Find-Festival Berlin

Im Zeichen neuer Stücke

Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet.
Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet. © dpa / picture alliance / Hubert Link
Von Gerd Brendel · 25.04.2015
Derzeit findet an der Berliner Schaubühne das Festival internationaler neuer Dramatik statt. Begleitend zu den Premieren und Gastspielen findet auch ein Workshop-Programm für Schauspiel- und Regie-Studierende aus Frankreich, Schweden, Berlin statt - in diesem sind auch Theaterleute aus Tunis dabei.
"Den Körper denken, agieren, reagieren lassen, der Körper hat ein eigenes Gedächtnis."
Morgens in einer alten Fabrikhalle in Berlin Kreuzberg. Graschina Duo, Professor am Wiener Max Reinhard Seminar erklärt Jerzy Grotowski.
"Gib nur soviel, wie Du kannst, versuche, keine Maske zu tragen, sei ganz bei dir",
erinnert sie die Workshop-Teilnehmer: Schauspiel und Regie- Schüler und Schülerinnen aus Italien, Schweden, Frankreich, Berlin und Tunis. Dann kommt die erste Übung: "Durchquert den Raum und stellt Euch vor, der Boden vor Euch ist spiegelglatt" - zweite Übung: "Ein Dornenfeld." Dritte Übung - "Es sind glühende Kohlen."
"Versuche, sinnlich zu spüren. Achtung, Impuls, los, von da bis da. Spüre das."
Und 40 junge Männer und Frauen verwandeln das Linoleum vor ihnen in ein glühendes Inferno.
Sie sind Teil des FIND Plus Programms: Tagsüber Workshops und später gemeinsamer Besuch der Festivalvorstellungen. Am Vorabend stand "Civil Wars" von Milo Rau auf dem Programm. Der fast statische Abend mit Schauspielern die auf dem Sofa ihre Lebensgeschichte erzählen, hat nicht allen gefallen.

"Ich fand es eintönig, ich hab nichts von der Energie gespürt, die ich bei uns Jungen erlebe."
Ahmed studiert an der "Ecole Superieur D´Art Dramatique in Tunis. Eigentlich hatten seine Eltern eine andere Ausbildung für ihn geplant. Auch Nozhars Eltern waren vom Studienwunsch ihrer Tochter nicht begeistert:
"Beim Abitur war ich Jahrgangsbeste und als ich meinen Eltern sagte, dass ich Schauspielerin werden will, waren sie geschockt, weil sie gehofft hatten ich würde was mit Englisch studieren. Aber ich habe eine Tante und einen Onkel, die beide Schauspieler sind und auf der gleichen Hochschule waren, wie ich jetzt. Das hat mir Mut gemacht."
"Laufen über glühende Kohlen"
Ben Alis Sturz vor vier Jahren hat Nozhar als Teenagerin erlebt. Welches Bild ihr von damals im Gedächtnis haften geblieben ist? Eine Situation fast wie das Laufen über glühende Kohlen:
"Die Schulen waren zu, alle Läden geschlossen. Überall hat es gebrannt. Überall Menschen auf der Suche nach Brot und dazwischen die Polizei, die wild auf alle einschlugen. Das war ein grauenvolles Bild."
An diesem Vormittag in Berlin scheint das alles weit weg. Graschina Duo erklärt die nächste Partnerübung:
"Jetzt müsst ihr dem Gegenüber dem Partner erzählen, was ist deine Schwäche und mutig der Gegenspieler versucht das zu spielen."
Ahmeds Partnerin Ombre studiert Schauspiel am renommierten Pariser "conservatoire". Die Französin schaut hektisch auf die Uhr, hüpft nervös auf und ab und spielt so Ahmeds Ungeduld. Später kommen die beiden miteinander ins Gespräch.
"Was denkst Du über die Araber?"
Will Ahmed von seiner Übungspartnerin wissen.
"Ich hab gerade selbst mit einem Taxifahrer in Paris geredet, einem Araber. Das ist wirklich ne schwierige Frage. All die Vorbehalte kommen daher, dass man nicht neugierig genug aufeinander sind. So zu tun, als seien alle Moslems Extremisten, ist genauso, als ob man Katholiken für rechtsextrem hält, nur weil Marie Le Pen von der Front National immer so fromm tut."
In der Fabrikhalle riecht es jetzt nach Sauce Bolognese und Nudeln. Das Mittagessen wartet. Zeit für die letzte Übung:
"Von dieser zu dieser Seite versuchen wir dieses Mysterium des Lebens."
Die jungen Frauen und Männer werden in minutenschnelle von kreischenden Säuglingen zu tattrigen Alten. Am Schluss sollen sie auf die Bühne springen und einen Satz herausschleudern, der für ihr Leben, ihre Kunst steht. Ombre aus Pairs zögert und schweigt. Ein ganzes Leben, das könne sie nicht in einem einzigen Ausruf bündeln, sagt sie hinterher. Die Scheu davor, für sich eine klare Position als Theaterkünstlerin zu beziehen, kennen Nozhar und Ahmad nicht. Der junge Tunesier brüllt eine Liebeserklärung an seine Gesellschaft und zitiert Gilles Deleuze:
"Er hat gesagt, man muss das Leben befreien, das ist Widerstand leisten."
"Alle Künstler sollten dafür kämpfen, dass es besser wird und dass wir nicht zu den alten Zeiten der Diktatur zurückkehren."
Wie Ahmed sieht Nozhar ihren Platz in einem politischen Theater und sich in der Verantwortung für ihre Gesellschaft, für sich selbst.
Gleich nach der Revolution hat sie in einer Studentenproduktion namens Harriya Freiheit mitgespielt. Es ging darum, endlich freisprechen zu können. Aber in der entscheidenden Szene, blieb sie stumm. Das war das letzte Mal, dass sie auf der Bühne weinen musste. So gelähmt und leblos wie damals will sie nie wieder sein. Als sie an diesem Mittag auf die Bühne springt ruft sie nur zwei Worte:

"Being alive"
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