Gen-Forscher mit Maulkorb

Bertram Verhaag im Gespräch mit Britta Bürger · 09.03.2011
Die wenigen Forscher, die vor negativen Folgen von genmanipulierten Pflanzen warnen, werden mundtot gemacht, sagt Dokumentarfilmer Bertram Verhaag. Sein Film "Gekaufte Wahrheit" versucht Licht in die Machenschaften der Industrie zu bringen.
Bürger: Seit über 30 Jahren dreht Bertram Verhaag engagierte Dokumentarfilme zu politischen, sozialen und vor allem zu umweltpolitischen Themen, produziert von seiner eigenen Firma, die sich "DENKmal-Film" nennt. In seinem neuen Film schildert er, wie Wissenschaftler, die öffentlich vor den Gefahren genmanipulierter Pflanzen gewarnt haben, von Großkonzernen wie zum Beispiel Monsanto in Wissenschaftskreisen mundtot gemacht und wie diese Karrieren der Wissenschaftler ruiniert wurden. Bevor der Film morgen in die Kinos kommt, ist Bertram Verhaag unser Gast, zugeschaltet in München. Schönen guten Tag!

Bertram Verhaag: Guten Tag!

Britta Bürger: Sie haben sich vor allem auf zwei Fälle konzentriert, in denen führende Molekularbiologen in Schottland und Kalifornien nach ersten kritischen Veröffentlichungen daran gehindert wurden, weiter über die Gefahren genmanipulierter Pflanzen zu forschen. Welche Ergebnisse hatten diese Wissenschaftler veröffentlicht?

Verhaag: Sie hatten den Auftrag bekommen, Fütterungsversuche zu machen mit Ratten, denen gentechnisch veränderte Kartoffeln gegeben wurden. Albert Árpád Pusztai, eben der untersuchende Professor, war an sich sehr optimistisch und meinte, Gentechnik könne durchaus positive Folgen haben, das war Anfang der 90er-Jahre. Und dann haben sie selber die Kartoffeln gentechnisch verändert, gezüchtet, und die den Ratten zu fressen gegeben, und kamen zu für sie wirklich erschütternden Ergebnissen, dass es Veränderungen in den Organen der Ratten gab, vom Gewicht her, dass das Immunsystem gestört schien und alles Anzeichen, wo sie ganz klar gesagt haben: Jetzt müssen wir eigentlich tiefer hinschauen. Was sind die Ursachen, was verbirgt sich dahinter? Und das Überraschende, was passierte, dass er zwei Tage später aus dem Institut geflogen ist, alle Unterlagen dort lassen musste, keine Telefongespräche mehr annehmen konnte und so weiter.

Bürger: Und der andere Fall?

Verhaag: Der zweite Protagonist ist Ignacio Chapela, er ist gebürtiger Mexikaner und hat in Berkeley studiert und ist inzwischen auch Professor in Berkeley. Er hatte einerseits noch vor seiner Professur über Studenten eine Untersuchung in Mexiko machen lassen, inwieweit dort möglicherweise gentechnisch veränderter Mais zu finden ist. Also Mexiko ist insofern einfach eminent wichtig, weil es das Ursprungsland des Mais ist und eine gigantische Biodiversität von Mais dort vorhanden ist. Sie haben das erschreckende Ergebnis vorgefunden, dass mitten in Mexiko gentechnisch veränderter Mais gefunden wurde, was absolut nicht sein durfte und was damals auch von der Regierung aus verboten war.

Bürger: Das heißt, die Bauern wissen oft gar nicht, dass ihr Mais genmanipuliert ist und verkaufen den auch als traditionellen Mais?

Verhaag: Das ist richtig. Die Amerikaner haben derartig billigen Mais nach Mexiko eingeführt, dass der nicht nur zum essen benutzt wurde, sondern auch ausgesät wurde. Das ist die Vermutung, wie der Mais nach Mexiko gekommen ist.

