Frontwechsel

Wehrmacht und GIs vereint

Soldaten der 70. Division der 7. US-Armee gehen am 20.03.1945 durch das zerstörte Saarbrücken. Die Stadt wurde durch Luftangriffe und Artilleriegeschütze in Trümmern gelegt und am 20.03.1945 von US-Truppen eingenommen.
US-Soldaten gehen durch das zerstörte Saarbrücken © picture alliance / dpa
Von Paul Stänner  · 25.04.2015
Die Ereignisse in Schloss Itter in Nordtirol klingen wie das Drehbuch zu einem Film von Quentin Tarantino: Wehrmachtsangehörige wechseln die Seite und kämpfen mit der US Army gegen die Waffen-SS. Zum Schluss gibt es sogar ein Happy End.
Die Geschichte ist wahr und wirklich passiert, dennoch klingt sie wie ein Drehbuch für einen Film von Quentin Tarantino. Die Handlung ist in ihren Grundzügen dramatisch, enthält eine Menge sehr grotesker Momente und endet mit einer wüsten Schießerei um die Mauern einer mittelalterlich erscheinenden Burg.
Das Jahrhunderte alte Schloss Itter in Nordtirol war noch 1902 mit architektonischen Anklängen im Tudorstil geschmückt worden. So hatte man die Mauern mit Turmzinnen bekränzt, als würde um Burgen noch gekämpft werden. 1942 wurde das Schloss von der SS erworben und zum Gefangenenlager umgebaut, um dort besonders prominente Häftlinge unterzubringen.
Mai 1943 trafen die ersten Häftlinge ein: Édouard Daladier, ehemaliger sozialistischer Minister und Premierminister Frankreichs. Paul Reynaud, sein Nachfolger im Amt, kam dazu, die Schwester von Charles de Gaulle, der Tennisstar und Vichy-Minister Jean Borotra traf auf seinen früheren Mentor, den rechtsradikalen Francois de La Rocques, dazu mehrere alte Generäle – es war eine sehr besondere Mischung von prominenten Franzosen, die auf Schloss Itter in Geiselhaft saßen.
Sie kamen aus sehr unterschiedlichen politischen Richtungen und manche hassten einander – ungeachtet der Bedrohung durch die SS, die für alle galt. Lagerchef SS-Hauptsturmführer Sebastian Wimmer hatte eine steile Karriere in den Todeslagern der SS durchlaufen und galt als brutal und gewalttätig.
Autor Stephen Harding hat als Journalist von Krisenherden in Nordirland, Bosnien und dem Irak berichtet. Heute ist der Historiker Chefredakteur der Zeitschrift Military History, die Geschichte unter Waffen ist seine tägliche Arbeit.
Detaillierte Beschreibung der letzten Tage
Sein Buch über "Die Letzte Schlacht", die im wörtlichen Sinne nicht wirklich die letzte Schlacht des Zweiten Weltkriegs war, beschreibt minutengenau die Handlung in den wenigen Tagen kurz vor der deutschen Kapitulation am 8.Mai 1945 und schildert in ausführlichen Biografien – soweit rekonstruierbar – die Persönlichkeiten der handelnden Charaktere.
Cover: "Die letzte Schlacht" von Stephen Harding
Cover: "Die letzte Schlacht" von Stephen Harding© Zsolnay Verlag
Die Handlung des Films, der noch zu drehen wäre, verläuft so: Deutsche Truppen fliehen vor den einrückenden Amerikanern. Der Kommandant des KZ Dachau kommt in das Außenlager Schloss Itter – um sich dort zu erschießen.
Das ist für die SS-Mannschaft im Schloss das Signal sich abzusetzen. Die Franzosen sind jetzt unbewacht, aber auch ungeschützt vor marodierenden Einheiten fanatischer Waffen-SS, die mordend durch Tirol ziehen.
Doch die Gefangenen sind nicht allein. Wehrmachtsoffizier Sepp Gangl und Kurt-Siegfried Schrader, Offizier der Waffen-SS, haben inzwischen die Seiten gewechselt. Vielleicht waren sie nicht richtig im Widerstand, wohl mehr im Ausstand, aber unter dem Druck der Ereignisse schlossen sie sich dem zivilen österreichischen Widerstand an.
Sie übernehmen mit Wehrmachtsangehörigen, die nur darauf warten, sich ergeben zu können, den Schutz der Franzosen. Gleichzeitig erreicht auf unterschiedlichen Wegen die Nachricht von den Gefangenen auf Schloss Itter die US Army.
Warten auf das Anrücken der SS
Die Army beschließt eine Rettungsmission. Ein amerikanisches Vorauskommando unter Captain John Lee trifft auf Itter ein. Umgeben von altdeutschen Mauern erwarten ein Dutzend Wehrmachtsangehörige, 14 amerikanische Panzersoldaten sowie die französischen Gefangenen, das Anrücken der Waffen-SS.
Man denkt, Überleben sei jetzt das Wichtigste. Aber dass Befreiung auch eine Frage der Ästhetik sein kann, schildert Stephen Harding so:
"Während Éduard Daladier Sepp Gangl 'höflich' und 'würdevoll' fand, erschien ihm der amerikanische Captain als 'grob in Aussehen wie in Manieren', und so spottete der ehemalige französische Premier: 'Wenn Lee ein Spiegel von Amerikas Politik ist, dann stehen Europa harte Zeiten bevor.'"
Das schrieb er natürlich erst nach seiner Befreiung.
Doch weiter im Verlauf: Eine Einheit fanatischer Waffen-SS'ler erscheint und nimmt das Schloss unter Beschuss. Die Belagerten antworten, auf beiden Seiten wird gefeuert, was die Vorräte hergeben.
Erstaunlicherweise verzeichnen die Belagerten nur einen Toten. Der hochdekorierte Gebirgsjäger Sepp Gangl rannte, weil er Paul Reynaud warnen wollte, ohne Deckung über den Platz ...
"... als er plötzlich mit einer seltsamen Bewegung aufs Pflaster des Hofes stürzte und dabei seine Offiziersmütze verlor. Als sich um seinen Kopf herum rasch eine große Blutlache bildete, war offenkundig, dass Sepp Gangl, ein mutiger Mann, der die Hölle von Stalingrad und den Mahlstrom der Normandie überlebt hatte, von der Kugel eines Scharfschützen getroffen worden war."
Die Belagerten halten durch, bis in buchstäblich letzter Minute, so wie Hollywood es gewollte hätte, eine amerikanische Verstärkung die Waffen-SS zum Rückzug zwingt. Die letzte Klappe geht nieder, nachdem Harding dramaturgisch geschickt den zweiten Teil der Lebensläufe eingeblendet hat – das Leben der Protagonisten nach der letzten Schlacht.
Die den Historiker schmückenden Details – wenn er zum Beispiel in ermüdender Ausführlichkeit Ausbildung, Rang, Dienstgrad in der Untereinheit der Obereinheit und so weiter auflistetet – wird der Leser überspringen wollen, aber im Übrigen hat er eine ebenso erstaunliche wie spannende Geschichte vor sich. Man kann davon ausgehen, dass die Verfilmung ihren Weg in die Kinos finden wird.

Stephen Harding: Die letzte Schlacht. Als Wehrmacht und GIs gegen die SS kämpften
Aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn
Zsolnay Verlag, Wien 2015
314 Seiten, 24,90 Euro

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