Forscher: Verschwörungstheoretiker sind Menschen wie du und ich

Michael Butter im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 12.01.2011
Früher sei man davon ausgegangen, dass Verschwörungstheoretiker im klinischen Sinne paranoid sind, sagt der Wissenschaftler Michael Butter. Verschwörungstheorien seien jedoch so verbreitet, dass diese Erklärung einfach nicht standhalte.
Matthias Hanselmann: Einige Verschwörungstheorien vorgestellt von meiner Kollegin Margitta Freund, und wir sprechen mit Michael Butter, er ist Amerikanist an der Uni Freiburg, dort findet zurzeit eine Tagung statt zu dem Thema "Verschwörungstheorien im Mittleren Osten und den Vereinigten Staaten", Mittlerer Osten, also das, was wir unter Nahem Osten verstehen. Guten Tag, Herr Butter!

Michael Butter: Guten Tag!

Hanselmann: Es sind ja, wie gehört, teils aberwitzige Theorien. Wer denkt sich so etwas in der Regel aus, wer konstruiert solche Dinge?

Butter: Das ist ganz unterschiedlich, aber generell kann man sagen, dass das, so erschreckend das auch klingen mag, Menschen wie Sie und ich sind. Man ist früher davon ausgegangen, dass Verschwörungstheoretiker im klinischen Sinne paranoid sind, wahnsinnig sind und deshalb nur eine Minderheit der Gesellschaft repräsentieren, aber Verschwörungstheorien sind gerade im Nahen Osten und in den USA seit vielen, vielen Jahren so verbreitet, dass diese Erklärung einfach nicht hält, sondern es sind die unterschiedlichsten Träger, das können politische Eliten sein, das können Minderheiten sein, die erklären, warum sie unterdrückt werden, ganz normale Menschen, die unterschiedlichsten Träger, die unterschiedlichsten Funktionen.

Hanselmann: Was soll damit bewirkt werden, wer soll mit diesen Theorien letztlich getroffen werden?

Butter: Dass jemand getroffen werden soll, ist bei manchen Theorien ein Ziel. Zum Beispiel: Wenn der iranische Präsident behauptet, dass die amerikanische Regierung Wikileaks selbst inszeniert hat, um Unfrieden im Nahen Osten zu stiften, dann entwickelt er eine Verschwörungstheorie, die einen äußeren Feind angreift, um vermutlich von Problemen im Landesinneren abzulenken und dort Einheit zu stiften. In diesem Fall weiß man auch nicht unbedingt, ob er wirklich daran glaubt, an diese Verschwörungstheorie, oder ob er sie wirklich bewusst in die Welt setzt, um sie instrumentalisieren zu können. In anderen Fällen ist es so, dass Verschwörungstheorien einfach Welterklärungsmuster sind. Sie heben sich aus der Masse dadurch heraus, dass sie verstanden haben, was wirklich passiert, was wirklich vor sich geht – dass die Amerikaner nicht auf dem Mond waren, wer wirklich hinter dem 11. September steht –, während die Leute um sie herum dumm sind und nichts verstehen, und dadurch versichern sie sich ihrer eigenen Wichtigkeit und Bedeutung.

Hanselmann: Ist es denn nicht in den meisten Fällen so, dass sie einfach Kopfschütteln hervorrufen, oder gibt es Fälle, wo solche Verschwörungstheorien auch Wirkung zeigen?

Butter: Verschwörungstheorien zeigen große Wirkung im Nahen Osten, aber auch in den USA, was im Nahen Osten unter anderem damit zusammenhängt, dass sie dort geglaubt werden, weil die Region ja durchaus im Verlauf des 20. Jahrhunderts Ziel von Verschwörungen fremder Mächte geworden ist. 1953 hat die CIA den demokratisch gewählten, iranischen Premierminister Moussadek gestürzt und damit das Land von Grund auf verändert, und ein Klima, wo diese Geschichte noch äußerst virulent ist, können sich dann natürlich auch Verschwörungstheorien verbreiten wie die komplett absurde, die wir gerade gehört haben über die zionistische Weltverschwörung, die also alle Juden verschont, aber alle Araber ausrottet.

Hanselmann: Noch einmal, der andere Bereich ist ja die USA: Warum gibt ausgerechnet die USA einen solch wunderbaren Nährboden ab für Verschwörungstheorien?

Butter: Ich glaube, in den USA muss man weit zurückgehen in die Geschichte. Man könnte die gesamte Geschichte der USA als eine Geschichte von Verschwörungstheorien erzählen, und ich denke, dass es dafür zwei Gründe gibt. Das eine ist die Besiedlung der USA durch die protestantischen Puritaner, die sich als das auserwählte Volk, die neuen Israeliten begriffen und ein sehr dichotomisches Weltbild hatten: Wir sind die Guten und wir sind von den Kräften des Bösen, des Teufels umgeben, die sich mit dem Teufel gegen uns verschwören, um unser Projekt, ein neues Jerusalem zu gründen, zu Fall zu bringen. Dieser Auserwähltheitsgedanke, den Verschwörungstheorien immer wieder bestätigen, der ist sehr wichtig für die Amerikaner. Der zweite Faktor – und das sieht man besonders bei den wichtigen amerikanischen Verschwörungstheorien, die sich gegen die eigene Regierung richten –, das ist ein tiefes Misstrauen gegenüber einer Zentralregierung, das aus der Revolutionszeit im 18. Jahrhundert kommt, als sich die damals ja noch britischen Kolonialisten irgendwann losgesagt haben von der englischen Krone und sich unabhängig gemacht haben, weil sie sich von ihrem König in London und dessen Regierung hintergangen, betrogen und nicht mehr wirklich repräsentiert gefühlt haben. Diese beiden Faktoren – Auserwähltheitsgedanke, verbunden mit einem dichotomischen Weltbild und Misstrauen gegenüber der Zentralregierung –, das ist der Nährboden, auf dem amerikanische Verschwörungstheorien gedeihen.

