Geo-Economics

Ökonomie bestimmt Deutschlands Außenpolitik

Wladimir Putin und Angela Merkel bei der Gedenkfeier zur Erinnerung an die Invasion der Alliierten in der Normandie.
Wladimir Putin und Angela Merkel © picture alliance / dpa / Sergey Guneev
Rezensiert von Nana Brink · 11.04.2015
Wie geht die deutsche Politik mit Russland um und wie könnte sie auf die neue Aggressivität der russischen Politik reagieren: Das ist das Thema in Stephen F. Szabos englischsprachigem Sachbuch zur deutsch-russischen Diplomatie und Ökonomie.
Stephan Szabo bringt einen interessanten Aspekt in die aktuelle Debatte: Wie gehen wir, die Deutschen, mit einem neuen aggressiven Russland um?
Unter dem Titel "Germany, Russia and the Rise of Geo-Economics" legt er unterschiedliche Interessen offen, die Deutschland, die Vereinigten Staaten und Russland verfolgen und die das Verhältnis zwischen den beiden transatlantischen Partnern erheblich belasten. Die Entfremdung, so Szabo, gehe dabei eher von Deutschland aus.
Deutschland definiert er als neuen Typus einer Wirtschaftsmacht in Europa, der auf die alten, sich auf militärische Stärke gründenden Mächte des letzten Jahrhunderts treffe. Und er zeichnet von diesem Deutschland ein Bild, das der Selbstwahrnehmung der meistens Deutschen fundamental widersprechen wird, nämlich ein Land, das seine nationalen Interessen durch eine ökonomische Brille sieht.
Da wird jenen der Atem stocken, die im Zweifel die Menschenrechte über alle Interessen gestellt sehen wollen. Man erinnert sich noch an die erregte Debatte, nachdem Horst Köhler in einem Interview Wirtschaftsinteressen als so elementar bezeichnet hatte, dass Handelswege auch militärisch verteidigt werden müssten. Die Empörung zwang ihn 2010 als Bundespräsident zum Rücktritt.
Vernetzt in den Think Tanks des Westens
Cover: Stephen F. Szabo "Germany, Russia and the Rise of Geo-Exonomics
Cover: Stephen F. Szabo "Germany, Russia and the Rise of Geo-Exonomics© Verlag Bloomsbury
Als leitender Direktor der Transatlantic Academy – einer Organisation, die sowohl vom German Marshall Fund, der Bucerius Stiftung und der Bosch Stiftung getragen wird – ist Stephan Szabo bestens vernetzt in Think Tanks des Westens. Seine Thesen hat er zudem durch ausgiebige Interviews mit Meinungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Medien in Deutschland untermauert.
Aus dieser exzellenten Kenntnis heraus erläutert er eine für ihn folgerichtige Entwicklung, die Deutschland seit der Einheit weg vom "Satellitenstaat" hin zum selbstbewussten Player führe. "Dealing with the Devil" ist das zentrale Kapitel betitelt. Und als Handeln mit dem Teufel beschreibt er die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland.
Auftakt ist für ihn die Freundschaft zwischen Gerhard Schröder und Vladimir Putin. Aber der "Gazprom-Deal" werde auch – eher unbemerkt – durch eine nüchtern agierende Kanzlerin Merkel weiterverfolgt. Alles was Rang und Namen in der deutschen Wirtschaft habe, begleite Merkel bei ihren Besuchen in Moskau.
Das neue "Kuscheln" bleibe in Washington nicht unbemerkt, - und nicht unkommentiert. Szabo macht deutlich, wie anders Washington seine Außenpolitik ausrichtet, nämlich unverändert an der nationalen Sicherheit. Russland werde nach wie vor als Bedrohung gesehen, der man nicht nur durch Sanktionen, sondern auch militärisch begegnen müsse.
Berlins Interesse liege eher im privaten Sektor, im wirtschaftlichen Engagement. Es verlange anstelle verbaler Konfrontation eher diplomatisches Geschick, das wiederum mit dem Prüfstein "Menschenrechte" flexibel umgehe.
Nirgendwo seien deutsch-amerikanische Spannungen deutlicher geworden als auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, wo Angela Merkel offen von amerikanischen Senatoren dafür kritisiert worden sei, keine militärische Lösung im Ukraine-Konflikt in Betracht zu ziehen. Wobei Szabo hervorhebt, dass Putins Strategie, den Westen zu spalten, letztlich noch nicht aufgegangen sei.
Unterm Strich sagt er voraus: Deutschland werde eine der "shaping powers" sein, also eine europäische Macht, die ihre Beziehungen zu anderen Teilen der Welt mit wirtschaftlichen Mitteln präge - durchaus in Konkurrenz zu den USA.
Noch ein Vorteil dieses, bislang nur auf Englisch erschienenen Buches: Es ist nicht nur unglaublich aktuell, sondern liest sich auch wie eine gut geschriebene Reportage, - ein bestes Beispiel angelsächsischer Geschichtsschreibung.

Stephen Szabo: Germany, Russia, and the Rice of Geo-Economics
Bloomsbury Publishing New York-London, 12. Februar 2015
200 Seiten, 112,00 Dollar

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