Frauen bringen mehr soziale Kompetenz in die Unternehmen

Christina von Braun im Gespräch mit Britta Bürger · 13.02.2009
Nach Ansicht der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun birgt die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise für Frauen auch die Chance, in Führungspositionen aufzusteigen. Die Wirtschaft brauche eine neue Struktur und neues Denken. Dazu könnten Frauen beitragen, denn sie seien besser trainiert in Fragen der sozialen und psychologischen Kompetenz. Außerdem hätten sie einen reelleren Bezug zum Geld.
Britta Bürger: Wären Frauen die besseren Wirtschaftsbosse? Darüber diskutieren wir derzeit in einer Reihe von Gesprächen hier im Radiofeuilleton, heute mit Christina von Braun, Professorin für Kulturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, Autorin, Filmemacherin und Expertin auf dem Gebiet der Geschlechterforschung. Schönen guten Tag, Frau von Braun!

Christina von Braun: Guten Tag, Frau Bürger.

Bürger: "Der Finanzgau ist männlich", das hat ein Hörer in dieser Woche in unserer Debatte hier im Deutschlandradio Kultur gesagt, ergänzt von einer Hörerin, die meinte, Männer in Führungspositionen folgten immer noch dem Jagdtrieb und seien somit risikofreudiger, während Frauen zugleich an die Folgen ihrer Entscheidungen denken würden. Hat das, Frau von Braun, tatsächlich was mit dem männlichen Jagdtrieb zu tun?

von Braun: Also - es ist wohl eindeutig, dass es einen Zusammenhang zwischen guter Spekulation und einem Steigen des Testosteronspiegels gibt. Das haben Forscher in England nachgewiesen. Aber das bedeutet noch nicht, dass das was mit biologischen, alten, archaischen Körperlichkeiten des Mannes zu tun hat. Wir haben in der westlichen Geschichte eine interessante Entwicklung, die sich 2000 Jahre mindestens zurückverfolgen lässt, wo Männlichkeit zunehmend mit geistiger Potenz gleichgesetzt wurde und eben gerade nicht mit biologischer Potenz.

Und geistige Potenz bedeutet eben, dass Männer geistlicher werden, dass sie zu den Wissenschaftlern werden, das sind alles Funktionen, zu denen Frauen nicht zugelassen sind, und dass sie politische Rechte haben und nun die letzte Bastion - also die Bastion Wissenschaft und Politik ist ja inzwischen genommen von den Frauen -, aber die letzte Bastion war die des Geldes, des Finanzkapitalismus insbesondere, der mit Männlichkeit gleichgesetzt wird. Und insofern kann man sagen, dass, wenn der Testosteronspiegel bei Männern steigt, wenn sie gut spekulieren, dann hat das eher etwas mit diesem Transferprozess zu tun, dass Potenz eben viel stärker mit männlichem Verdienstvermögen oder dieser Art von Potenz zusammenhängt.

Und das ist natürlich auch einer der Gründe, weshalb Männer ausgesprochen beunruhigt sind, wenn Frauen auch erfolgreich sind auf diesem Gebiet, weil dann ihre Definition von Männlichkeit in Frage gestellt wird, dann ist diese lange Tradition, Männlichkeit zu definieren über geistige Potenz, auf einmal in Frage gestellt, und das ist sicherlich einer der Gründe, weshalb ein Unbehagen dann vielleicht in einigen dieser Aufsichtsräte aufkommt, wenn Frauen diese letzte der Bastionen, die des Geldes, eben auch zu nehmen versuchen.

Bürger: Mit welchen Waffen, um diesen männlichen Begriff zu benutzen, mit welchen Waffen könnten Frauen diese Bastion erobern?

von Braun: Ja, so wie sie das Stimmrecht erobert haben, also in das politische Feld hineingezogen sind, so wie sie die Wissenschaft, die Universitäten erobert haben und irgendwann bewiesen haben, dass sie genauso gut wissenschaftlich arbeiten können wie Männer, so werden sie natürlich auch eines Tages die Bastion der Banken und der Aufsichtsräte einnehmen. Es dauert, offenbar ist dieses Gebiet das, wo am stärksten Männlichkeit betroffen ist oder die Männlichkeitsbilder betroffen sind, aber natürlich werden auch diese Bastionen von Frauen genommen.

