Frank Schulz: "Onno Viets und der weiße Hirsch"

Ein Schluffi hält sich über Wasser

Der Autor Frank Schulz posiert am im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne in Köln.
Der Autor Frank Schulz © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Dirk Knipphals · 27.09.2016
Frank Schulz hat der Welt die großartige Figur des Onno Viets geschenkt, ein gescheiterter Wirt und Gelegenheitsdetektiv. Dessen irrlichternde Erlebnisse im heimatlichen Dorf erzählt Schulz mit unbändiger Sprachkunst und Wortgewalt.
Onno Viets ist eine großartige literarische Figur – man sieht das vielleicht nur nicht auf den ersten Blick. Er ist ein Schluffi und gesellschaftlicher Verlierer, der mit Gewalt und Betrug konfrontiert wird und sich irgendwie über Wasser hält. Ein gescheiterter Wirt und Gelegenheitsdetektiv, dessen Äußerungen oft nur in "tjorp" und raucherhusterischem "'ch, 'ch, 'ch" bestehen. Jemand, der auf Noppensocken und bar jeder modischen sowie sonstigen Ambitionen durch die Gegenwart kommt und einem beim Lesen ans Herz wächst. Das Alberne und das Tiefe fällt in dieser Figur zusammen, bei einer immens hohen Wortspieldichte.
"Onno Viets und der weiße Hirsch" ist der dritte Roman in dieser Reihe. Zeitlich ist er zwischen den ersten beiden Teilen angesiedelt. Die posttraumatische Belastungsstörung, die sich aus der Begegnung mit dem "Irren vom Kiez" im ersten Teil ergibt, entfaltet ihre Wirkung; zugleich stolpert Onno in jene Entfremdung zu seiner Frau Edda hinein, die sich im zweiten Teil zu einer schweren Ehekrise und emotionalen Obdachloskeit auswuchs.

Obzönes norddeutsches Karsperletheater

Gegenüber den beiden vorangegangenen Büchern ist dieser dritte Teil sprachlich zurückgenommen. Die einzelnen Sätze bersten nicht mehr so vor Einfällen, was auch daran liegt, dass Frank Schulz hier mit den Mustern einer weiteren Textgattung spielt. Teil eins war auch eine Variation, teilweise eine sprachliche Überbietung von Gewaltvideos. Teil zwei variierte die derb-obszöne Tradition des norddeutschen Kasperletheaters. Und in diesem dritten Teil wendet sich Frank Schulz nun dem Dorfkrimi zu.
Um seinem eigenen Trauma zu entfliehen, schlüpft Onno Viets im 300-Einwohner-Dorf Finkloch bei seinen Schwiegereltern unter. Familienfeste im Garten, Katzen, Singvögel, nächtliche Orgien im Wald, Bekanntmachungen am ehemaligen Feuerwehrhaus – alles kommt vor. Zu den zentralen Motiven des Dorfkrimis gehören Familiengeheimnisse und verdrängte Konflikte hinter der vermeintlichen Idylle. Davon gibt es hier jede Menge.

Hippie-WG mit Verbindungen zu Terroristen

Onnos Schwiegervater, zugleich versierter Jäger, hat seine Erlebnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht aufgearbeitet, seine Kriegskindheit gewann "die Qualität eines eingekapselten Familientumors". Zudem gab es in dem Dorf eine Hippie-WG mit Verbindungen zum Linksterrorismus der siebziger Jahre. Mit seiner posttraumatischen Belastungsstörung im Gepäck irrtlichtert Onno Viets also durch jede Menge bislang unbearbeiteter Traumata.
Es ist sehr schade, dass der Schriftsteller Frank Schulz, der diesen prekären Helden unserer Zeit erfunden hat, für ihn weder mit Buchpreislistenplätzen noch mit klassischen Literaturpreisen bedacht wird. Dabei ist die kalauernde Seite dieser Figur in Wirklichkeit die andere Seite, um gnadenlos wahrhaftig über die Komödie und Trauerspiele menschlicher Beziehungen zu schreiben; was, wie es im zweiten Teil hieß, "nicht gerade Reklame für die Conditio humana" ist.
Frank Schulz erzählt über seine Hauptfigur mit einer Sprachkunst und Wortgewalt, die in der gegenwärtigen Literatur ihresgleichen suchen.

Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch
Galiani Verlag, Berlin 2016
368 Seiten, 19,99 Euro

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