Forscherin: Affen haben keine Sprache

Moderation: Joachim Scholl · 27.05.2009
Affen haben im eigentlichen Sinne keine Sprache, sagt die Affenforscherin Julia Fischer. Sie hätten keine Wörter mit Bedeutung oder eine entsprechende Grammatik. Allerdings dienen bestimmte Laute der sozialen Interaktion, etwa um vor Feinden zu warnen. Im Gegensatz zu Menschen seien Affen auch nicht zur Imitation fähig.
Joachim Scholl: Das Erste, was ich lernte, war den Handschlag geben. So spricht der menschlich gewordene Affe in Kafkas "Bericht für eine Akademie". Und dieser Text steht in charmantem Zusammenhang mit dem Vortrag, den die Primaten- vulgo Affenforscherin, Professor Julia Fischer, auf dem sogenannten heute beginnenden Akademientag 2009 halten wird hier in Berlin. Vorher ist sie zu uns in Studio gekommen. Willkommen im "Radiofeuilleton", Frau Fischer!

Julia Fischer: Guten Tag!

Scholl: Sprechen Sie äffisch? Das ist die Überschrift Ihres Vortrages. Eine Frage, die natürlich sofort die nächste Frage provoziert: Gibt es eine Sprache der Affen?

Fischer: Gut, da ist die erste Frage mal, was ist Sprache, und damit werde ich auch natürlich meinen Vortrag eröffnen und werde versuchen, zusammen mit den Zuhörern und Zuhörerinnen - ich hoffe auch, dass, viele Schulklassen haben sich angekündigt, also es gibt auch junges Publikum - das erst mal zu untersuchen, was macht eigentlich Sprache, menschliche Sprache aus. Und dann werde ich zeigen, dass die Affen eigentlich keine Sprache haben. Also dass die Kriterien, die wir für uns entwickelt haben, dass wir Wörter haben, die eine Bedeutung haben, und eine Grammatik, diese beiden Kennzeichen, die finden also bei den Affen nicht.

Scholl: Ich meine, der Affen und sein Verhalten fasziniert den Menschen ja besonders, weil wir evolutionsbiologisch mit ihm verwandt sind. Man weiß natürlich, dass wir inzwischen nicht direkt von ihm abstammen, aber es gibt Gemeinsamkeiten einfach in der Entwicklung. Inwieweit kommunizieren also Affen anders?

Fischer: Also was uns ähnlich, was uns verbunden ist, das ist der emotionale Ausdruck. Also die Gesichtsausdrücke, die sind sehr eindeutig und zum Teil kann man die auch vergleichen, also mit den Gesichtsausdrücken des Menschen, zum Beispiel das Drohen, also die Augenbrauen zu heben beim Drohen, das ist also was ganz Altes, evolutionär Altes, könnte man sagen. Und dann haben die bestimmte Laute, die wir zum Beispiel auch bei Kindern finden natürlich. Also Kinder, wenn die auf die Welt kommen, Neugeborene, haben ja auch ein Repertoire von Schreien und Grunzern, und manche von diesen Lauten übernehmen wir dann auch noch. Also Weinen ist wieder was sehr spezifisch Menschliches, aber bestimmte, sagen wir mal, nonverbale Ausdrücke, also eben keine Worte. Aber doch der Ausdruck in der Stimme, das ist sehr ähnlich zwischen Affen und Menschen.

Scholl: Wie differenziert sind denn diese Laute, also sind die dann für bestimmte Situationen gedacht, also vielleicht wenn irgendwo der Löwe irgendwie ums Eck schleicht, dann gibt's einen bestimmten Laut?

Fischer: Also das kommt auf die Art an und wie spezifisch das ist. Also kleinere Affenarten, wie zum Beispiel die meerkatzenartigen, die haben meistens ganz spezifische Lautrepertoires. Nun kann ich am Laut schon erkennen, aha, da ist ein Adler, da ist ein Leopard, da ist eine Schlange. Bei anderen wie Pavianen zum Beispiel, die haben eigentlich nur einen Alarmruf, den sie so für alles Mögliche verwenden, weil dort es auf andere Sachen ankommt, wie man dann reagiert. Aber das ist von Art zu Art verschieden. Aber im Prinzip, wenn man also mit Affen viel unterwegs ist, so wie ich das war in meinem Leben, dann lernt man die Bedeutung der Laute eben so, wie die Affen die Bedeutung der Laute lernen. Und man weiß einfach, wenn jetzt XY schreit, dann heißt das wahrscheinlich, dass sie von dem und dem gehauen worden ist und so weiter. Also man kann das sehr reichhaltig interpretieren.

Scholl: Der amerikanische Anthropologe Michael Tomasello, auch eine Kapazität auf dem Gebiet der Primatologie, verweist auf diesen entscheidenden Unterschied, dass Affen einander nichts zeigen, also eine Gestik haben, die sie von den Menschen unterscheidet. Für uns ist das ein ganz entscheidendes Kommunikationsmittel, also dass wir aufeinander mit den Fingern zeigen und Sachen bedeuten. Das machen Affen nicht?

