Faust I in Düsseldorf

Ein Leben auf des Messers Schneide

Theaterschauspieler Stefan Hunstein
Theaterschauspieler Stefan Hunstein © picture alliance / dpa / Ursula Düren
Von Ulrike Gondorf · 19.12.2015
Schräg und gewöhnungsbedürftig - aber dann, wenn man sich einlässt auf Schmiedleitners Faust in Düsseldorf, ist man begeistert von dieser ganz heutigen Suche nach Erkenntnis. Stefan Hunstein in der Titelrolle überzeugt mit seinem Faust als Amokläufer auf der Suche nach Erkenntnis.
Ein Betonbunker mit Glaskuppeln in der Decke und einer schlitzartig schmalen umlaufenden Fensterfront. Heinrich Faust muss Professor sein an einer der Betonklotz-Unis, wie sie in den 70er Jahren aus dem Boden gestampft wurden. In Düsseldorf zum Beispiel, wo der Regisseur Georg Schmiedleitner der Goethe-Tragödie ersten Teil jetzt auf die Bühne gebracht hat. In rekordverdächtig kurzen 110 pausenlosen Minuten.
Im Hintergrund rattert beständig ein Drucker. Ein ungeheures Papiergebirge hat er schon aufgetürmt. Immer wieder reißt Faust ungeduldig ab, was der Drucker ausspuckt und er klappt dann den Laptop auf, um zu googeln. Dazu hält er den bekanntesten Monolog der deutschen Klassik "Habe nun, ach". Manischer Wissensdrang, der scheitert und im akuten Lebensüberdruss mündet. Die Geister, die Faust beschwört, findet er wahrscheinlich auf hochriskanten Seiten im Darknet. Jedenfalls scheitern die Verbindungen.

Ein paar Minuten lang gewöhnungsbedürftig

Das klingt schräg, und es ist auch ein paar Minuten lang gewöhnungsbedürftig. Aber dann steigt man ein auf Schmiedleitners Konzept. Dazu braucht es allerdings einen Schauspieler wie Stefan Hunstein, der in Düsseldorf die Titelrolle spielt. Er ist ein Berserker, ein Amokläufer der Intellektualität, ein Junkie auf der verzweifelten Jagd nach der Droge "Erkenntnis". Hunstein brennt, er steht unter Strom. Und er kann das alles hineinpacken in die nur allzu bekannten Sätze über Philosophie, Juristerei und Medizin, die viele im Publikum mitsprechen könnten. Mit dieser Intensität und persönlichen Aneignung vorgetragen, klingen sie wie neu. Kein professorales Gehabe, kein altväterliches Bildungsgut, ein Leben auf Messers Schneide.
Und es braucht nicht viel, um es in den Wahn kippen zu lassen. Mephisto hat leichtes Spiel in dieser Aufführung. Kein Pudel, der in die Gelehrtenstube eindringt, sondern eine lockere Viererbande, die von der letzten langen Uninacht irgendwo übrig geblieben sein könnte. Zwei Männer, zwei Frauen, die sich an diesen Faust hängen, ihm einflüstern, ihn pausenlos weitertreiben in den Ideen, in die er sich verrannt hat. Ob sie nun dem innersten Zusammenhalt gelten oder der Liebesnacht mit Gretchen. So klar wie bei dieser Spaßgesellschaft hat man es nie gesehen, wie banal dieser Teufel ist, wie sehr er Faust nach dem Mund redet. Nicht Mephisto ist dämonisch, sondern Faust, der alles zerstört, was ihm begegnet: seien es Glaubensgewissheiten oder das Leben von Gretchen. Der Teufelspakt ist nichts als eine Lizenz, all seinen Autosuggestionen noch hemmungsloser zu folgen als bisher.

Ein sehr heutiges Faustportrait

In der äußerst verknappten Fassung von Schmiedleitner wird das straff und spannend erzählt. Dieses Faustportrait hat Durchschlagskraft und wirkt auch durchaus heutig und aktuell. Das ist nicht ja nicht wenig für einen Abend, den man allein wegen seines überragenden Hauptdarstellers nicht versäumen sollte.
Manches geht nicht so recht auf; der Versuch zum Beispiel, den trockenen Famulus Wagner zu einem nerdhaften, skrupellosen Wissenschaftsfreak und echten Gegenspieler Fausts aufzubauen. Zwei Szenen lang gibt es interessante Ansätze, aber dann lässt Goethe die Figur leider aus dem ersten Teil von Faust verschwinden und dagegen hilft auch kein Regiekonzept. Anderes kommt einem trotz der gewaltigen Striche noch zu lang – oder gerade deswegen unproportioniert – vor, wie die ausufernde Sterbeszene von Gretchens Bruder Valentin. Auch der Schluss – ohne "gerichtet und gerettet" - setzt keinen überzeugenden Endpunkt.
Aber es ist keine Sekunden langweilig in diesem Faust. Das ganze Ensemble geht bemerkenswert differenziert und technisch souverän mit Goethes Versen um. Und das muntere Mephisto-Quartett füllt die einschüchternd große Düsseldorfer Bühne ganz locker mit theatralischem Leben.
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