Georg Baselitz über "Helden"

"Ich hab Wagner unerträglich gefunden"

Der Maler Georg Baselitz vor seinem Bild "Große Nacht im Eimer"
Georg Baselitz © John MacDougall / AFP
Moderation: Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 27.06.2016
Das Städel Museum in Frankfurt zeigt demnächst die Werkgruppe "Helden" von Georg Baselitz. Mit Heroismus haben die Figuren aber nichts zu tun: "Es sind ja völlig unheldische Gestalten, die ich da gemalt habe", betont der Maler.
Vladimir Balzer: Wenn man über Helden spricht, dann hat man natürlich so einen Begriff vor sich, der ziemlich ambivalent ist – zumindest für uns Deutsche ganz sicher – und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch ambivalent ist, wenn man eine wirklich wichtige Ausstellung sich anschaut, die demnächst im Städel Museum in Frankfurt am Main eröffnet wird mit einem der prägendsten, wichtigsten Nachkriegskünstler Deutschlands, nämlich Georg Baselitz, und eben mit seiner Werkgruppe über Helden. Das sind insgesamt 70 Werke mit monumentalen Figuren, sehr geprägt von der Nachkriegszeit.
Axel Rahmlow: Und auf der Webseite gibt es schon einen kleinen Einblick, was es denn zu sehen gibt, also das sind diese breiten Männergestalten, immer mit kleinen Köpfen erstaunlicherweise. Man erkennt – also so sehe ich es jedenfalls – zerrissene Uniformen, die oftmals aber wirklich kaum noch zu erkennen sind. Diese Männergestalten, die scheinen verloren zu sein, gebrochen zu sein – das sieht nach sehr eindrücklichen Erfahrungen aus, auch wenn man das Gefühl hat, dass das sehr verletzte Menschen sind, die man sich da anschaut. Das ist natürlich immer die Frage des Betrachters.
Balzer: Jedenfalls ganz sicher nicht Helden, und am Telefon ist Georg Baselitz. Schönen guten Tag, Herr Baselitz!
Georg Baselitz: Guten Tag!
Balzer: Sie waren damals 27, als diese Bilder entstanden, 65/66. Aus welchem Impuls heraus entstanden diese Gemälde?

Apokalyptische Landschaften voller Kriegsmüll

Baselitz: In der Zwischenzeit ist sehr viel Zeit vergangen, und Sie haben gerade was von Helden und Deutschland gesprochen. Ich hab damals zum Beispiel Wagner unerträglich gefunden. Danach habe ich Wagner als Frau gemalt in mehreren Bildern und auch als Grafik Wagner als Frau gestaltet, also ich hab mir sozusagen den Helden Wagner auf eine andere Weise einverleibt.
Meine Bilder hatten mit Wagner damals gar nichts zu tun, sondern sie hatten nur mit dem Grausen zu tun vor deutscher Vergangenheit, also die unmittelbare, die 45er-Vergangenheit, aber auch die weiter zurückliegende, und sie beziehen sich auf meine Erlebnisse in den letzten Kriegstagen.
Balzer: Ihre persönlichen Erinnerungen als Kind, sie waren sechs, sieben, acht Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Sie kamen aus dem Osten Sachsens, waren geflohen, kamen aber eigentlich nur bis Dresden, und diese Stadt haben Sie brennen sehen als Kind. Ich stelle mir das als traumatische Erfahrung vor. Hilft dann die Kunst, so etwas zu verarbeiten?
Baselitz: Dresden, als wir durch sind, brannte nicht mehr, es stank nur noch, und wir sind letztlich nicht weit gekommen, aber für diese Bilder, die ja viel später gemacht worden sind, 65, gibt es einfache Erinnerungen, die in der Situation wurzeln danach.
Wenn man sich so apokalyptische Landschaften vorstellt – und das war wirklich so –, die voller Kriegsmüll lagen, das heißt ausgebrannte Panzer, bei uns vorm Haus standen ja mehrere Flak-Geschütze, Kanonen, das alles war in die Luft gesprengt worden und zerstört, das waren Bilder, die unvergessen sind.
Balzer: Aber Bilder, die Sie durchaus auch offenbar politisch dann aufladen. Es gibt da zum Beispiel das eine Gemälde mit roter Fahne, da ist ein Mann, der eine zerschlissene rote Fahne hält, waagerecht, sie schleift so ein bisschen auf dem Boden, seine Kleidung ist auch zerrissen, er wirkt eher verwirrt und durcheinander, ohne Ziel, unter Schock.

