Geschichte, Bilder, Mythen

Von Georg Gruber · 01.08.2005
Der 1. August wird in der Schweiz als Nationalfeiertag begangen. Der Grund: im August des Jahres 1291 schlossen die Talgemeinschaften Uri, Schwyz und Unterwalden einen Bund, der Legende nach auf dem Rütli, einer Bergwiese, am linken Ufer des Vierwaldstätter Sees. Der Mythos von den freiheitsliebenden Schweizern geht auf diese Zeit zurück, Wilhelm Tell ist die Verkörperung dieses Mythos, und viele Schweizer glauben, dass er damals wirklich gelebt hat.
Schiller-Aufführung: "Der Apfel mittendurch, das war ein Meisterschuss, ich muss ihn loben.
Der Schuss war gut, doch wehe dem, der ihn dazu getrieben, der Gott versuchte. "

Wilhelm Tell – Friedrich Schiller hat ihm ein Denkmal gesetzt, ihm und den aufrechten Bergbewohnern, die sich Ende des 13. Jahrhunderts erhoben gegen die Unterdrücker, die Habsburger, die ihnen überkommene Freiheiten nehmen wollten. Auf dem Rütli, einer Bergwiese, schworen sie den "Ewigen Bund":
Rütli-Schwur: "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr. "

1291 soll das gewesen sein, im August. Auch wenn der Schwur sich nicht eindeutig historisch belegen lässt, wurde die Wiese nationale Pilgerstätte. Letztlich gehört der Schwur in das große Reich der Legenden, die den Myhtos Schweiz ausmachen. Genauso wie die Person Wilhelm Tell und die Episode vom Apfelschuss, die sich auch in dänischen, isländischen, englischen, estnischen und finnischen Heldensagen findet.

Erhalten und historisch verbürgt ist freilich ein Bündnisbrief aus dem Jahr 1291, der sozusagen als schriftlich fixierte Form des Schwures heute als Ursprung der Eidgenossenschaft gefeiert wird: Die drei Talgemeinschaften Uri, Schwyz und Unterwalden versicherten sich wechelseitiger Hilfe gegen Angriffe von außen. Und sie wandten sich gegen "fremde Richter", eine Kampfansage an die Habsburger.

Es gelang den Urschweizern schließlich auch, die Habsburger zurückzudrängen. Ein immer dichteres Netz von Bündnissen zwischen Städten und Talgemeinschaften entstand.

Dürrenmatt: "Man prügelte sich durch, knackte Ritter, Klöster und Burgen wie Panzerschränke, gewaltige Plünderungen, Beute, Gefangene wurden keine gemacht. "

Friedrich Dürrenmatt, von heldischer Verklärung hielt er wenig, die Schweiz verglich er einmal mit einem Fußballverein:
Dürrenmatt: "Der F.C. Helvetia 1291 galt als Fußballgroßmacht, bis die Niederlage der A-Mannschaft 1515 (…) andere Maßstäbe setzte. "

Der Ursprung der Schweizer Neutralität.

Dürrenmatt: "Der Verein gab internationale Kämpfe auf (…) Die guten Fußballspieler verließen den Club und wurden Fußballsöldner, sie spielten beim F.C. Frankreich, beim F.C. Spanien, beim F.C. Vatikan usw. "

Die Söldner, die als Schweizergarde heute noch im Vatikan anzutreffen sind, waren einer der Gründe, warum das Image der Eidgenossen über Jahrhunderte nicht das beste war.
Voltaire: "(Die Schweizer sind) Barbaren, deren einziger Beruf das Kriegshandwerk ist, "

… schrieb Voltaire 1728.

Voltaire: "Barbaren, die ihr Blut demjenigen verkaufen, der ihnen am meisten dafür zahlt. "

Auch den Bergen konnte man in gebildeten Kreisen lange nur wenig Positives abgewinnen, sie hatten in erster Linie etwas Bedrohliches. Der Schweizer Albrecht Haller war 1729 mit seinem Lehrgedicht "Die Alpen" einer der ersten, der die Bergwelt romantisierte, mit bleibenden Folgen:

Haller: "Ein Wanderer sieht erstaunt im Himmel Ströme fließen,
die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gießen. "

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wandelte sich das Bild der Schweiz, sie wurde zum Ideal für das aufgeklärte Europa: Kantone, frei von tyrannischen Fürsten, demokratisch organisiert – ein Gegenmodell zum Absolutismus, den allerdings paradoxerweise die Schweizergarden 1789 in Paris verteidigten. Die Schweiz – ein Trugbild?

Goethe: "Was man den Menschen nicht alles weismachen kann! "

… erregte sich Johann Wolfgang von Goethe in seinen "Briefen aus der Schweiz"

Goethe: "Sie machten sich einmal von einem Tyrannen los und konnten sich einen Augenblick frei denken; (…) nun erzählen sie das alte Märchen immerfort, sie hätten sich einmal frei gemacht und wären frei geblieben! "

Denn die Realität sah anders aus: In den Städten hatte sich eine aristokratische Herrschaft etabliert, die große Mehrheit war von politischer Mitwirkung ausgeschlossen. Die Landbevölkerung, die "Untertanen" der Stadtherren, musste Abgaben zahlen. 1798 brach auch in der Schweiz die Revolution aus.

Rütli-Schwur: "Wir wollen frei sein, wie die Väter waren. "

1804 wurde Schillers Tell in Weimar uraufgeführt, Schiller selbst war nie in der Schweiz gewesen, Goethe hatte ihm von der Sage erzählt.

Schiller-Aufführung: "Erzählen wird man von dem Schützen Tell, solang die Berge stehen in ihrem Runde.
Bei Gott! "

Wilhelm Tell wurde weltweit zum Markenzeichen der Schweiz, und zu einer Art "heroischer Kleiderbügel", so der Schweizer Historiker Otto Marchi:

Otto Marchi: "(er trat) nacheinander als Propagandist für die Helvetik, den Liberalismus, den Sozialismus und den Kommunismus auf, von seinen heutigen Nebenämtern als Xenophobe und Terrorist ganz zu schweigen. "

Das echte Bündnis gegen Habsburg aus der Zeit des fiktiven Tells wurde erst spät zum ersten Mal groß gefeiert: 1891. Seitdem ist der erste August Nationalfeiertag. Der Bündnisbrief, der von der modernen Schweiz einheitsstiftend ins Zentrum ihres patriotischen Kultes gerückt wurde, war erst im 18. Jahrhundert wieder entdeckt worden. Ein Beleg dafür, dass der Brief nicht wirklich eine Gründungsakte gewesen ist, sondern nur ein Bündnis, wie es damals viele ähnliche gab.