Fotoband "Freie Blicke"

Lichtmomenten im Vatikan auf der Spur

Galleria delle Carte Geografiche aus dem Bildband "Freie Blicke. Christoph Brech fotografiert die Vatikanischen Museen".
Galleria delle Carte Geografiche aus dem Bildband "Freie Blicke. Christoph Brech fotografiert die Vatikanischen Museen". © Sieveking Verlag, Christoph Brech, 2015
Von Astrid Mayerle · 27.09.2015
Eine Sondergenehmigung brachte den Fotografen Christoph Brech in eine exklusive Lage: Er durfte die Sixtina und die Vatikanischen Museen auch außerhalb der Öffnungszeiten ablichten. Sein daraus entstandener Bildband "Freie Blicke" lebt von den extremen Lichtverhältnissen, die Brech zu allen Tageszeiten eingefangen hat.
"Die Sixtina ist so oft fotografiert worden und wenn Sie heute in der Sixtina sind zu normalen Öffnungszeiten, man darf zwar nicht fotografieren, das wird ja immer über die Lautsprecher gesagt, "keine Fotos" in allen Sprachen, fotografiert jeder mit seinem Handy oder iPhone oder Fotoapparat die Sixtina rauf und runter. Dann frag ich mich schon, was kann ich da noch machen, was es noch nicht gibt und da ist der Anspruch hoch oder sehr hoch und das ist dann eine Herausforderung, wenn man da drin ist."
Der Münchner Künstler Christoph Brech verschaffte sich eine Sondergenehmigung, um die Sixtina und mit ihr die Vatikanischen Museen in Ruhe außerhalb der Öffnungszeiten fotografieren zu können. Bei all seinen Besuchen im Laufe von drei Jahren begleitete ihn ein persönlicher Wärter, ein so genannter "volanti". Dieser entsicherte nicht nur die Alarmanlagen, sondern harrte auch geduldig unzählige Stunden aus. Denn Christoph Brech war immer auf der Suche nach einem besonderen Standpunkt und damit einer überraschenden Perspektive – auch in der Sixtina:
"Ich stand auf der Sängerkanzel und hab da mit Langzeitbelichtung einen Ausschnitt der Wand der Sängerkanzel, einen Ausschnitt des Jüngsten Gerichts und ein Geländerstück zur perspektivischen Orientierung fotografiert. Die Langzeitbelichtung hat ermöglicht, dass sowohl die Wand der Sängerkanzel und auch das Jüngste Gericht ganz scharf sind im Bild und somit dieser Raumunterschied von sehr vielen Metern, der die beiden trennt, im Bild aufgehoben ist."
Brech spielt mit der Wahl seiner Ausschnitte
Wie eine Versuchsanordnung wirkt dieses Bild, als wollte Christoph Brech das kollektive Bildgedächtnis prüfen und dabei testen, wie klein ein Ausschnitt des berühmten Freskos auf einer Fotografie sein kann, so dass wir Michelangelos grandioses Himmelszenario gerade noch erkennen. Es genügen das typische Lichtblau, ein paar meterlange Engelstrompeten und ein Dutzend nackter, kopfüber stürzender Leiber. Bei Michelangelo steht Christus als Weltenrichter im Zentrum des Geschehens, doch Christoph Brech macht durch seine Wahl des Ausschnitts einen aufs Kinn gestützten Zweifler zu seiner Hauptfigur.
Solche einzigartigen Perspektiven und Ausschnitte gehören zum Prinzip des Projekts, das der Sieveking Verlag gerade in einem großformatigen Bildband mit dem Titel "Freie Blicke" veröffentlicht hat. Die Fotografien leben darüber hinaus auch von den extremen Lichtverhältnissen, denn der Künstler war zu allen Tageszeiten dort – übrigens auch im Braccio Nuovo, jenem Museumsteil, in dem die Sammlung antiker Skulpturen zu sehen ist.
"Es war ne Hochzeit eines reichen Amerikaners, der seine Tochter im Braccio Nuovo verheiratete oder das anschließende Fest nach der Hochzeit fand dort statt. Und ich habe da, wie ich finde vom Licht her eine ganz besonderes Situation gehabt, das war ein wunderschönes, ganz warmes Licht, was die Skulpturen streift, aber auf den billig eingedeckten Tischen – ich sag jetzt einfach mal billig im Vergleich zu den Figuren – mit vergoldeten Plastikstühlen und falschen Damasttischdecken. Und eine der wichtigsten Figuren, der Augustus von Primaporta, der hier im Totalschatten steht, geht eigentlich unter auf dem Bild. Das was man normalerweise im Braccio Novo fotografiert, ist bei mir Nebensache – also zwar da, aber nicht ins Zentrum gerückt."
Auch Putzeimer rücken ins Bild
Flüchtige Spuren menschlicher Gegenwart lassen manche Szene sehr gegenwärtig erscheinen. Da rückt auch mal die Ausstattung der Putzkolonne ins Bild oder Christi Füße auf einer Abendmahlsdarstellung zeigen direkt auf eine japanische Besucherin, die gerade ihren Audioguide checkt. Solche kurzen, vergänglichen Momente konfrontiert Christoph Brech mit den grandiosen Kunstwerken und kulturellen Zeugen, die Jahrhunderte überdauert haben. Momentaufnahmen konträrer Zeitlichkeiten. Beiläufigkeit trifft auf Erhabenheit.
"Der Putzeimer steht da nur ne Sekunde, die Putzfrau holt ihn sich sofort wieder und das Licht ist auch nur eine Sekunde und dann ist es eben wieder anders. Man muss diesen einen Moment, der dann letztlich das Bild bestimmt, den wollte ich einfangen und dem bin ich drei Jahre lang immer wieder auf der Spur gewesen und so entstanden eben diese vielleicht sogar zum Schmunzeln anregenden Bilder mit Putzeimern oder Reinigungspersonal, was durch die Gänge fegt wie Eisläufer oder ganz bestimmte Lichtsituationen, die so vielleicht nie wieder kommen, weil die Wolkenkonstellation an dem Tag einfach so und so war."

Freie Blicke. Christoph Brech fotografiert die Vatikanischen Museen
Vorwort von Antonio Paolucci, Text von Arnold Nesselrath
Verlag Sieveking, München 2015
160 Seiten, 119 Abbildungen, 49,90 Euro

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