Und es kommt noch ein Faktor hinzu, der heute sowohl in der Wirtschaft als auch im Finanzkapitalismus eine große Rolle spielt, dass man eben den modernen Kapitalismus gleichsetzt mit psychologischer Kompetenz, mit sozialer Kompetenz. Wenn Sie schauen, was ...

Bürger: Fähigkeiten, die Frauen zugeschrieben werden.

von Braun: Genau, Fähigkeiten, die den Frauen zugeschrieben werden und wo sie ja auch tatsächlich ein langes Training haben aus Gründen des Selbstschutzes und der Familiensorge. Und insofern ist sogar von einer Verweiblichung des Kapitalismus oft die Rede in soziologischen Untersuchungen, und das natürlich wird andererseits auch Frauen dazu verhelfen, ihre Kompetenz auf diesem Gebiet auch zu beweisen.

Bürger: Dennoch, die Wirtschafts- und Finanzwelt, die gilt als kaltblütig und brutal, hier muss man sich warm anziehen, ein dickes Fell zulegen, das sind gängige Bilder. Vielleicht wollen Frauen gar nicht unter diesen Bedingungen arbeiten?

von Braun: Es gibt sicherlich eine gewisse Zurückhaltung, ich meine, einer Karrierefrau strömt nicht so viel Sympathie entgegen wie einem Mann, der erfolgreich ist und immer als sexy gilt, wenn er erfolgreich ist auf diesem Gebiet. Das ist klar, das ist sozusagen ... Man muss über mehr Hürden hinweggehen als Frau, wenn man in dieses Gebiet hineingehen will, aber es gibt Frauen, die sich ausgesprochen für Geldfragen und Wirtschaftsfragen heute interessieren. Das sind zum Teil Erbinnen großen Vermögens, aber es sind zum Teil auch sehr intelligente Frauen, die einfach finden, dass dieser Sektor sehr interessant ist und insofern ist es meiner Ansicht eine Frage der Zeit, bis Frauen in diese Gebiete auch stärker hineingehen wollen.

Bürger: Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen darüber, ob Frauen die Finanzwelt besser in den Griff bekommen könnten als Männer, wenn sie denn in die oberen Etagen vordringen. Die Unternehmensberaterin Monika Schulz-Strelow meint: Ja. Sie fordert mit dem Verein "Frauen in die Aufsichtsräte!" 25 Prozent der Posten für Frauen. In Norwegen sind es bereits 40 Prozent, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Wie stehen Sie, Frau von Braun, zu dieser Quotierung?

von Braun: Sie scheint ja tatsächlich auch Erfolg zu haben. Wir haben es gesehen bei den Parteien, man sieht es jetzt auch in den Universitäten, dass eine gewisse Quotierung tatsächlich hilfreich ist, um einige Barrieren zu überwinden. Insofern finde ich dieses norwegische Modell, das, glaube ich, auch in Finnland existiert, sehr interessant.

Und es wird wahrscheinlich auch zeigen, dass die Unternehmen sehr gut wirtschaften können, wenn sie Frauen in den Aufsichtsräten haben, weil Frauen auch eine gewisse Kompetenz mitbringen, die nicht nur reiner, kalter Kapitalismus, wie Sie gerade sagten, sondern eben auch eine bestimmte psychologische, soziale und andere Kompetenz, die auch als ein hoher Wert in Unternehmen heute betrachtet wird, mitbringen.

Bürger: Psychologisierung noch mal als Stichwort. Mit Blick auf die Finanzkrise könnte man ja sagen, stillos geht die Welt zugrunde. Ist das erfolgreiche Führen großer Unternehmen also vor allem auch eine Führungsstilfrage?

von Braun: Ich glaube, man kann feststellen, dass jetzt gerade bei der Finanzkrise das auch offenbar geworden ist. Einige der Unternehmen, die jetzt untergehen, einige der Banken haben gerade diese Art von Stil nicht gepflegt und haben Leute vor die Tür gesetzt innerhalb von wenigen Monaten, und das schlägt dann auf einen sehr harten Kampf innerhalb eines Unternehmens zurück.

