Gehört der Rassismus zu Deutschland?

Von Andreas Baum · 19.09.2012
Werden die Deutschen rassistischer? Wie breit ist der Rassismus in der Gesellschaft verankert? Über diese und andere Fragen ging es bei einer Diskussion im Jüdischen Museum Berlin.
Wir funktionieren nach einem Schema - so sagt es Mark Terkessidis, der Psychologe, Journalist und Autor, denn immer wenn Untaten mit rechtsradikalem Hintergrund geschehen sind, und das ist seit den 70er-Jahren so, gibt es eine öffentliche Erregung über Rassismus – die ein paar Monate interessant ist, und dann wieder friedlich einschläft.

Terkessidis’ Vater stammt aus Griechenland, seine Mutter nicht, dass er in Deutschland allein wegen seines Nachnamens als Fremder wahrgenommen wird, bezeichnet genau das Problem: Wer unter Verdacht steht, nicht zur Mehrheitsgesellschaft der Müllers und Meiers zu gehören, wird den anderen zugerechnet, auch wenn das Gegenüber das in dem Moment gar nicht böse meint: noch nicht.

Früher hat Terkessidis seine Wut über den Befund, dass Rassismus Deutschland und den Deutschen wie eingewachsen zu sein scheint, in der provokanten Kulturverschwörung Kanak Attac verarbeitet - heute dient ihm dazu die Wissenschaft. "Banalität des Rassismus" hat er eine seiner Studien genannt.

"Wenn wir im Kindergarten den Fall haben, dass ein Kind mit Migrationshintergrund anfängt zu beißen, dann ist in einem Umfeld, wo sonst nicht viele Kinder mit Migrationshintergrund sind, die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Gründe für das Beißen dieses Kindes dort verortet wird, wo der südländische Charakter wirkt.

Das führt zu enormen Problemen für die Eltern, weil sie überhaupt keine Chance mehr haben, dieses Verhalten untersuchen zu lassen, weil es ist sozusagen der südländische Charakter, der durch dieses Kind durchbeißt."

Banal ist deshalb Terkessidis zufolge auch die Phrase, der Rassismus entspringe in der Mitte der Gesellschaft - denn die das sagen, verorten sich selbst dort nicht. Micha Guttmann, Rechtsanwalt und Mitglied des Parlaments der jüdischen Gemeinde, will nicht über Rassismus sprechen, ohne die Fälle zu erwähnen, in denen Menschen in Berlin, weil sie als Juden erkannt werden konnten, überfallen wurden. Die Übergriffe auf jüdische Kinder, und das ist Statistik, nehmen zu.

"Viele sagen, dass es damit zu tun hat, dass es nicht gegen Juden geht, sondern gegen Israel. Aber das ist eine Diskussion, die ich leid bin zu führen. Wenn Menschen mit einer Kippah zusammengeschlagen werden oder beleidigt werden, dann ist das egal, ob sie als Zionisten oder als Juden betrachtet werden."

Und weil die Angreifer oft der Regel türkische oder arabische Wurzeln haben, liegt die Frage nahe, ob Opfer von Rassismus – und das sind sie ohne Zweifel – nicht eigentlich immun gegen das Übel sein müssten, – nein, sagt Mark Terkessidis, warum auch.

"Diese Diskussion, ob Menschen mit Migrationshintergrund auch rassistisch sein können, gehen immer ein bisschen davon aus, von der Vorannahme, die im Grunde auch aus dem moralischen Antirassismus stammt, dass nämlich die Opfer per se moralisch gut sind. Das sind sie aber nicht. Die sind genauso scheiße wie die anderen auch. Das ist aber auch gar nicht der Punkt."

Jetzt besteht Micha Guttmann aber darauf, dass alle auf dem Podium doch erst mal vor der eigenen Tür kehren, sprich; in den eigenen Communities gegen Rassismus kämpfen sollen - was Mehmet Daimagüler sofort aufbringt – der zweite Jurist in der Runde will sich nicht vorschreiben lassen, überhaupt eine "Community" zu haben.

"Sie meinen das nicht böse, ja, aber Sie reduzieren mich doch hier auf die türkische Herkunft meiner Eltern. ich bin Teil dieses Landes."

Und nun passiert das, was in den meisten Diskussionen über Rassismus geschieht: Die Teilnehmer bezichtigen sich gegenseitig - des Rassismus - ganz unabhängig von der Herkunft.

"Dieses Bild von dem marodierenden türkischstämmigen oder arabischstämmigen Jugendlichen, der auf Judenjagd ist, das finde ich einfach so verzerrt und so übertrieben, dass es einfach das eigentliche Problem an der Stelle auch verdeckt."

Sechs von sieben Diskutierenden auf dem Podium können von selbst erlittenen Rassismuserfahrungen berichten - nun macht Nuran Yigit, Projektleiterin beim Antidiskriminierungsnetzwerk in Berlin, auf das aufmerksam, was gerade vor sich geht: die Betroffenen gehen aufeinander los, und das Publikum schaut belustigt zu.

"Warum bauen wir hier auf diesem Podium eine Opferkonkurrenz auf? Also was soll das? Wir dürfen uns nicht aufspalten lassen durch solche Diskussionen."

Der Vorschlag zur Güte am Ende kommt dann auch von Andreas Zick - wer es jetzt noch wagen würde, ihn als Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu bezeichnen, müsste sich wohl selbst dem Rassismusvorwurf aussetzen: in Bielefeld lehrt Zick Pädagogik, Konflikt- und Gewaltforschung.

"Wir könnten ja sagen: Im Rassismus sind wir in Deutschland vereint. Da gibt’s ein Problem: In Deutschland gibt es Mord. Und wir alle würden sagen, ja: in Deutschland gibt es Mord. Es gibt Totschlag. Es gibt Liebe. Beim Rassismus geht das aber ganz schnell in die Frage: Die – oder die? Wir fangen schon wieder an zu leugnen. Weil wir fangen hier an über Gruppen zu reden, die mehr oder minder belastet sind. Wir könnten ja sagen: Der Rassismus geht quer."