Friedrich von Borries: "Weltentwerfen"

Design gegen die Unterwerfung

Friedrich von Borries, Architekt, Kurator und Designtheoretiker
Friedrich von Borries, Architekt, Kurator und Designtheoretiker © imago / Sven Simon
Von Thorsten Jantschek · 20.01.2017
Friedrich von Borries begreift die Arbeit des Designers als eine politische. Dinge zu entwerfen sei eine Form der Befreiung - subversiv, gefährlich, aufrührerisch. Seine politische Designtheorie erläutert der Designtheoretiker in dem Buch "Weltentwerfen".
Designer, sind das nicht die, die unseren Alltag aufhübschen? Die, die ein Formproblem im besten Falle so lösen, dass das Resultat, der Sessel oder die Teetasse, uns gefällt oder ins Auge sticht, die eine Zitronenpresse auf drei Beine stellen oder die klassische Couch in eine Liegelandschaft verwandeln? Mit dieser Vorstellung hat die politische Designtheorie von Friedrich von Borries auf den ersten Blick so gar nichts zu tun.
Design ist für den an der Hamburger Hochschule für bildende Künste lehrenden Autor eine umfassende menschliche Tätigkeit. "Design", schreibt er, "ist das planvolle – also absichtliche, vorsätzliche, zielorientiert – gestalten von physischen und virtuellen Geständen, Innen- und Außenräumen, Information und sozialen Beziehungen." Und diese Tätigkeit greift aus bis hin zur Gestaltung des eigenen Lebens und der Welt. Wir sind – so die weitreichende Folge dieses Designbegriffs – alle verantwortlich für die Gestaltung unserer Lebenswelt, sind aufgerufen, uns mit dem, was uns umgibt, auseinanderzusetzen und nicht einfach hinzunehmen, was andere für uns formen, egal ob das sich nun auf Gegenstände, Gebäude oder die Gestaltung von Sozialbeziehungen bezieht. Wir sollten vorgefertigte Lösungen schon deshalb nicht hinnehmen, so die Grundunterscheidung dieses Buches, weil Design entweder entwirft oder unterwirft, entweder eine emanzipatorische Kraft entfaltet, uns Handlungsmöglichkeiten eröffnet oder Herrschaftsverhältnisse verfestigt und – etwa im Städtebau – Macht im wahrsten Sinne des Wortes "verdinglicht".

"Die praktische Umsetzung der Aufklärung"

Entwerfen ist für von Borries "die praktische Umsetzung der Aufklärung", ist subversiv, gefährlich, aufrührerisch, ist Befreiung, ist "der Ausgang des Menschen aus seiner Unterworfenheit." Insofern kann man diese Vorstellung von Design auch eminent politisch nennen. Zumal sich der Autor in halb ironischer, aber ganz ernster Weise an den Leitlinien des "Braun"-Designers Dieter Rams orientiert und jedes Kapitel mit einem Satz beschließt, der festlegt, was "gutes" (emanzipatorisches) Design ist.
Luft, Wasser und Nahrung sind etwa die Gegenstände des "Überlebensdesigns" insofern der Zugriff auf ebendiese lebensnotwendigen Ressourcen gestaltet werden muss. "Gutes Design", heißt es entsprechend, "hilft beim Überleben." Dass der Zugriff auf sauberes Wasser etwa in vielen Teilen dieser Welt alles andere als gesichert angesehen werden kann, macht eine Designaufgabe natürlich offensichtlich.
Für jeden Bereich, den von Borries ins Auge fasst, hat er eine weitreichende These parat: Wendet er sich etwa dem Design von Sicherheit zu, etwa im öffentlichen Stadtraum, dann fragt er sich nicht, wieviel Freiheit wir noch z.B. durch Überwachungsmaßnahmen auf dem Altar der Sicherheit zu opfern bereit sind, sondern er fordert auf, einen gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen, wieviel Unsicherheit uns größere Freiheitsspielräume wert sind. Und er macht damit deutlich, dass dann, wenn mit Angst Politik gemacht wird, vor allem eines zementiert wird: Herrschaft.

Nicht jeder ist Künstler, nicht jeder ist Designer

Nun kann man gegen diese Thesen, die über das Entwerfen einer besseren Gesellschaft bis hin zum Entwerfen einer besseren Welt reichen, leicht einwenden, dass sie den Einzelnen heillos überfordern. So wenig wie jeder Mensch – wie Joseph Beuys dereinst proklamierte – ein Künstler ist, so wenig ist jeder einzelne ein Designer. Dennoch schärft das Buch – gerade in seiner globalen Sicht – den Blick für die eigentliche Aufgabe von Politik, das ist nämlich vor allem eines: Gestaltung, oder nennen wir es Design. Gute Politik wäre es, die Lebensbedingungen so zu gestalten, dass die Freiheitsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten erweitert werden.
Davon ist Realität weit entfernt. Aber auch das Entwerfen beginnt ja jederzeit mit einer Idee, einer Skizze, einem Modell, das vielleicht nie umgesetzt wird, oder – wenn es denn umgesetzt wird – am Ende ganz anders, vielleicht sogar viel schlechter aussieht als geplant. Diese Entfaltungsmöglichkeiten und Freiheitsspielräume gedacht und entworfen zu haben verleiht der Aufklärung, der dieses Buch verpflichtet ist, dennoch eine sehr zeitgemäße Form.

Friedrich von Borries: Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie
Suhrkamp Verlag
144 Seiten, 14 Euro

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