Freie Republik Schwarzenberg

Ein real existierender Mythos wird 70

Das Schild "Freie Republik Schwarzenberg" hängt am 21.04.2015 an einem Zaun in Schwarzenberg (Sachsen). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren wurde die kleine Erzgebirgsstadt für wenige Wochen weder von amerikanischen noch sowjetischen Truppen eingenommen.
Das Schild "Freie Republik Schwarzenberg" hängt an einem Zaun in Schwarzenberg (Sachsen). © picture-alliance / dpa / Jan Woitas
Von Nadine Lindner · 15.06.2015
Fast 2000 Quadratkilometer rund um Schwarzenberg im Erzgebirge blieben nach Kriegsende unbesetzt. Erst am 25. Juni 1945 rückten sowjetische Truppen in die Stadt ein. Um die Versorgung der Stadt sicherzustellen und für Recht und Ordnung zu sorgen, übernahmen acht Männer und eine Frau die Macht - ohne Wahl, ohne Legitimation.
In seiner kleinen Galerie mitten in der Schwarzenberger Altstadt präsentiert Jörg Beier Bilder zur unbesetzten Zeit vor 70 Jahren.
"Schwarzenberg war mal ein besonderes Gebiet und vielleicht machen wir es auch wieder zu einem besonderen Gebiet, indem wir uns Freie Republik nennen, wo eine tolerante Atmosphäre und Offenheit in der Kultur herrscht."
Beier ist ein Urgestein hier im Ort. Er ist Mitglied in der Künstlergruppe "Zone". Sie haben die Freie Republik Schwarzenberg ausgerufen. Ein Kunststaat - eine Provokation mit Augenzwinkern und eine Anspielung an die Stadtgeschichte im Jahr 1945.
Erstaunliche Episode am Ende des Zweiten Weltkriegs
Denn es ist eine erstaunliche Episode: Die Menschen in Schwarzenberg hatten am Ende des Zweiten Weltkrieges mit vielem gerechnet - nur nicht damit: dass keiner kam. Vom 11. Mai bis zum 25. Juni 1945 blieb die Region um Schwarzenberg unbesetzt. Mike Schmeitzner Historiker an der TU Dresden hat die Vorgänge rund um die Kapitulation in Sachsen erforscht, als amerikanische und sowjetische Truppen zwar vorrücken, aber einige westsächsische Gebiete wie Schwarzenberg aussparten:
"Die Bevölkerung nimmt das mit Erstaunen und Entsetzen wahr. Und jetzt war die Frage für die Verwaltungen, die vorher von der NSDAP dominiert worden sind, beherrscht worden sind, wie geht es weiter in so einer Situation, wie soll man sich verhalten?"
Acht Schwarzenberger Bürger, Kommunisten, Sozialdemokraten, gründeten nach einer ersten Phase der Verwunderung einen Antifaschistischen Aktionsausschuss und regierten für die folgenden sechs Wochen ihre Stadt selbst.
Die historischen Gründe sind bis heute noch nicht abschließend geklärt. Es gibt verschiedene Erklärungsversuche – wie die Verwechslung der Flüsse Freiberger und Zwickauer Mulde, noch einmal Mike Schmeitzner:

"Da wird bis heute spekuliert. Auch von renommierten Historikern wie von Gareth Pritchard, der umfangreich geforscht hat. Weil nicht ganz klar ist, ob es geografische Versehen waren, Kartenfehler."
Ein Romanstoff für Stefan Heym
Vielleicht wäre diese kuriose Episode aus dem Jahr 1945 einfach in Vergessenheit geraten, wenn nicht der Schriftsteller Stefan Heym 1984 diesen Stoff noch einmal aufgegriffen hätte in seinem Roman "Schwarzenberg". Dort erschafft er eine sozialistische Mini-Republik und lässt die unbesetzte Zeit zu einem ideologisch aufgeladenen Mythos werden sagt Josefine Hoske. Sie leitet das stadtgeschichtliche Museum in Schwarzenberg und auch das Buch von Stefan Heym ist als Exponat vertreten:
"Das, was es in den sechs Wochen gegeben hat, das war keine Republik, es war es unbesetztes Gebiet. Heym hat aufgegriffen und hat das weiter gedacht."
Dieses historische Erbe nach der Wiedervereinigung zu verwalten, war über viele Jahre sehr schwierig. Denn zwei Gruppen standen sich in der Stadt gegenüber:
Auf der einen Seite stehen die Romantiker, die den Pragmatismus der Schwarzenberger Bürger überhöhen und zu einer "Republik-Gründung" erklären. Der Roman von Heym tat sein Übriges.
Auf der anderen Seite sind die, die in dem Aktionsausschuss eine Willkürherrschaft von Wenigen sehen, die zudem im Zuge der Entnazifizierung nicht zimperlich mit Verhaftungen gewesen sind. Für sie sind Begriffe wie die Freie Republik Schwarzenberg aus der Galerie von Jörg Beier eine Verharmlosung und eine Provokation.
Nüchterner Blick auf das geschichtliche Erbe
Mittlerweile hat die Stadt diese Zeit aufgearbeitet, Historiker beauftragt. Oberbürgermeisterin Heidrun Hiemer, CDU, betrachtet das Erbe mit der Nüchternheit einer Kommunalpolitikerin, sieht weder Republik noch Willkür:

"Tausende von Flüchtlingen, Zwangsarbeiter, Tausende Menschen, die gehungert haben, nichts zu essen hatten. Und da haben die Menschen gehandelt. Das waren ja nicht nur Kommunisten, sondern auch Christen dabei, Sozialdemokraten. Die gesagt haben, wir müssen etwas tun. Wir gehen jetzt zum Rathaus und kümmern uns um Lebensmittel."

Die unbesetzte Zeit in Schwarzenberg bewegt bis heute die Gemüter, denn sie regt die Fantasie an. Sie reizt uns zu fragen: Was wäre wenn? Was wäre, wenn Deutschland nach dem Krieg nicht besetzt worden wäre, einen Neuanfang aus eigener Kraft hätte machen können? Was wäre, wenn wir unser Land heute noch einmal ganz neu gestalten könnten, wie würde es dann aussehen?
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