Französisch sommerfrisch

Von Frieder Reininghaus · 06.07.2012
Das Festival international d'Art Lyrique d'Aix-en-Provence ist nach wie vor "das Schaufenster" (und zugleich die Sommerfrische) des französischen Musiktheaterbetriebs. Mozarts Musik ist seit der Gründung des Festivals vor gut sechs Jahrzehnten eine der "Säulen" – so etwas wie eine Konstante im Repertoire. Nachdem in den letzten Jahren (u.a. mit dem postsowjetischen Regisseur Dmitri Tcherniakov) auch hinsichtlich neuerer da Ponte- und Mozart-Interpretation "experimentiert" wurde, erfolgt in diesem Jahr nun wieder eine spezifisch "französische Lösung".
Jérémie Rhorer dirigiert zum Auftakt "Le nozze di Figaro"; es inszenierte der Komödiant und Schauspiel-Regisseur Richard Brunel. Der ließ sich von Chantal Thomas und Axel Aust ein feines und hypermodernes Büro nebst einer edelsanierten Altbau-Luxuswohnung auf die breite Bühne im Hof der Archevêche bauen – vom Empfangsdesk der Anwaltskanzlei bis zur Ankleide der ambivalenten Gräfin Almaviva (Malin Byström) ist alles schnieke. Vor dem zentralen Bürodrucker vermisst Figaro (der sympathisch-kompetente Bassbariton Kyle Ketelsen) mit "quincue – dieci – venti" eine Klappliege, die er mit seiner Braut Susanna auch gleich testet. Die zierliche und zurückhaltend agil singende Patricia Petitbon gibt die glaubhafteste Intrigantin ab im Geflecht der Herzensneigungen und sich überkreuzenden sexuellen Begierden. Von Anfang an dabei in diesem Spiel des Lebens – als Angestellte des zum Advokaten aktualisierten Conte Almaviva – sind Anna Maria Panzarella als heiratslüsterne alte Marcellina und Mari Eriksmoen als extrem junge Empfangsdame Barbarina (mit der der Chef auch was hat).

Das Solistenteam ist so prominent wie unter schauspielersängerischen Aspekten treffsicher besetzt. Aus dem Graben sekundiert Le Cercle de l'Harmonie, ein von Jérémie Rhorer gegründetes Spezialensemble. Unter den Händen dieses noch recht jungen Dirigenten nimmt der Harmoniekreis manche Tempi all zu rasch (wogegen Mozart bereits intervenierte). Vollends auf einem großen umfriedeten Platz im Freien können plausible Einwände gegen diese Art des historisch nicht zutreffend informierten Musizierens erhoben werden (die akustischen Proportionen sind völlig aus dem Lot). Gewiss lassen sich entsprechende Bedenken auch gegen das Modell der Übertragung des historischen Baumarchais-Plots erheben, das sich oberflächlich am "deutschen Regietheater" orientierte, um dann doch die bewährten Muster klassizistischer französischer Opernkomik durchzuziehen. Durchaus apart die Illumination der finalen Gartenszene: Da spielen die Schatten des im Hof der Archevêche stehenden Ahornbaums auf den Wandflächen und Fensterfronten, zu denen sich die Büro- und Wohnlandschaft der Almavivas umgruppiert hat. Fazit: Eine eher durchwachsene Auftaktpremiere. Sehr französisch-sommerfrisch.

Ernsthaftere Kunstanstrengung als die ja teilweise bauartbedingt läppische da Ponte-Buffa erfordert die szenische Vergegenwärtigung von Marc-Antoine Charpentier "David et Jonathas" (am selben Ort), mit der Zürichs neuer Opernintendant Andreas Homoki ins internationale Geschäft gebracht wird, und insbesondere die Uraufführung der von Sex und Gewalt dominierten neuen Oper "Written on Skin" im Grand Théâtre de Provence, mit der George Benjamin der Amsterdamer Sopranistin Barbara Hannigan wieder einmal eine Rolle auf den Leib schrieb.

Service:
Das Festival d'Art Lyrique in Aix-en-Provence findet vom 5. bis 27. Juli 2012 statt.