Hanselmann: Das klingt danach, als würden auch religiöse Hintergründe eine Rolle spielen.

Butter: Religiöse Hintergründe spielen eine wichtige Rolle, viele Verschwörungstheorien sind durchaus kompatibel mit religiösen Welterklärungsmustern, aber Verschwörungstheorien explodieren vor allem in dem Moment, wo die Aufklärung beginnt. In Europa im 18. Jahrhundert, da haben wir dann die Freimaurer, die Illuminaten, die angeblich hinter der Französischen Revolution stecken, und das haben wir in den USA ganz ähnlich. Und das hat damit zu tun, dass natürlich Religion eine Gesellschaft in all ihren Bereichen erklärt und nichts dem Zufall überlässt, wenn wir von Prädestination oder sowas ausgehen. Und Verschwörungstheorien machen das auch, Verschwörungstheorien füllen im Grunde eine Lücke, die durch Säkularisierung entsteht, wo aber das Bedürfnis noch da ist, den Zufall, das Chaos auszuschließen. Und deshalb ist es für Verschwörungstheoretiker vielleicht manchmal einfacher zu akzeptieren, dass es irgendwelche dunklen Gestalten gibt, die im Geheimen die Geschicke lenken, als einzugestehen, dass die Welt vielleicht chaotisch ist, Dinge durch Zufall passieren.

Hanselmann: Nun haben Sie sich, wie man hört, sehr intensiv mit Verschwörungstheorien befasst. Was, würden Sie sagen, zeichnet eine gute, überzeugende Verschwörungstheorie aus?

Butter: Damit eine Verschwörungstheorie funktioniert, muss sie als Geschichte funktionieren, sie muss sozusagen eine gute Erzählung haben, eine gute Story haben, einen guten Plot haben, das sehen wir ja in Hollywood immer wieder oder in den Thrillern von Dan Brown oder Tom Clancy. Es muss einen unschuldigen Protagonisten geben, der zufällig einer Verschwörung auf die Spur kommt, feststellt, irgendetwas funktioniert nicht, und dann beginnt, Nachforschungen anzustellen, und dann ein geheimes Netzwerk von Verschwörern entdeckt, sich diesen in den Weg stellt, aufdeckt, was deren wahre Ziele sind, wie lange sie vielleicht schon am Werke waren, und sie letztendlich – in den meisten Hollywoodfilmen – besiegt.

Hanselmann: Wir haben gesprochen über religiöse Hintergründe eben oder über Dinge wie das Böse, das eine Rolle spielt, die Geschichte der USA. Warum ist nun – und wir haben ihn am Anfang erwähnt – Barack Obama offenbar ein idealer Aufhänger für Verschwörungstheorien?

Butter: Da kommen zwei Faktoren zusammen. Zum einen richten sich die meisten amerikanischen Verschwörungstheorien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen die eigene Regierung, das heißt: Wer auch immer an der Spitze dieser Regierung steht, egal ob Bill Clinton, George W. Bush oder George Herbert Walker Bush oder Barack Obama, wird Ziel von Verschwörungstheorien. Dazu kommen aber bei Obama noch andere Verschwörungstheorien, die ihm die Legitimation absprechen, amerikanischer Präsident sein zu dürfen, indem behauptet wird, Barack Obama sei nicht in den USA geboren, hätte deshalb nicht kandidieren dürfen, Barack Obama sei Moslem, das wird dann auch mit dem Hinweis darauf verbunden, dass er deshalb nicht die christlichen Werte des Landes repräsentiere und das Volk über seinen wahren Glauben hinweggetäuscht habe und deshalb kein legitimer Präsident sei. Es kommen hier also die Verschwörungstheorien zusammen, die jeden amerikanischen Präsidenten treffen, und oft sehr stark rassistisch motivierte Verschwörungstheorien, die sich eben persönlich gegen Barack Obama als den ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA richten. Deshalb gibt es zu ihm mehr Verschwörungstheorien also zu jedem anderen Präsidenten vor ihm.

Hanselmann: Schlussfrage, Herr Butter, bitte kurze Antwort: Haben Sie persönlich so etwas wie eine Lieblingsverschwörungstheorie?

Butter: Das ist die Mondlandungs-Verschwörungstheorie, glaube ich.

Hanselmann: Hand aufs Herz, das ist doch Unsinn, oder?

Butter: Vollkommener Unsinn. Wenn die da oben nicht gewesen wären – die Russen hätten es sofort mitgeteilt.

Hanselmann: Also Spaß machen tut es auch irgendwo, oder?

Butter: Auf jeden Fall!

Hanselmann: Danke schön, Michael Butter, Amerikanist an der Uni Freiburg, dort zurzeit eine Tagung zum Thema "Verschwörungstheorien".

Butter: Danke, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Tschüss!


Links bei dradio.de:

Die bekanntesten Verschwörungstheorien - Internationale Tagung in Freiburg
Mehr zum Thema