für uns seine Grundlage in der Religion, dass wir sagen, jeder bekommt die Möglichkeiten von Gott gegeben. Man soll nicht an dem Anderen scheitern, nicht an seinem Kind, seiner Religion, sondern im Gegenteil, die soll uns helfen, das Maximum daraus zu machen und das ist für uns halt wichtig, sonst würden wir das alles nicht schaffen.

Wir wissen, dass es Muslime gibt, die sagen, die Frau muss zuhause bleiben und sich um das Kind kümmern und kochen. Genauso gibt es Muslime wie wir, die ganz anderer Meinung sind und sagen, okay, es gibt ein gleichberechtigtes Nebeneinander und so wie wir das auch jahrelang praktiziert haben; wir gehen beide arbeiten und wir beide müssen schauen, wie wir uns arrangieren, wie wir Kompromisse finden, um das alltägliche Leben voran zu bringen."

Der Blick muslimischer Männer auf ihre Glaubensschwestern wandelt sich – vor allem in mehrheitlich nichtmuslimischen Gesellschaften. Doch um zu einer Geschlechtergleichheit von muslimischen Männern und Frauen zu gelangen, müsse sich vor allem der Blick auf den Mann ändern, unterstreicht die Züricherin Saϊda Keller, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam:

"Ich habe selber zwei Söhne. Ich bin überhaupt nicht gegen die Männer, aber ich finde, man muss diese inneren Bilder, die man hat, von einem Mann, absolut und radikal ändern. In der Seele der Muslime ist ein Mann, weil er mit diesem kleinen Stück Vorsprung hat bei der Geburt, hat er eigentlich schon sehr viel verdient, hat er schon einen unheimlichen Kredit. Ein Mädchen hingegen muss sich zuerst noch beweisen, dass sie jemand ist. Sie muss antreten gegen zig Hürden. Der Bub ist a priori schon mal ein besseres Wesen. Dieses Denken muss man verändern. Nur wenn man das an der Wurzel packt, kann man Erfolge feiern."

Ein Blick in die islamische Geschichte könnte helfen, das Denken zu ändern. Mit der Sendung Mohammeds wird in Arabien die Tradition beendet, Mädchen bei lebendigem Leib zu begraben, weil sie als wertlos galten. Mehrfach verbieten der Koran und der Prophet diese grausame Praxis. Mohammed, für gläubige Muslime der vollkommene Mensch, zeugte der Überlieferung zufolge drei Söhne und vier Töchter. Alle Söhne starben im Kleinkindalter. Die Töchter hingegen schenken ihm Enkelkinder.

"O Menschheit. Seid euch eures Erhalters bewusst, der euch aus einer einzigen lebenden Wesenheit erschaffen hat und aus ihr Partnerwesen erschuf und aus beiden eine Vielzahl von Männern und Frauen verbreitete. Koran Sure 4 Die Frauen, Vers eins."
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