Geboren aus einem Zwist

Von Xaver Frühbeis · 14.06.2008
Im Vergleich mit anderen deutschen Städten nahm man sich in der bayrischen Landesmetropole erst recht spät einer Chronik an. Dennoch glauben die Münchner genau zu wissen, welches Datum sie als Gründungstag der Stadt feiern dürfen. Ausgangspunkt dazu war ein Streit zwischen einem Herzog und einem Bischof.
"Bayernchronik: Heute ist der 800. Geburtstag unserer Landeshauptstadt. Ein festlicher Tag."

14. Juni 1958. Ausgesprochen feierlich begeht die Stadt München ihren Geburtstag, mit Bläserrufen von den Türmen der Stadt, mit Festzügen, einem prunkvollen Pontifikalamt im Dom sowie Sondersendungen im Radio. Ein halbes Jahrhundert später begeht man in München schon wieder einen runden Geburtstag. Nur: in Wirklichkeit stimmt das gar nicht. An jenem
14. Juni wurde nicht etwa München gegründet, sondern: Friedrich I., genannt Barbarossa, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ist es an jenem Tag gelungen, zwei schwer zerstrittene bayerische Reichsfürsten wieder zu versöhnen. Ursache für das Zerwürfnis war ein gewaltsames Raubunternehmen des Einen gegen den Anderen. Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern, hatte seinem Verwandten, dem Bischof Otto, eine wertvolle Brücke kaputt gemacht.

Otto war Bischof in Freising, einem blühenden Städtchen im Norden Münchens, nahe dem heutigen Flughafen, während in Heinrichs des Löwen Gebiet an der Stelle, wo nunmehr Bayerns Hauptstadt steht, noch recht wenig los war. Zwischen Freising und München, am idyllischen Isarfluss, liegt ein Dorf namens Föhring. Hier kreuzt eine Straße den Fluss, auf welcher seinerzeit eines der kostbarsten Handelsgüter Bayerns transportiert wurde: Salz aus Reichenhall. Die Föhringer Brücke samt Münz- und Marktrecht, vor allem aber samt den ganzen Zolleinnahmen gehörte dem Freisinger Bischof Otto. Der Sachverhalt war Heinrich dem Löwen ein arger Dorn im Auge, und so schickte er eines Tages, als Otto mal kurz nicht hinsah, seine Reiter los, und die machten aus der Föhringer Brücke Kleinholz. Gleichzeitig hatte Heinrich etwas weiter im Süden, bei einem Dörfchen namens Munichen, eine neue Brücke über die Isar schlagen lassen, und über die wurde jetzt der ganze Salztransport abgewickelt.

Heinrich steckte den Brückenzoll ein, ließ in München Münzen schlagen und Otto hatte das Nachsehen. Doch der wollte nicht klein beigeben und trug seinen Fall dem Kaiser vor. Am 14. Juni des Jahres 1158 kamen Barbarossa und seine Fürsten in Augsburg zu einem Reichstag zusammen, und bei der Gelegenheit wurde das Problem folgendermaßen gelöst: "Forum quod esse solebat apud Verigen et pons ibidem non erit." Zollbrücke, Markt und Münze sollten in Föhring nicht mehr bestehen. Die Folgen der herzoglichen Gewalttat wurden damit legalisiert. Als Ersatz jedoch für die entgangenen Einnahmen sollte Herzog Heinrich dem Freisinger Bischof etwas geben: "tertiam partem totius utilitatis de theloneo fori sui apud Munichen". Mit einem Drittel dessen, was der Herzog in München einnahm, wurde der Bischof am Gewinn beteiligt, zudem hatte er auch noch keine Mühen mehr mit dem Unterhalt von Brücke und Zollstation. Das war praktisch. Des Kaisers weiser Entschluss wurde von späteren Historikern "Augsburger Schied" genannt, das Datum dieses Schiedsspruchs gilt den Münchnern seither als ihr Stadtgründungstag.

Ein paar Jahre später allerdings wäre es beinahe schon wieder aus gewesen mit der Stadt München. Heinrich der Löwe hatte sich mit dem Kaiser vollends zerstritten, Bayern hatte einen neuen Herzog bekommen, auch Freising hatte einen neuen Bischof, und der forderte nun, dass man den Augsburger Schiedsspruch zurücknehme. Er wollte gerne seine Brücke samt Zolleinnah-men zurück haben. Die Reichsfürsten unterstützten den Vorschlag, und so wurde im Juli 1180 auf dem Hoftag zu Regensburg die Entscheidung des Kaisers widerrufen. Salzbrücke und Markt sollten mit allen finanziellen Rechten und Vorteilen wieder zurück nach Föhring kommen. "Munichen destruitur, ... " schrieb der Chronist in sein Buch, "Feringen reedificatur - München wird zerstört, Föhring wieder aufgebaut."

Doch dazu ist es, wie wir wissen, nicht gekommen. Womöglich war ja Münchens Entwicklung schon viel zu weit fortgeschritten. So blieb also alles beim Alten, München stieg auf zur Weltstadt mit Herz und großem Gründungstag, und jenes kaiserlich verfügte Drittel dessen, was in München an Zoll und dergleichen einging, das ist tatsächlich über 700 Jahre lang, bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, brav und redlich gezahlt geworden, zuerst nach Freising, nach der Säkularisation dann an den Freistaat selbst. Man legt halt wirklich Wert auf Tradition in Bayern.