Bürger: Und was ist mit diesem Wissenschaftler dann passiert?

Verhaag: Dieser Wissenschaftler hat diese Ergebnisse veröffentlicht, wurde dann sofort eigentlich öffentlich angegangen, das wäre falsch und könne nicht stimmen, sie haben ihre Untersuchung "Nature" angeboten, das ist eine der renommiertesten Wissenschaftszeitschriften. "Nature" hat ihn dann auch angenommen, überprüfen lassen und gedruckt. Und daraufhin brach also übers Internet eine Kanonade über Chapela her und seine Studenten, die die Untersuchung gemacht haben. Sie wurden diffamiert von angeblichen Doctores und Professores und so weiter.

Bürger: Warum sagen Sie von angeblichen?

Verhaag: Ja, weil man nach Recherchen dann herausgefunden hat, es war eine Firma, die sogenannte Bivings Group, die im Internet ein – auch wieder offizieller Begriff – Viral Marketing betreibt, das heißt, sie haben einfach Personen erfunden, die Geschichten erfunden haben und die auf dieser Ebene Chapela diskriminiert haben, und gleichzeitig muss aber massiver Druck auch auf "Nature", auf die Zeitschrift "Nature", stattgefunden haben, denn die haben zum ersten Mal in ihrer 132-jährigen Geschichte einen Artikel zurückgezogen.

Bürger: "Gekaufte Wahrheit", so heißt der Dokumentarfilm von Bertram Verhaag, mit dem wir hier im Deutschlandradio Kultur vor dem morgigen Filmstart im Gespräch sind, und in diesem Titel, Herr Verhaag, "Gekaufte Wahrheit", da steckt ja die Anspielung darauf, dass angeblich 95 Prozent der Forscher im Bereich Gentechnik von der Industrie bezahlt werden und nur 5 Prozent wirklich unabhängig arbeiten. So behaupten Sie es im Film, und es klingt ein bisschen nach einer Art Verschwörungstheorie. Wie können Sie diese Zahlen belegen?

Verhaag: Ich kann sie nicht belegen, ich kann sie auch nicht belegen jetzt auf die gesamte Wissenschaft bezogen. Ich kann nur einfach wiedergeben, was uns ein norwegischer Wissenschaftler eben an Vermutungen geäußert hat, der im Bereich der Gentechnik arbeitet, der Professor Terje Traavik, dem wollte ich einfach nachgehen. Wir haben einfach Einzelfälle gesucht und diese Fälle dargestellt, und man kann sich lebhaft vorstellen, in wie vielen Fällen das auch noch greift, ohne dass es überhaupt öffentlich wird. Und während unserer Dreharbeiten sind ja immens weitere Fälle aufgetaucht – eine Frau Ermakova in Russland, die Fütterungsversuche unternommen hatte, wo die Nachkommen dieser Ratten sehr schnell und in hohem Prozentsatz gestorben sind; ähnliche Ergebnisse hatte eine Frau Malatesta in Italien; dann wurde ein Professor Seralini in Frankreich angegriffen, weil er indische Gruppen darin unterstützt hatte, die gentechnisch veränderten Auberginen zu untersuchen, denn die sollten von Monsanto in Indien flächendeckend eingesetzt werden, Auberginen ist eins der Hauptnahrungsmittel der Inder, und da hat sich ein großer Teil der Bevölkerung gegen gewehrt. Professor Seralini hat sie dabei unterstützt und hat wissenschaftliche Ergebnisse beigetragen, und daraufhin wurde er in Frankreich gemobbt, und es hat Gerichtsprozesse gebraucht, bis er wieder seine Reputation hergestellt bekam. Das heißt, wenn jemand irgendwelche kritischen Äußerungen zur Gentechnik tut, wird sofort von allen Seiten versucht, ihn mundtot zu machen, keine Forschungsmittel mehr zu geben. Und ich selber bin ja nicht als Wissenschaftler in das Thema eingestiegen, sondern als ein ganz normaler Bürger und Konsument und Teilnehmer an dieser Demokratie in diesem Staate, und ...