"Diese Idylle war zerstört"

Baselitz: Nicht direkt. Sie müssen sich vorstellen, dass diese Figuren ja nicht im Gegenüber entstanden sind. Die Kunstwelt und die Welt überhaupt war ja zerbrochen, was das Modell betraf. Also ich kann mich nicht erinnern, dass ein Kommilitone von mir oder schon ein erwachsener Maler auch in die Landschaft gegangen wäre und da was gemalt hätte oder ein Modell genommen hätte und nach dem gearbeitet hätte.
Diese Idylle war zerstört. Ich hab ja alle diese Figuren, wie man das bei Comiczeichnungen vielleicht am Verständlichsten erklären kann, erfunden, und sie haben nichts mit irgendwelchen Porträts zu tun, sie haben nur allgemein mit der Geschichte zu tun. Und die ist dargestellt in Form von Handwerkszeug, in Form von Symbolen, in Form von ökonomischen Gegenständen, in Form von Landschaften.
Balzer: Das waren, soweit ich weiß, eine der letzten Bilder, die Sie noch im klassischen Sinne, sag ich mal, im richtigen Format oder in der richtigen Anordnung gemalt haben, wenn man so will. Also danach begannen Sie, Ihre Motive – darauf werden Sie immer wieder angesprochen – danach begannen Sie Ihre Motive umzukehren, viele sagen, auf den Kopf zu stellen. Was hat Sie dann einige Jahre danach dazu gebracht?
Baselitz: Was Sie jetzt angesprochen haben, ist ja nun wirklich das vollständige Abkappen von Informationen nach außen, indem ich das Bild kühnerweise auf den Kopf gestellt habe und in der Folgezeit mit der merkwürdigen Verkehrung arbeite. Das sagt eigentlich, dass das, was sich meine Abstraktion nennt, das vorwiegende Interesse ist in meiner Arbeit.
Rahmlow: Wir sprechen mit dem Maler und Bildhauer Georg Baselitz über die Werkgruppe "Helden", die ab Donnerstag im Städel Museum in Frankfurt zu sehen ist. Herr Baselitz, Sie haben vorhin schon mal erwähnt, dass es, wenn es um den Helden-Begriff geht, als Sie jung waren, auch viel mit Pathos zu tun hatte. Was ist der Helden-Begriff für Sie heute, hat er sich verändert?
Baselitz: Es gibt von amerikanischen Künstlern aus der Zeit des Vietnamkriegs viele Darstellungen, sehr prominente Darstellungen von Fahne Aufrichten oder von erschossenen Soldaten, die in Haufen rumliegen, als Ausdruck in der modernen Kunst in der Zeit des Pop-Art. Ich hab mich da immer unwohl gefühlt, weil ich finde, Wichtigkeit von Bildern sollte nicht aufgeladen werden durch wichtigen Inhalt.
Eine Erklärung, die zum Beispiel nach dem 11. September Stockhausen gegeben hat, öffentlich: "Das größte Kunstereignis aller Zeiten" war für ihn dieser 11. September, ist mir absolut unverständlich. Das finde ich sogar widerlich, ich kann damit überhaupt nichts anfangen.

