Feridun Zaimoglu und Enoh Meyomesse

"Ein bisschen herzverrückt"

Schriftsteller Feridun Zaimoglu
Autor Feridun Zaimoglu hat den Kameruner Schriftsteller Enoh Meyomesse getroffen. © Deutschlandradio - Nicolas Hansen
Von Rudolf Schmitz  · 11.05.2016
Sie kannten sich nicht, sprechen unterschiedliche Sprachen – und ihre Werke könnten kaum unterschiedlicher sein: der in Kamerun verfolgte Lyriker Enoh Meyomesse und der deutsche Autor Feridun Zaimoglu. Trotzdem ließen sie sich auf ein Experiment ein, lernten sich in Briefen kennen. Nun haben sie sich das erste Mal getroffen, im Literaturhaus Darmstadt.
"Ich hab mich sehr gefreut und ich hielt nicht inne und ich hoffe, dass ich ihn nicht überrumpelt habe. Ich habe ihn dann umarmt und gedrückt."

Feridun Zaimoglu und Enoh Meyomesse sehen sich an diesem Abend zum ersten Mal. Seit sechs Monaten schreiben sie sich Briefe, mit Hilfe eines Übersetzers haben sie einen Dialog begonnen. Der 62-jährige Enoh Meyomesse hat in seinem Heimatland Kamerun Romane, Lyrik, Theaterstücke veröffentlicht und sich 2011 als Präsidentschaftskandidat in die Politik eingemischt. Wegen Kritik an der Regierung saß er 40 Monate im Gefängnis.

Der eine bloggt, der andere tippt auf der Schreibmaschine

Das PEN-Zentrum Deutschland hat ihn nach langen Protesten frei bekommen, jetzt lebt er mit einem Stipendium in Darmstadt. Den eher schnoddrigen Feridun Zaimoglu überraschte er mit Gedichten in hymnischem Tonfall:
"Ich grüße dich mein Freund, ich kenne dich noch nicht
Ich grüße dich, mein freund, entdecken werde ich dich eines frohen tages
ich grüße dich, mein freund, treffen werde ich dich eines tages, bald
ich grüße dich
ich grüße dich
ich grüße dich"
Der Austausch mit dem zehn Jahre jüngeren Feridun Zaimoglu gestaltete sich schwierig. Meyomesse ist ein aktiver Blogger, Zaimoglu arbeitet noch mit Schreibmaschine und Faxgerät. Er antwortete dem afrikanischen Kollegen mit tagebuchartigen Notizen, die sich jedem hohen Ton verweigern und eher Alltägliches zum Besten geben.
"Bruder Enoh, lieber neuer Freund, gestern, am zweiten Weihnachtsfeiertag, heimgekehrt zur späten und dunklen Stunde, was war ich froh, es stank in der Bude nach zehn Mormonensocken, macht nix, ich riss das Fenster auf, Regen. Passanten mit Kapuzen, ein dickes Kind, das den große Kopf in Zuckerwatte am Stab steckte, war Jahrmarkt, ich wusste es nicht."

"Ein bisschen bekloppt"

Er habe sich auf keinen Fall anbiedern wollen, erzählt Feridun Zaimoglu. Die anfängliche Fremdheit sollte bleiben, er wollte nicht als super seriöser Schriftsteller aus dem Land der Dichter und Denker erscheinen.
"Ich wollte ihn über diese knallverrückten Geschichten beziehungsweise den groben Unfug auch ein bisschen einstimmen darauf, dass wir hier, in Deutschland, auch, sagen wir mal, herzverrückt sind und auch ein bisschen bekloppt."
Und so konnte das Publikum im Literaturhaus Darmstadt miterleben, wie ein verfolgter Schriftsteller aus dem Kamerun und ein erfolgreicher deutscher Schriftsteller mit türkischen Wurzeln und schräger Optik sich erfolgreich um Verständigung bemühten. Er habe einen neuen literarischen Stil kennengelernt und eine neue Art zu denken, sagte der höfliche Enoh Meyomesse. Und er fühle sich in Deutschland, in seinem Darmstädter Exil sehr wohl:
"Hier sehen einen die Leute mit einem freundschaftlichen Blick an. In vielen Ländern ist der Blick ein feindlicher. Das ist mir sofort aufgefallen und mir sehr nahe gegangen hier."

Über den Niedergang der Demokratie in der Türkei

Einig waren sich die beiden Schriftsteller in der Abscheu vor Despoten und dem Niedergang der Demokratie im Kamerun und in der Türkei. Er sei entsetzt, so Feridun Zaimoglu, wie sich Erdogan entwickelt habe, hin zu einer mittelalterlich anmutenden Politik.
"Und jede Kultur, jede Gemeinschaft, wie groß oder wie klein – wenn sie sich Kritik und Selbstkritik verbietet, verfault. Insofern sind das für mich Verfaulungs- und Gärungsprozesse, es wird dabei nichts Gutes rumkommen, nein."
Der Abend im Literaturhaus Darmstadt präsentierte zwei Schriftsteller, die zweifellos nicht dieselbe Sprache sprechen. Die aber durch ihre Korrespondenz neugierig auf einander geworden sind. Und das Beste daran: Das Publikum wurde in Echtzeit Zeuge dieses ungewöhnlichen Dialogs, der sich auch in Zukunft fortsetzen soll.
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