Bürger: ... aber schon mit einer klaren politischen Zielrichtung oder Absicht zumindest, zu zeigen, dass darin ein großer Angriff – so wird es im Film gesagt – auf die Demokratie liegt.

Verhaag: Das ist richtig, und das habe ich aber erst im Laufe der Zeit – denn wir haben also in den letzten zehn Jahren neun Filme zum Thema Gentechnik gemacht –, und habe das erst im Laufe der Zeit gemerkt. Ich habe zunächst abgelehnt, Filme zum Thema zu machen, weil ich sagte, ich bin kein Naturwissenschaftler, ich verstehe nichts davon, ich weiß nicht mal, was ein Gen ist. Und dann habe ich einen kleinen Artikel in einer Zeitung gelesen über ein sogenanntes Terminator-Saatgut, das heißt, das ist ein Saatgut, von der Industrie entwickelt, gentechnisch so verändert, dass es nur einmal keimfähig ist, und das mit dem Ziel, dass sich jeder Bauer im nächsten Jahr neues Saatgut kaufen muss. Und das hat mir eigentlich von einer Sekunde auf die andere die Augen geöffnet und ich habe gemerkt: Ich brauche kein Wissenschaftler zu sein, um zu beurteilen: Das will ich nicht. Ich will nicht, dass die Industrie die Erlaubnis bekommt, meine Nahrungs- und Lebensmittel steril zu machen, nur um ihre Macht und ihren Profit zu erhöhen. Und das Zweite ist, dass ich während dieser Jahre erfahren habe, dass tatsächlich – man glaubt es ja oft zunächst nicht –, dass tatsächlich bis heute keine richtigen, langfristigen, glaubwürdigen, bestätigten Untersuchungen darüber vorliegen: Ist gentechnisch veränderte Nahrung gefährlich oder ist sie nicht gefährlich? Das Einzige, was wir haben, sind Untersuchungen von einigen unabhängigen Wissenschaftlern, die Vermutungen äußern, die sagen, da ist ein Ansatz, da ist das und das uns aufgefallen, da müsste man genauer hingucken. Und genau diese Untersuchungen sind nie gemacht worden. Und wir sind nicht darüber informiert worden, was könnte es bewirken, wozu wäre es gut, wozu kann es schädlich sein, sodass ich als Bürger dieses Staates in der Lage wäre, bewusst zu sagen, okay, ich will es oder ich will es nicht. In dieser Situation sind wir heute immer noch nicht, nach 20 Jahren Anwesenheit von gentechnisch veränderten Pflanzen auf unserem Planeten.

Bürger: Die Genmanipulation von Pflanzen ist ja, einmal begonnen, nicht mehr rückgängig zu machen, und doch endet ihr Film dann mit einem positiven Beispiel eines Forschungsinstituts in Norwegen. Was ist dort so einmalig?

Verhaag: Das ist das einzige Institut, was ich kenne, wo wirklich unabhängige Forschung gemacht werden darf. Die bekommen Geld vom norwegischen Staat und dürfen einfach frei entscheiden und lehren und untersuchen, und haben jetzt als zusätzliche Einrichtung eben, dass sie Menschen aus der Dritten Welt zu Seminaren holen und ihnen das Grundwissen zu gentechnisch veränderten Pflanzen beibringen, denn es ist ja nicht so, dass Monsanto nur in Amerika oder Kanada oder Europa wirkt, sondern sie versuchen, in jedes Land einzudringen.

Bürger: "Gekaufte Wahrheit – Gentechnik im Magnetfeld des Geldes", so heißt der Film, der morgen in ausgewählten Kinos startet, und dem Regisseur Bertram Verhaag danke ich fürs Gespräch!

Verhaag: Ich danke Ihnen!

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