Fremd im eigenen Land

"Du bist Jude? Wie aufregend!"

Autor Yascha Mounk in New York
Yascha Mounk ist Deutscher - und doch fühlte er sich in Deutschland stets fremd, wie er in seinem Buch schreibt. © picture-alliance / dpa / Carl Schoonover
Von Jochanan Shelliem · 22.07.2016
Yascha Mounk hat Deutschland verlassen. Dem 1982 in München geborenen jüdischen Historiker wurde die Ausgrenzung durch wohl- wie übelmeinende Deutsche irgendwann zu viel. Von seinen Erfahrungen berichtet er in dem Buch "Echt, du bist Jude?"
"Hör auf zu lügen! Jeder weiß, dass es keine Juden mehr gibt." Mit diesem Kommentar seines Klassenkameraden beginnt für Yascha Mounk die Auseinandersetzung mit seinem Jüdischsein. Davor war er einfach ein bayerischer Junge.
"Ich bin geboren in München."
Davor hatte Yascha Mounk als einer von zwei Juden in dem verschlafenen Laupheim sich nicht als Jude gefühlt. Das änderte sich mit seiner Einschulung ins Gymnasium.
"Es war der erste Tag der 5. Klasse. Gymnasiallaufbahn und unser Lehrer kam herein... Ein paar Formalitäten erledigen... Alsbach, Lisa... Katholisch oder evangelisch? Gut. Emmerle Johannes? Evangelisch. Ich merkte, bald kommt es zu mir. Und ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil ich nicht richtig religiös... Mounk, wie spricht man das überhaupt aus, Junge.. Katholisch oder evangelisch? Glaube ich bin irgendwie jüdisch und ich hatte... - schrie Johannes: wir wissen, dass es die Juden nicht mehr gibt..."

In Deutschland blieb er immer ein Exot

Das besondere an dieser Reaktion ist nun nicht der Satz des Laupheimers Johannes - "Wir wissen, dass es die Juden nicht mehr gibt" - sondern, dass Yascha Mounk nicht in den 1950-ern geboren worden ist, sondern 1982 – 37 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches. Dieses "wir wissen genau, dass es die Juden nicht mehr gibt", diese empörte Richtigstellung des schwäbischen Johannes, findet also 1992 statt, zu der Zeit, da sich Frau Zschäpe und andere Rechtsradikale daran machen, Fremde zu ermorden.
Auf derartige Antisemiten traf der junge Jude nicht, er bewegte sich in Intellektuellenkreisen. Doch seit dieser ersten Deutschstunde im Gymnasium war und blieb er der Exot. Auch in der Weltstadt München.
Auf einer Party kommt es zu einem Gespräch über Woody Allen, dessen Filme ein Bekannter namens Franz gerade zerrissen hat. Als er aber Yascha sieht, lobt er Allens Filme in den Himmel. Marie versteht die Wendung nicht. Sie wendet sich an Yascha...
"Und Marie meinte, schreibst Du eine Arbeit über Woody Allen oder bist Du mit ihm verwandt? Und Franz meinte, irgendwie Yascha schon mit Woody Allen verw... - Was, du bist echt mit Woody Allen verwandt? Mach dir keine Sorgen. Franz will damit sagen, dass ich jüdisch bin - Echt, Du bist Jude? Wie aufregend."

Behandelt wie sonst Todkranke und Geistesgestörte

"Echt, Du bist Jude?" ist der Titel dieses Rückblicks eines Cambridge-Absolventen, der in seinem Geburtsland unter der permanenten Ausgrenzung wohl- oder übelmeinender Mitbürger litt und darum das Land verlassen hat.
"Ich sage immer, dass ich behandelt wurde, wie sonst Todkranke und Geistesgestörte."
Yascha Mounk formuliert seine Rückschau angelsächsisch analytisch, im Ton aber freundlich, auch wenn der heute in Harvard lehrende Politologe tendenziöse Medienkampagnen in der Bundesrepublik analysiert, die Juden als Moralapostel oder Störenfriede ansehen. Ob es die Reaktion auf antisemitische Ausfälle von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone ist oder die Paulskirchenrede des Schriftstellers Martin Walsers, dem jungen Wissenschaftler ist rasch klar: Er wird hier nie ein integrierter Deutscher werden. Mounk ist weder narzisstisch noch larmoyant. Er hält seinem Geburtsland den Spiegel vor und dieser zeigt eine verklemmte Nation voller Angst vor Fremden. Das Bild, das dieser Spiegel zeigt, sollte man sich ganz genau ansehen, dann wird man die Brandanschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte besser verstehen.

Yascha Mounk: "Echt, du bist Jude? Fremd im eigenen Land"
Kein & Aber, Zürich 2016
272 Seiten, 23 Euro

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