Gelassen und ohne Überheblichkeit

Von Camilla Hildebrandt · 03.04.2013
In Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" brillierte Milan Peschel auf der Leinwand. Sein Zuhause als Schauspieler war lange Frank Castorfs Volksbühne. Seit einigen Jahren übernimmt er auch selbst die Regie - zurzeit bei "Juno und der Pfau" am Deutschen Theater in seiner Heimatstadt Berlin.
"Ok, dann mal Talents, ab dem Lied, wo die Musik einsetzt, ja?"

Sie proben die Szene jetzt zum gefühlten hundertsten Mal, es soll leicht aussehen, unangestrengt, slapstickhaft, aber trotzdem die Hintergründigkeit des Textes von Sean O´Casey nicht verlieren. Ein hoher Anspruch. Milan Peschel macht es sich im Publikumssessel gemütlich, legt die Beine auf die vordere Stuhlreihe.

Dann fängt er an, wie wild zu gestikulieren und springt schließlich auf, um den Schauspielern vorzumachen, wie er sich die Situation vorstellt:

"Gib doch einfach Ole die Vase, soll er rüberstellen"

Peschel: "Die Texte sind unfassbar komisch. Das ist ja das Tolle gerade an Sean O´Casey, dass das Groteske, das Tragische, das Komische, das Todtraurige immer nebeneinandersteht. Da gibt es überhaupt keine fließenden Übergänge. Da wird ein Mensch zu Grabe getragen, und in der nächsten Minute wird zehn Minuten lange zu Elvis getanzt, und dann geht man wieder auf die Beerdigung."

Theaterszene: "Wie teuer war´s? - Ein Pfund, zwei Mal gleich, fünf Mal in Raten, zwei Schilling die Woche"

Peschel: "Ne, Ole, stell´s mal oben druff, ja?"

"Juno und der Pfau" probt die Truppe, ein Stück über die Familie Boyle im Dublin der 20er-Jahre. Sie leidet unter den extrem armen Verhältnissen und den Auswirkungen des Bürgerkriegs.

Peschel: "So ist unser Leben. Wir müssen uns da nichts vormachen, wir müssen nicht immer betroffen sein. Man ist für einen Moment betroffen, aber im anderen Moment will man auch wieder das Leben spüren. Und darum geht es ja auch in dem Stück."

Milan Peschel ist nicht der Theaterregisseur mit Anzug, Schal und einer Prise Überheblichkeit. Er ist das genaue Gegenteil mit seinen zerzausten Haaren, der kantigen schwarzen Brille, Jeans und simplem T-Shirt, die seine schlanke Gestalt einkleiden.

Von der Mutter geprägt
Aufgewachsen ist er in Ostberlin. Der wichtigste Mensch war für ihn schon immer seine Mutter, erzählt der heute 45-Jährige. Peschel ist mittlerweile selbst Familienvater, lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin:

"Alles, was ich über das Leben gelernt habe in den ersten 20, 30 Jahren, der Löwenanteil stammt von meiner Mutter. Meine Mutter ist unter allerschlimmsten, prekären Verhältnissen aufgewachsen, ja, wollte aus ihrem Sohn eben einen anständigen Menschen machen. Deswegen habe ich ihr ganz viel zu verdanken."

Eine der wichtigsten Überzeugungen seiner Mutter: Alle Menschen sind gleich.

"Ich finde es ist grundsätzlich wichtig, dass man sich nicht über andere Leute stellt, Positionen ausnutzt, man muss andere Menschen respektieren, achten, was nicht heißt, dass man sie nicht fordern soll, in Konflikte bringen soll."

Seine Karriere beginnt Milan Peschel als Theatertischler. Aber eigenlich wollte er immer schon Schauspieler werden, sagt er. Die Grundlagen dafür lernt er nach der Wende an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst-Busch. Es folgen zehn Jahre Ensemblearbeit an der Volksbühne Berlin, unter der Leitung von Frank Castorf. Dort findet Peschel sein künstlerisches Zuhause.

"Ihr seid ein Gutsherr, Großgrundbesitzer, hm, rationale Wirtschaftsmethoden, ja? Tausene Hektar Land, aber nicht einen Pfennig habt ihr in der Tasche! Ein Weinkeller, ja, aber Korkenzieher, nö! (Publikum lacht)" (Auszug aus "Iwanow", Volksbühne Berlin, 2005)

Künstlerisches Interesse für den Ausnahmezustand
Was Milan Peschel fasziniert, ist die Freiheit und Verantwortung, die er an der Volksbühne kennenlernt:

"Weil es da nicht um Verabredungen geht, sondern weil es darum geht, ob man was zu sagen hat oder nicht, ob man eine Haltung hat. Das finde ich ziemlich einzigartig. Das ist es, was ich von da mitgenommen habe als Regisseur. Natürlich sind die Schauspieler auch immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn es auf die Premiere zugeht. Die sind überfordert, ich ändere ganz viel. Aber, dieses Sicherheitsdenken, also, das interessiert mich nicht.

Mich interessiert immer der Ausnahmezustand. Theater oder Kunst muss auch immer was Extremes in sich tragen. Man muss sich ausbreiten, auswuchern, die Nadel muss immer ausschlagen, nach oben, nach unten, aber nie so moderat in der Mitte. Und das habe ich eben ganz stark da erlebt. Ich habe da ganz starke Anstrengungen erlebt, aber auch ganz große Glücksgefühle."

2006 zeigt Milan Peschel seine erste Regiearbeit für Kinder: "der Fischer und seine Frau", 2007 "Mala Zementbaum" am Gorki Theater Berlin, ein Stück über einen Stasispitzel. Er selbst spielt weiterhin die unterschiedlichsten Rollen, am Theater und im Kino. Er brilliert als Komiker und präsentiert unangenehm überzeugend den "erfolglosen Typen von nebenan".

"Also, wer mich von der Bühne kennt – ich bin fürs Komische und Tragische. Also immer auch beides nebeneinander."

Am Ende des Gesprächs geht das Aufnahmegerät kaputt. Ein neuer Termin wird ausgemacht. Eine mittlere Katastrophe für den Interviewer. Milan Peschel reagiert entspannt. So, wie man ihn in den Theaterproben erlebt hat, mit einer Mischung aus höchstem Anspruch an die Arbeit und großer Gelassenheit:

"Fehlerbilder bleiben länger im Gedächtnis, und wenn Fehler passieren, sind die manchmal besser als das, was man sich ausgedacht hat oder was man wochenlang geprobt hat. Manchmal passiert etwas, und das stimmt einfach. So ist das nicht nur in der Kunst, so ist es auch im Leben."
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