Film

Gesellschaften im Umbruch

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 24.03.2014
Repression, Revolution – und Ratlosigkeit: Das Berliner Festival Alfilm zeigt bis zum 26. März 30 Produktionen aus dem arabischen Raum. Viele zeigen eine neue Sicht auf den Arabischen Frühling.
Auf dem Dach eines Hauses in Damaskus haben die Bewohner eine Leiter aufgerichtet und halten sie gemeinsam mit aller Kraft fest. Oben steht ein junger Mann.
"Hurriayyah!"
Er schreit "Freiheit". Eine Explosion übertönt seinen Ruf, das Bild wird schwarz. In seinem 2012 entstandenen Spielfilm "Ladder to Damascus" erzählt Mohamed Malas über den Mikrokosmos einer Hausgemeinschaft, vom Zustand der syrischen Gesellschaft zwischen Revolution, Krieg, Repression und Ratlosigkeit. Er erzählt fast traumwandlerisch, mit Elementen des magischen Realismus, von der Verarbeitung der Traumata, von Gewalt und Tod, von privaten und kollektiven Erinnerungen:
"'Ladder to Damascus' entstand aus einem ganz tiefen persönlichen Bedürfnis. Ich konnte angesichts dieses Ausbruchs der Freiheit und der Repression nicht schweigen. Mit dieser Mischung aus Traum, Realität und Fantasie habe ich eine Filmsprache gefunden, die diesem gesellschaftlichen Kampf der Freiheit gegen die alten Gespenster gerecht wird."
Auch andere Filmemacher setzen sich mit dem sogenannten Arabischen Frühling und seinen Folgen auseinander. Filme brauchen einfach eine längere Entwicklungszeit, sagt Fadi Adelnour, der künstlerische Leiter des Festivals.
Von gewaltloser Euphorie zur bewaffneten Militanz
"Wenn es ein Lied wäre – oder die Medien sind auch immer schneller. Und daher ist … Für gute, durchdachte Filme hätte man ein bisschen warten sollen. Wir hatten am Anfang so ein paar Filme, die mit der Revolution und so weiter sich beschäftigt haben. Aber die meisten waren eigentlich sehr oberflächlich und hatten einfach so den Anspruch schnell und kommerziell etwas zu produzieren."
Ein junger Mann zieht wieder in den Kampf. Zurück nach Homs. Die fast völlig zerstörte Stadt wurde zum Symbol für den Aufstand gegen das Assad-Regime. Zwei Jahre lang begleitete Regisseur Talal Derki zwei Aktivisten des Widerstandes. In "Return to Homs" dokumentiert er ihre Entwicklung von gewaltloser Euphorie hin zur bewaffneten Militanz. Die Zerstörung der Stadt, die ständig steigende Zahl der Toten und Verletzten war zu Beginn der Dreharbeiten nicht absehbar, erzählt Regisseur Talal Derki:
"Ich weiß nicht, du siehst einfach wie deine Protagonisten immer stärker in den Krieg verwickelt werden und du kannst nicht anders, du musst Ihnen folgen. Du könntest nicht mehr schlafen, und du würdest dich dein ganzes Leben lang schuldig fühlen, wenn du nicht dabei wärst. Wir haben einfach versucht, als Filmemacher die ganze Entwicklung zu dokumentieren, und sind froh, dass wir am Ende ein gutes Resultat bekommen zu haben."
Die Stagnation am Ende des Mubarak-Regimes
Auch der ägyptische Produzent Salah Al Hanafy wollte zunächst die Ereignisse in Kairo bis zum Sturz Mubaraks dokumentarisch verarbeiten. Aber noch während der Dreharbeiten, entschieden sich die Filmemacher einen Spielfilm zu machen: "Winter of Discontent" zeigt die Stagnation und Hoffnungslosigkeit der ägyptischen Gesellschaft am Ende des Mubarak-Regimes. Die Protagonisten, ein ehemaliger Politaktivist, eine Fernsehjournalistin und ein Mitarbeiter der Staatssicherheit verkörpern eine vom Umbruch überraschte, desillusionierte Mittelschicht. Salah Al Hanafy ist nicht nur der Produzent des Films, sondern spielt auch Abdel, den Verhörspezialisten und Folterer der ägyptischen Staatssicherheit:
"In unserem Film geht nicht in erster Linie um die ägyptische Revolution. Das überlassen wir CNN und Al Jazeera und all den anderen Sendern, die nur ihre vorgefertigten Teilwahrheiten verbreiten. Sicher haben sie uns auch irgendwie geholfen, aber wir sind mittlerweile auch ein Stück weiter. In unserem Film geht es um die psychologischen Hintergründe von Menschen, die nach jahrelanger Repression und Frustration explodieren – bis der einst verehrte Präsident und Führer dann plötzlich als Dieb und Killer im Gefängnis landet. Das ist keine rein ägyptische Geschichte, die kann überall passieren, wo ein einzelner Machthaber die Unterdrückung zu weit treibt. Das kann in Deutschland passieren, in den USA, in Afrika oder in Asien."
Die filmische Verarbeitung des Arabischen Frühlings zwischen magischem Realismus, dokumentarischer Langzeitbeobachtung und psychologischem Drama zieht sich durch alle Generationen, sagt Programmleiterin Claudia Jubeh:
"Also ich habe vor allem das Gefühl, dass sich gerade junge Regisseure, die auch gerade von den Filmschulen frisch kommen, besonders mit den Folgen dieser Umbrüche auseinandersetzen."
So handelt ein ägyptischer Kurzfilm vom Verhältnis zwischen Christen und Muslimen und eine tunesische Langzeitdokumentation begleitet eine obdachlose Mutter mit ihren Kindern. Die Euphorie der Fernsehnachrichten vom Tahir-Platz ist verschwunden, an ihre Stelle ist bei vielen arabischen Filmemachern eine kreative Katerstimmung getreten.
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