Französische Revolution

Der Bruch von 1789

Von Philipp Schnee · 12.11.2014
Was hat die Französische Revolution gebracht? Liberté, Egalité, Fraternité? Nichts von alledem. Stattdessen - die alte gesellschaftliche Ungleichheit und den Despoten Napoleon. Aber die politische Kultur wurde tiefgreifend revolutioniert.
Über alles streiten sich die Historiker: Über Ursachen und Gründe über die Deutung, über den wahren Endpunkt der Revolution - war es der Sturz Robespierres, der Aufstieg Napoleons oder sein Fall in einer Sache aber sind sich die Historiker unterschiedlichster Provenienz einig: Die Revolution revolutionierte die politische Kultur, tiefgreifend und nachhaltig.
Es waren nicht die Ereignisse, der Sturm auf die Bastille im Juli 1789, die Hinrichtung des Königs oder die Aufstände, die die Revolution so bedeutsam machten. Sie sind bloße Oberfläche. Bedeutsam, schreibt etwa der deutsche Historiker Rolf Reichardt, sind vielmehr die Parolen, Leitbegriffe und die politischen Grundsatzerklärungen. "Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren." Von heute aus wirken Aussagen wie diese wie Selbstverständlichkeiten, damals aber waren sie neu in der Alten Welt und unerhört - und verschoben das, was "Politik" heißt. Auch die Kulturhistorikerin Lynn Hunt beschrieb das immer wieder:
"Seit der Französischen Revolution muss man erklären, warum man eine bestimmte Form der gesellschaftlichen und politischen Organisation bevorzugt. Nichts geht, ohne es auszusprechen. Man muss sagen, warum. Man muss die Gründe nennen. Man muss für die Politik und die Gesellschaft ein Programm haben.
Diese Programme nennen wir Ideologien. Liberalismus, Konservatismus, Nationalismus, Sozialismus ... - all diese waren keine Begriffe oder gar Ideologien vor der Französischen Revolution."
"Man muss sagen, warum": Die Massen wurden zum Volk, zur Nation, die den Anspruch hat, über die Regierung zu bestimmen. Für die Legitimation von Macht und Herrschaft verlor der Zusatz "von Gottes Gnaden" seine Wirksamkeit. Die Welt sollte nach Ideen, politischen Programmen und Utopien gestaltet werden, nicht durch Tradition bestimmt werden. Selbst wer die Revolution ablehnte, bewegte sich auf diesem neuen Fundament der Politik. Der Herrschaftsanspruch musste begründet werden. "Man muss sagen, warum."
Die historische Umwälzung drang tief in den Alltag ein
Wie die Revolutionäre wandten sich auch die Gegenrevolutionäre und Royalisten in Reden und Flugblättern an alle Franzosen, um sie zu überzeugen - und akzeptierten somit das Volk als Souverän, als Adressaten von Politik. Selbst die katholischen Priester, die einen Eid auf die bürgerliche Verfassung ablehnten und damit ein Fanal für die Gegenrevolution gaben - selbst sie beriefen sich in ihrer Ablehnung immer wieder auf die Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Auch sie trieben auf der 1789 geschaffenen Grundlage Politik. Mehr noch: Die historische Umwälzung drang tief in den Alltag aller Bevölkerungsschichten ein: Joachim Heinrich Campe, ein deutscher Beobachter der Revolutionsgesellschaft, beschreibt euphorisch, wie sich Menschentrauben um Flugblätter, vor den vielen Plakaten, vor den Wandzeitungen versammeln, die jeden Tag frisch an öffentlichen Plätzen ausgehängt werden:
"Denken Sie sich, wie diese Publizität, diese Teilnahme Aller an allem, auf die Entwicklung der menschlichen Seelenkräfte, besonders auf die Verstandes- und Vernunftausbildung der Leute wirken muss! ... Was ich mehrmals beobachtet habe - wie vier oder fünf oder sechs solcher armseliger Lastträger ... sich dicht zusammenstellen, um den vorlesenden gelehrten Kameraden, mit vorgehaltenem Ohre, starren Augen und offenem Munde zuzuhören. ... Lastträger sich mit den Rechten der Menschheit unterhalten zu sehn: welch ein Schauspiel."
Der politische Chanson boomte
Die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften in Paris und Frankreich explodierte. Auch wer Analphabet war, war Teil der neuen Öffentlichkeit: Neben den Druckereien entstanden Gravurwerkstätten, in denen tagesaktuell die neuesten Nachrichten und Debatten in Druckgraphiken unters Volk gebracht wurden. Auf bekannte Melodien wurden tagesaktuelle Botschaften gesungen, der politische Chanson boomte.
Der Philosoph Immanuel Kant ("Kritik der reinen Vernunft") in einer zeitgenössischen Darstellung. Er wurde am 22. April 1724 in Königsberg geboren und starb ebenda am 12. Februar 1804.
Der Philosoph Immanuel Kant ("Kritik der reinen Vernunft") in einer zeitgenössischen Darstellung. © picture alliance / dpa / Foto: Diener
Für eine kurze Zeit wurde Politik zum gelebten Alltag: In Clubs und Gesellschaften aller politischer Couleurs wurde debattiert, gewählt, organisiert und so, ganz nebenbei, demokratische Kultur eingeübt. Die Nation, nicht der Monarch, war der Souverän. Was sich hier mit der Zäsur von 1789 veränderte, war so einschneidend, dass es selbst im fernen Königsberg verstanden wurde. Immanuel Kant schrieb:
"Ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergisst sich nicht mehr, weil es einen Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat. ... Denn jene Begebenheit ist zu groß, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt, als dass sie nicht den Völkern, bei irgendeiner Veranlassung günstiger Umstände, in Erinnerung gebracht und zu Wiederholung neuer Versuche dieser Art erweckt werden sollte."
Die Revolution setzte viel Unerhörtes, viel Erstmaliges in die Welt, Vieles verschwand bald wieder, aber die Koordinaten dessen, was Politik ist, verschob sie grundlegend. Es wurde fortan gestritten.
Mehr zum Thema