Bürger: Aber meinen Sie, Frauen hätten das unter diesem finanziellen Druck nicht gemacht?

von Braun: Sie sind gar nicht erst da hingekommen. Ich halte Frauen nicht für, wie soll man sagen, sensibler, also aus biologischen Gründen für sensibler. Sie sind einfach besser trainiert in diesen Fragen der sozialen und psychologischen Kompetenz. Und es ist durchaus möglich, dass, wenn Frauen in solche Positionen kommen, sie genauso hart sind, genauso um sich schlagen, wie Männer es getan haben.

Aber es kommt hinzu, dass der moderne Kapitalismus einfach besser funktioniert, wenn er diese Art von Kompetenz auch in den Unternehmen praktiziert. Und deshalb könnte es sein, dass, wenn tatsächlich mehr Frauen in die Unternehmen gehen und gleichzeitig die Unternehmen diese Bedeutung von psychologischer, sozialer Kompetenz in der Führungsetage reflektieren, dass dann tatsächlich zwei Faktoren gut miteinander zusammenkommen.

Bürger: Ausgangspunkt unserer Gesprächsreihe ist der Zusammenbruch der Finanzmärkte und die Frage, ob das mit Frauen an der Spitze auch passiert wäre. Deshalb doch zum Schluss die Frage: Wären Frauen Ihrer Ansicht nach tatsächlich die besseren Wirtschaftslenkerinnen? Hätten sie die Katastrophe abwenden können?

von Braun: Ich weiß nicht, ob nicht die jetzige Finanzkrise auch etwas hat, das sehr viel mit der Abstraktion des Geldes zu tun hat, dass das Geld eben nur noch ein Zeichen überhaupt ist, und ob da nicht alle hineingeritten sind in diese wunderbare Fruchtbarkeit des Geldes. So ein Zeichen lässt sich ja unheimlich leicht am Computer vermehren und bietet insofern eine Reproduktionsfähigkeit, die jede biologische Reproduktionsfähigkeit übertrifft.

Und ich glaube, wir haben jetzt erlebt, dass der moderne Finanzkapitalismus und die Katastrophe, die wir jetzt gerade haben, mit dieser Naivität zusammenhängt, dass dieses abstrakte Geld einfach vermehrt werden kann, ohne dass man dafür mal zahlen muss. Es könnte sein, dass Frauen mit dieser Entwicklung etwas vorsichtiger umgehen. Ich halte das für möglich, weil sie immer stärker - auch das antrainiert - mit der Beziehung zwischen Geld und Realien - also dass Geld eben ein Haus kaufen kann, dass Geld Essen bedeutet, dass Geld materielles Gut bedeutet -, diese Beziehung haben Frauen, die natürlich immer den Haushalt der Privatfamilien verwaltet haben, viel stärker immer wieder hergestellt. Und insofern hätte es sein können, dass sie dieser Zeichenhaftigkeit des Geldes nicht ganz so auf den Leim gegangen wären. Aber das ist eine Spekulation. Ich glaube, das ist eine Schule, durch die wir alle jetzt gehen müssen.

Bürger: Und jetzt liegt in der Krise eine Chance für Frauen, vorzupreschen?

von Braun: Ja. Ich glaube, es liegt überhaupt in der Krise eine große Chance, so katastrophal es eben im Moment aussieht mit der Rezession, wäre ja durchaus denkbar, dass wir aus diesen Erfahrungen auch lernen. Obama hat zum Beispiel den Wiederaufbau der Wirtschaft mit ökologischen, erneuerbaren Energien gekoppelt, was ich eine sehr weise Entscheidung finde.

Also - es ist durchaus denkbar, dass diese Rezession oder die Finanzkrise uns einerseits lehrt, mit diesem Geld nicht ganz so zeichenhaft umzugehen, andererseits aber auch Frauen stärker in diese Positionen zu lassen, weil einfach eine neue Struktur und ein neues Denken - was ist Wirtschaft und was ist eine blühende, erfolgreiche Wirtschaft - eventuell noch mal diesen Strukturaspekt braucht.

Bürger: Wären Frauen die besseren Wirtschaftsbosse? Diese Frage ging heute an die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, und es werden noch andere kluge Denkerinnen und Denker folgen, mit deren Unterstützung wir nach Antworten suchen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Frau von Braun!

von Braun: Ja, danke auch!
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