Fischer: Na ja, das Wichtige ist vor allem, was Tomasello herausgearbeitet hat, dass es diese triadische Beziehung eigentlich gibt, also ein Dreieck eigentlich zwischen zwei Menschen und einer dritten Sache, und dann, dass man gemeinsam die Aufmerksamkeit auf etwas Neues richtet und auch guckt, ob der andere auch dort hinguckt. Und es geht immer um dieses sehr aufeinander Bezogene in der menschlichen Kommunikation.

Und bei den Affen ist das so, dass gewissermaßen jeder in seiner eigenen Welt lebt und die anderen die anderen schon beobachten. Also zum Beispiel wenn ich sehe, also wenn ein Affe sieht, wie ein anderer Affe irgendwo hinguckt, dann guckt der hinterher, also der weiß schon, dass das irgendwas Interessantes sein könnte. Aber es ist nicht so, dass die sich jetzt sozusagen gegenseitig darüber verständigen, dass sie ja beide gerade das Gleiche sehen. Und diese geteilte Welt, das scheinen die Affen eben nicht zu haben.

Scholl: Wenn wir im Zoo sind, amüsiert und irritiert uns ja auch immer jenes Verhalten, das Kinder so lieben, wenn der Affe unsere Gesten nachmacht. Sie schütteln schon den Kopf, ich wollte gerade fragen, was diese Imitatio eigentlich zu bedeuten hat, ob der Affe uns da irgendwas sagen will?

Fischer: Das ist eine Fehlinterpretation des Menschen. Also wir gucken ja gerne in Affen rein, so dieses Spiegelartige, aber Affen imitieren interessanterweise nicht. Also die imitieren ihre Laute nicht und sie imitieren auch nicht das Verhalten von anderen in Wirklichkeit.

Scholl: Aha, und das ist also, wenn ich mich zum Beispiel am Kopf kratze, und der Affe kratzt sich dann am Kopf, dann macht der das nicht, weil ich das tue, sondern er macht das, weil er's gerade in dem Moment selber will?

Fischer: Davon würde ich erst mal ausgehen. Noch wahrscheinlicher erscheint mir, dass der Affe sich zuerst am Kopf gekratzt hat, dann Sie, weil Sie nämlich zur Imitation befähigt sind, und dann kratzt sich der Affe vielleicht noch mal am Kopf. Also ich würde sagen, wir sind die ganz großen Imitatoren, die Menschen, die Affen lustigerweise nicht.

Scholl: Affen und ihre Kommunikation. Zu Besuch im Deutschlandradio Kultur ist die Primatologin Julia Fischer. Sie haben es schon erwähnt, Frau Fischer: Sie haben sich viel mit Affen rumgetrieben, und zwar wirklich dort, wo sie auch leben, die Affen. Sie waren eineinhalb Jahre in Botswana, um Affen zu beobachten. Erzählen Sie uns, was haben Sie da genau gemacht?

Fischer: Also unsere Aufgabe, wenn wir uns mit der Sprache, also den Lauten der Affen beschäftigen, ist natürlich, diese Laute aufzuzeichnen. Das heißt, wir laufen wie Radioreporter mit einem Mikrofon und einem Aufzeichnungsgerät in der Savanne rum und einem Hut, das ist auch immer sehr wichtig, und dann nimmt man die Laute auf. Und später analysieren wir die dann am Rechner und haben also sehr abgefahrene Auswertungsprogramme, um das Ganze dann zu parametrisieren etc.

Und was man noch machen kann, wenn man diese Laute mal aufgezeichnet und analysiert hat, ist, dass sich dann oft Fragen ergeben, was bedeuten die Laute jetzt eigentlich für die Tiere selber. Und dazu kann man dann einen Lautsprecher verstecken im Gebüsch und Laute auch wieder vorspielen und dann die Reaktionen beobachten. Und das ist oft eine sehr aufschlussreiche Methode.

Scholl: Ich wollte Sie gerade fragen nach so Versuchen oder Experimenten. Das heißt, wie reagiert der Affe, wenn man ihm sozusagen selbst die Laute vorspielt?

Fischer: Also das kommt auf die Laute drauf an, ja. Also wenn ich einem kleinen Paviankind, das alleine unterwegs ist, die Laute seiner Mutter vorspiele, dann geht es zu dem Busch hin und guckt, wo denn da seine Mami sitzt. Wenn ich einen Alarmruf vorspiele, dann kann es sein, dass zum Beispiel alle losrennen und auf einen Baum klettern. Das hängt ganz davon ab, was man präsentiert.

Man kann auch Streits zum Beispiel vorspielen, also gespielte Streits. Zum Beispiel ich spiele jetzt vor, dass ein niederrangiges Tier droht und ein hochrangiges Tier schreit. Das dürfte eigentlich auch normalerweise nicht vorkommen, es müsste immer andersrum sein, dass der höherrangige droht. Und dann kann ich soziale Interaktionen erfinden gewissermaßen. Man kann dann gucken, wie das jetzt das Verhalten der anderen Affen beeinflusst. Und daran kann man dann zeigen, dass sie zum Beispiel sehr genau wissen, wer welche Rangposition hat, wer mit wem befreundet, verbandelt ist et cetera.

