Fanatismus

Einblick in eine hitlertreue Seele

Von Pieke Biermann · 25.04.2015
Sie will mehr werden als Heimchen am Herd. Mit zwölf geht sie zum BDM, der Nazi-Jugendorganisation für Mädchen. Im Frühjahr 1945 ist Clara S. 24 Jahre alt und zieht mit einer Privatarmee aus Kindersoldaten nach Westen, von denen die meisten umkommen. "Glaube, Führer, Hoffnung" erzählt von ihrer Verblendung und ihrem Übermenschenwahn.
Pommern, Frühjahr 1945: Die Rote Armee ist da. Während die einen zu Zigtausenden gen Westen flüchten, andere desertieren, weil das mit dem Endsieg über die "Teufel aus der asiatischen Steppe" wohl doch nichts wird, fährt auch Clara Sabrowski westwärts.
Aber die 24-jährige BDM-Führerin, "Muster arischer Schönheit", handelt nicht aus Überlebenstrieb, sondern aus Übermenschenwahn gepaart mit Liebesidiotie. Sie hat jetzt einen Revolver, Zyankalikapseln und zieht, endlich zur Soldatin erkoren, durchglüht mit: von Deutsch Krone (heute Wałcz) nach Stettin (heute Szczecin), nach Rügen.
Ein Westward Ho! der unanständigen Art. Claras Bataillon sind 15-jährige Jungs, die als Privatarmee der "Gauleitung" deren Rückzug decken soll, "betreut" vom BDM. Bis Rügen sind die meisten tot oder verschollen. Clara dagegen ist verblendeter denn je. Seit Stettin hat sie ihren Geliebten wieder, den schmucken, verheirateten Karl Quast, der sie in Deutsch Krone schnöde abserviert hatte. Sie lebt in einer Parallelwelt obszönsten Luxus', aus der sie ihrer Mutter Briefe schreibt:
"Wir liegen im Garten in der Sonne, essen wie im Frieden und leben einen Bombentag. [...] Ach Muttilein, es ist ein Leben wie es Fürsten führen. Mir ist im Moment restlos nebelig zu Sinnen, weil wir z.B. die letzten drei Nächte durchgefeiert haben. Aber mit Stil und Eleganz. Kaminfeuer, Musik, Geist und edelste Tropfen. So hatte ich mir das alles einmal geträumt."
Cover: "Glaube, Führer, Hoffnung" von Susanne Wiborg und Jan Peter Wiborg
Cover: "Glaube, Führer, Hoffnung" von Susanne Wiborg und Jan Peter Wiborg © Kunstmann Verlag
Die Tochter einer emanzipierten Mutter
Der letzte Brief ist vom 31. März, zuletzt gesehen wird Clara am 1. Mai, sekttrinkend und vom großen heroischen Leben delirierend, in Sassnitz/Rügen. Am 3. Mai abends werden weiter nördlich, in einer gut getarnten Nachrichtenstelle für Himmlers Werwolf-Pläne, Frauenschreie und Schüsse gehört; später auch kurz Leichen gesehen. Danach gilt Clara als "von den Russen erschossen", bis ihre Briefe und ein paar Bilder in die Hände der Geschwister Wiborg fallen, zwei historisch ausgebildeten Journalisten. Clara war ihre Tante. Damit beginnen 15 Jahre Detektivarbeit.
Das dabei entstandene Buch ist ein gelungener Genremix aus long-story-Reportage, spannender true-crime-Erzählung, Familien-, Mentalitäts- und Alltagsforschung, Regionalgeschichte und dem Versuch, der furchtbaren Verwandten sozio- und psychologisch beizukommen. Letzteres erfordert die – notgedrungen spekulierende, auch fiktionalisierende – Interpretation der wenigen Zeugnisse. Zum Leitmotiv wird, durchaus plausibel, Clara als Prototyp ihrer Zeit: Die Tochter einer emanzipierten, aber durch Heirat "degradierten" Mutter, "rangniedriger" als ihr Bruder, aufgewachsen im deutschnational-protestantischen und bald NS-hörigen Kleinstadtmilieu, in einer kulturbeflissenen Mittelschichtfamilie, in der viel gelesen wird, will mehr werden als Heimchen am Herd. Mit zwölf geht sie zum BDM.
"Glaube, Führer, Hoffnung" ist ein Buch für ein großes Publikum, auch weil es eine Lektion bereithält, die jederzeit überall nützlich ist: Weder Frau-Sein noch Bücherlesen macht einen automatisch zum besseren Menschen. Aber da, wo niemand vor allem "a mensh" sein darf, ist Untergang die logische Folge.

Susanne Wiborg, Jan Peter Wiborg: "Glaube, Führer, Hoffnung – Der Untergang der Clara S."
Verlag Antje Kunstmann, München 2015
320 Seiten, 19,95 Euro, auch als E-Book

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