Filmische Biografie

"Ich war lange verwirrt"

Glücklicher Gewinner: Der französische Schauspieler und Regisseur Guillaume Gallienne mit den Cesar-Trophäen für seinen Film "Les Garcons et Guillaume, a table" 2014 in Paris.
Glücklicher Gewinner: Der französische Schauspieler und Regisseur Guillaume Gallienne mit den Cesar-Trophäen für seinen Film "Les Garcons et Guillaume, a table" 2014 in Paris © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Guylaine Tappaz · 05.06.2014
Seine Mutter zog ihn wie ein Mädchen auf – aus Verzweiflung, weil ihr drittes Kind wieder ein Junge war. Guillaume Galliennes trug als Kind gern Kleider, wurde zur Verwunderung seiner Familie aber nicht schwul. Von dieser Lebensgeschichte handelt der in Frankreich überaus erfolgreiche Dokumentarfilm "Maman und ich", der heute in die deutschen Kinos kommt.
"Et le césar du meilleur acteur est attribué à... Guillaume Gallienne!“
Bei der Verleihung des diesjährigen französischen Filmpreises muss sich Guillaume Gallienne fast entschuldigen. Er hat bereits drei Césars erhalten, jetzt nimmt er den des besten Schauspielers entgegen.
"Pardon ... Sie fragen sich bestimmt: 'Schon wieder?! Wir haben seine Fresse oft genug gesehen!' Nein, ich bin extrem gerührt. Aber bei all den nominierten Schauspielern...“
Danach wird Gallienne noch den César für den besten Film obendrauf bekommen. Mit seiner schmächtigen Statur kann der lockige, smarte 42-Jährige die fünf Trophäen kaum tragen. Ein Preisregen für den Künstler, der schon viel erreicht hat - und voller Demut und Selbstironie bleibt. Mit "Maman und ich", der Komödie, für den er nun zu Recht gefeiert wird, hat er sich weit aus dem Fenster gelehnt.
Filmausschnitt: "Ich kann meine Mutter super gut nachmachen. 'Ein Kaffee, ein Perrier, na ganz schön zäh.' Ihre Gesten, ihre Art zu reden - das ist genial! Doch der einzige, der niemals darauf reinfällt, ist mein Vater. Ich weiß nicht warum, aber er will nicht, dass ich ein Mädchen bin."
'Maman und ich' ist die Geschichte eines Missverständnisses. Ein Missverständnis, das die ganze Kindheit und Pubertät von Guillaume Gallienne geprägt hat. Denn Guillaume, der dritte Sohn einer großbürgerlichen Familie, war ein Muttersöhnchen. Sanft und verträumt. Am liebsten machte er seine Mutter nach und verkleidete sich als Sissi. Alle Familienmitglieder dachten, er sei schwul.
"Ich glaube, es kommt von dem Bedürfnis, in dieser Familie existieren zu können. Meine beiden älteren Brüder waren sich sehr nah und immer gegen mich. Mein Vater war ein Tyrann und ein Sportler. Ich sah keinen Platz für mich."
Filmausschnitt: "Und so habe ich mir alles angeeignet - jegliche Art zu atmen, jegliche Art Luft zu holen, die mein Herz im Einklang schlagen ließ ... mit den Frauen!“
"Ich fand, dass Frauen autoritär sein konnten, ohne brutal zu sein. Ich war so hingerissen von ihrem Charme, ihrer Harmonie, von der Art, wie sie sich geben - all das schien mir viel greifbarer.“
Das Verblüffende bei dem Film: Guillaume Gallienne spielt sowohl die Rolle des unbeholfenen Sohnes als auch den Part der unerbittlichen Mutter. Nur konsequent, findet der Regisseur und Schauspieler, der sich schon im gleichnamigen Theaterstück für eine One-Man-Show entschieden hatte.
"Erstens wusste ich, dass ich sie am besten 'verteidigen' würde, weil ich sie so gut kenne. Dann wäre es mit einer Schauspielerin sehr kompliziert, denn ich hätte mich nach ihrer Stimme und nach ihrer Gestik richten müssen."
Aus der Not hat Guillaume Gallienne eine Tugend gemacht. Eine Psychoanalyse hat er hinter sich - und jahrelange Stimmarbeit, denn er sprach sowohl auf der Bühne als auch im Alltag wie seine Mutter. Trotz eines renommierten Schauspielstudiums an dem "Conservatoire" in Paris sowie einer frühen Einstellung bei dem besten Theaterensemble Frankreichs - an der Comédie Francaise - sah er sich lange nicht als Künstler. Erst die Star-Tänzerin Sylvie Guillem, mit der er befreundet ist, überzeugte ihn davon. Und:
"Sie hat mir diesen Schlüsselsatz gesagt: 'Man erkennt einen Künstler an seinen Entscheidungen.' Statt als Pflicht habe ich das als Recht verstanden. Es hat mir eine unendliche Freiheit gegeben.“
Seitdem erlaubt sich Guillaume Gallienne alles. Er spielt in Filmkomödien wie "Asterix und Obelix", arbeitet an Tanzaufführungen der Pariser Oper mit - er liebt Ballett -, moderiert eine Literatursendung für das Radio. Vor allem spielt er Theater. Als Schauspieler der Comédie Francaise ist er quasi Beamter auf Lebenszeit.
"Es ist schon eine Art Priesteramt. Aber ich brauche die Zugehörigkeit und diesen Rahmen, um künstlerisch tätig zu sein. Ich könnte kein Straßentheater machen. Ich mag nicht, wenn Leute im Saal quatschen - die Geräusche, das stört mich. Ich liebe es, wenn man die Leichtigkeit des Augenblicks hochansieht."
Derzeit ist er auf der Bühne wieder mal als Frau zu erleben - in der Rolle von Lucrezia Borgia. Bei aller Lust am Wandeln: Guillaume Gallienne wollte nie das Geschlecht wechseln. Und anders als alle es vermutet haben, hat er eine Frau geheiratet, mit der er einen fünfjährigen Sohn hat. Dennoch:
"Ich war lange verwirrt. Vielleicht bin ich es immer noch. Wenn man es unbedingt benennen muss, bin ich wohl bisexuell. Aber ich lebe gerade das Leben eines Heteros, weil ich in eine Frau verliebt bin."
Mehr zum Thema