Scholl: Erkennt der Affe seine eigene Stimme?

Fischer: Ich glaube nicht. Also die Experimente - es gab ein paar Leute, die das mal versucht haben -, da kommt nichts raus, was man vorhersagen kann. Aber wir wissen ja auch von uns selber, wie irritierend das ist, wenn man das erste Mal seine eigene Stimme aufgezeichnet hört. Und deswegen würde es mich nicht wundern, dass sie es nicht kennen.

Scholl: Die Sprachforschung ist durch die moderne Evolutionsbiologie und die Hirnforschung vor allem auch in den letzten Jahren zu einem hoch spannenden Gebiet geworden. Und die entsprechenden Fragen lauten dann: Ist Sprache genetisch determiniert oder ist sie ein kultureller Prozess? Was glauben Sie, können wir von den Affen diesbezüglich lernen? Oder können wir was von den Affen lernen, kommt man dem Ursprung menschlicher Sprache mit ihrer Hilfe oder mit diesen Überlegungen auf die Spur?

Fischer: Also ich glaube, dass erst durch die Untersuchung der Affenkommunikation uns klargeworden ist, wie groß der Canyon ist zwischen dem, was die haben und was wir haben und was also offensichtlich in der Evolution passiert sein muss. Und jetzt kann man gezielt da nachgucken, was unterscheidet uns eigentlich, also zum Beispiel, welche Gene könnten dafür verantwortlich sein. Das sind sicherlich viele verschiedene Gene, also ich glaube nicht, dass es ein Sprachgen gibt, also das glaubt, glaube ich, niemand mehr. Und wir können uns natürlich auch ganz spezifisch angucken, was hat sich im Gehirn verändert, also wie wurden die Gehirne umorganisiert, um Sprache zu ermöglichen. Und insofern war das schon aufschlussreich, aber es hat uns eben nicht die Antwort gegeben bis jetzt, was ist es eigentlich gewesen.

Scholl: Wenn wir noch mal zurückkommen auf Ihre Feldforschungen, gab es da Dinge, die Sie völlig verblüfft haben, die Sie wirklich also auch, als Sie dann dort in Afrika waren und die Affen beobachtet, belauscht haben, sagten, meine Güte?

Fischer: Also manchmal ist man eigentlich verwundert eher darüber doch, welche Dinge sie nicht begreifen, also eben die Intentionen von anderen zu lesen, das fällt ihnen manchmal sehr schwer. Wo wir auf eine Situation draufgucken, also Beispiel, da ist eine Antilopenmutter, die offensichtlich ihr Kind verteidigt, das im Gras versteckt ist, aber nicht zu sehen. Und für uns ist diese Situation sofort vollkommen klar. Und die Affen verstehen das nicht. Aber wenn sie dann, zum Beispiel ein Affe ist dann doch über das Kälbchen da gestolpert, hat da reingebissen, dann hat das Kälbchen geschrien, dann haben alle sofort gewusst, da ist was zu essen und sind angerannt gekommen. Und da ist man doch manchmal so ein bisschen verblüfft, welche Welt sie offensichtlich sich nicht erschließen können.

Scholl: Haben Sie einen Lieblingsaffen?

Fischer: Oh ja, natürlich, ich hatte Amilia. Amilia, das war so ein niederrangiges Pavianweibchen mit einem fabelhaften Schnurrbart. Und die war, obwohl sie niedrigrangig war, die erfolgreichste Mutter in der Gruppe. Die hatte also ganz viele Nachkommen und auch die Männchen in der Gruppe waren immer sehr an ihr interessiert.

Scholl: Das heißt, wenn Sie in den Zoo gehen, gucken Sie mit ganz anderen Augen auf das äffische Wesen dort. Julia Fischer, die Primatologin. Sie lehrt als Professorin in Göttingen, und heute stellt sie auf dem Akademientag in Berlin diese Frage: Sprechen Sie äffisch? Deutschlandradio Kultur unterstützt die Tagung übrigens als Medienpartner. Julia Fischer, viel Erfolg dafür, danke für Ihren Besuch und das Gespräch. Und wer sich weiter für dieses Thema, die Entwicklung von Sprache interessiert, der sollte am Donnerstag, dem 4. Juni, die Ohren spitzen. In unserer Reihe "Forschung und Gesellschaft" läuft hier auf Deutschlandradio Kultur das Feature von Robert Brammer, "Am Anfang war die Geste", neue Forschung zur Sprachentwicklung, dann um 19:30 Uhr.
Makaken-Affen im Berliner Zoo
Makaken-Affen im Berliner Zoo© AP Archiv
Orang-Utan mit Nachwuchs im Hamburger Zoo Hagenbeck
Orang-Utan mit Nachwuchs© AP Archiv