"Es gibt charakterlich Mut oder Feigheit"

Rahmlow: Aber heißt das für Sie, dass es so etwas wie Helden eigentlich gar nicht gibt, dass es immer etwas Aufgeladenes ist?
Baselitz: Ja, es gibt charakterlich Mut oder Feigheit, und die Helden sind ja eigentlich immer die, von denen man früher sagte, es seien Märtyrer, die sich opfern für eine Sache, die verloren ist, oder wo sie keine Chance haben zu gewinnen, und danach nennt man sie Helden. Abzeichen, Ehrenzeichen und dergleichen werden vergeben, um Helden zu dekorieren.
Aber es gibt Märchenhelden, es gibt diese Sagenhelden, es gibt diese Riesen oder eben auch Zwerge als Helden, das ist alles wunderbar, aber wo haben die letztlich was zu suchen?
Sie haben was zu suchen in der Wagner-Oper, sicher, da machen sie Sinn, aber nicht in dem Sinne, dass sie Geschichte reinigen, sondern sie machen nur Sinn als Träger von Dingen, die immer wieder stattfinden, also Elend und Krieg und dergleichen, was sich ständig wiederholt, wo man noch so viel schreiben kann und sagt, man ist dagegen – natürlich sind alle dagegen, trotzdem kann man nichts tun.
Rahmlow: Also Helden sind für Sie tatsächlich immer ein etwas aufgeladener Begriff, was nichts mit dem was man ja oft so sagt, die kleinen Helden im Alltag zu tun hat, unabhängig von den großen, monumentalen Dingen?
Baselitz: Für mich ist es eher ein Begriff für eine Karikatur. Es sind ja völlig unheldische Gestalten, die ich da gemalt habe.
Rahmlow: Wir wollen Sie auch noch fragen zum Kulturgutschutzgesetz, Herr Baselitz. Als es am Anfang darum ging, das sogenannte nationale Kulturgut zu schützen und zentrale Werke zu kennzeichnen, damit deutsche Kunst nicht mehr so leicht ausgeführt werden kann, da waren Sie sehr kritisch, Sie haben einige Ihrer Werke aus Museen abgezogen.
Jetzt gibt es eine Novelle dieses Gesetzes, und Werke von zeitgenössischen Künstlern, die können nur noch mit deren Zustimmung als national wertvoll eingetragen werden, das heißt nur Gemälde, die älter als 75 Jahre sind und mehr als 300.000 Euro kosten. Diese Novellierung, macht die Sie ein bisschen zufriedener, was dieses Gesetz angeht?

"Enteignung von Kunst"

Baselitz: Überhaupt nicht, weil das Gesetz betreffend schon in den Vorgesprächen, die stattgefunden haben, vor allen Dingen in den vielen Kommentaren, die in den Medien erschienen sind, wird unglaublich gelogen. Gelogen, dass sich die Balken biegen, und zwar gelogen nicht von denen, die es letztlich betrifft, sondern von denen, die es veranstalten oder sie dieses Gesetz unbedingt verabschiedet haben wollten und was ihnen jetzt gelungen ist. Man zitiert meist nur einen Teil von dem ganzen Elend, was dieses Gesetz beinhaltet.
Rahmlow: Sehen Sie wenigstens, dass die Intention gut wäre, oder würden Sie sagen, das ist nicht mal eine gute Intention?
Baselitz: Man sagt immer, das sei europäisch nötig gewesen und längst nötig gewesen, dass auch wir … Das stimmt alles nicht, das sind Lügen. Alle anderen Länder in unserer Gemeinschaft – England und Frankreich, die haben ein ähnliches Gesetz, aber eben nur ein ähnliches Gesetz und nicht mit diesen Folgen, die in Deutschland für dieses Gesetz entstehen, denn im Hintergrund steht einfach die Enteignung von Kunst, von Kunst, die sich in Privatbesitz befindet, nicht der Schutz, sondern schlichtweg die Enteignung.
Balzer: Sagt Georg Baselitz, der Maler. Vielen Dank für das Gespräch!
Baselitz: Danke Ihnen!
Rahmlow: Ab Donnerstag gibt es im Städel Museum in Frankfurt erstmals eine monografische Ausstellung zu seiner Werkgruppe "Die Helden". Bis Ende Oktober ist sie zu sehen.

Georg Baselitz: "Die Helden"
Ausstellung im Städel Museum Frankfurt
30.6.-23.10.2013

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