Gesang

Goldkehlchen im Wettstreit

Eine kroatische Sängerin, die in Riga an der 8. Chorolympiade teilnimmt.
Eine kroatische Sängerin, die in Riga an der 8. Chorolympiade teilnimmt. © picture alliance / dpa / Foto: Valda Kalnina
Von Maximilian Grosser · 17.07.2014
Der Gesang von Volksliedern hat in Lettland eine lange Tradition und soll Ende der 80er-Jahre die Sowjetunion mit zu Fall gebracht haben. Immer weniger Menschen wollen im Land aber gemeinsam singen. Das Treffen internationaler Chöre soll jetzt wieder Lust darauf machen.
Ihre Gäste begrüßt die lettische Hauptstadt Riga derzeit mit einem besonderen Empfangskomitee. Wer am Zentralbahnhof ankommt und auf den Vorplatz tritt, stolpert in eine Menschentraube. Die hat sich um einen südkoreanischen Frauenchor versammelt.
Die Sängerinnen des "Suwon Female Choir" singen traditionelle Volkslieder. Sie tragen blaue Kostüme, fein verziert mit Blumenmustern. Und sie sind nicht die einzigen, die gerade Rigas Straßen, Plätze, Parks, Cafés und sogar Straßenbahnen zu einem einzigen stadtweiten Festivalgelände für Chormusik umwidmen. Nur ein paar hundert Meter weiter, in Rigas Wehrmann Park, tritt ein finnischer Chor auf.
Teilnehmer aus 73 Ländern
Auch die Finnen zählen zu den 460 Chören, die zu den "World Choir Games" in die Europäische Kulturstadt Riga angereist sind. Aus 73 Ländern kommen die rund 27.000 Sängerinnen und Sänger, die hier zu den "Olympischen Spiele der Chöre" gegeneinander antreten. Günter Titsch hat sie erfunden und richtet die Spiele seit 2000 alle zwei Jahre aus. Zum Wettkampf um die Goldmedaillen dürfen wie bei den echten olympischen Spielen nur Amateure antreten.
"Aber von der Professionalität hier, kann man sagen, es sind semiprofessionelle Chöre, die sicherlich nicht den professionellen Chören nachstehen. Ganz im Gegenteil. Weil die jungen Leute, die von Universitäten kommen, zum Beispiel, die fast täglich proben, haben eine ganz eine andere Motivation. Und deswegen singen sie professionell, bloß nicht Profis in Sinne des Geldverdienens. "
Für ihren Auftritt müssen die Sänger sogar eine Teilnahmegebühr bezahlen. Dennoch: Chorsänger wie Matthias Rommelsbacher stört das nicht – wie bei den olympischen Spielen zählt vor allem dabei zu sein.
"Für mich alles ist Spaß. Aber was ich am meisten mag, ist das Gefühl, gerade nachdem man aufgetreten ist, man fühlt so gut im Bauch."
Weltrangliste der Amateurchöre
Matthias Rommelsbacher studiert im südafrikanischen Kapstadt. Gerade kommt er aus Rigas St. Petri Kirche. Die ist eine der Wettkampfstätten der Chorolympiade. In 29 Stilrichtungen etwa wie Blues, Gospel oder Sakral kämpfen die Chöre um Medaillen, streng begutachtet von einer fünfköpfigen Jury. Auch Rommeslbacher hat sich noch vor wenigen Minuten von ihr begutachten lassen. Mit seinem Chor der Stellenbosch University führt er die Weltrangliste der Amateurchöre an. Nur mit einem harten Training ist die Titelverteidigung möglich, schmunzelt Matthias Rommelsbacher.
"Als Student bin ich täglich fast zwölf Stunden an der Uni am Studieren, dann drei stunden am Singen und dann habe ich vielleicht noch zwei stunden Freizeit. Und dann dazwischen hat man nur genug Freizeit, um eben Kaffee zu trinken mit Freunden oder so."
Ob Rommelsbachers Training und das seiner Mitstreiter ausgereicht hat, stellt sich erst am kommenden Samstag heraus. Bis dahin ist die lettische Hauptstadt Austragungsort der "World Choir Games", die vorher schon in den USA und China gastierten. Um die kommerzielle Veranstaltung buhlen inzwischen weltweit Großstädte, weil sie im Sommer zahlreiche Touristen anzieht. Riga erhielt dieses Jahr den Zuschlag für die Chorspiele von Günter Titschs Olympiakomitee. Als Grund dafür nennt Titsch Lettlands Jahrhunderte alte Chortradition – die der Dirigent und künstlerischer Leiter der Chorspiele, Romans Vanags, allerdings schon länger bedroht sieht.
"Ein Drittel der Letten hat das Land verlassen. Viele gute Sängerinnen und Sänger sind deshalb für unsere Chöre verloren gegangen. Und dann bedrohen noch andere Freizeitbeschäftigungen wie Sport oder Computer spielen unsere Tradition. Am wichtigsten ist aber die Qualität der Musikausbildung. Der Musikunterricht wird immer mehr gekürzt und ich fürchte, dass unsere Schullehrer und Dirigenten deshalb kaum Chancen haben, das Chorsingen auf hohem Niveau zu halten."
Singende Revolution in Lettland
Roman Vanags spielt damit auch auf den Stolz über die Chorkultur der Letten an. Schon im neunzehnten Jahrhundert spielten Volkslieder – die sogenannten Dainas – eine wichtige Rolle für Lettlands erwachende nationale Identität. Während der Perestroika schrieben die schlichten vierzeiligen Lieder während der Singenden Revolution Geschichte. Sie wurden auf Demonstrationen und am 23. August 1989 von einer 600 km langen Menschenkette gesungen. Ein Ereignis, dass das Ende der Sowjetherrschaft einläutete, so der Mythos. Nun hofft Roman Vanags, das Festivals wie die "World Choir Games" wieder die gleiche Begeisterung für Chorgesang wie damals in Lettland auslösen.
"Großereignisse wie die olympischen Spiele der Chöre helfen uns sicherlich, wieder das Interesse fürs Chorsingen zu wecken. Ich freue mich sehr über die vielen lettische Kinder-Chöre, die an der Olympiade teilnehmen. Für die Kinder wird es ein unvergessliches Ergebnis sein und ich bin mir sicher, dass diese Kinder deshalb auch weiterhin den Chören treu bleiben."