Familienarbeit

Als Lohn ein Lächeln

Der Schatten einer Familie, die sich an der Hand hält
Teil der Schattenökonomie - so sieht der Publizist Martin Ahrends Familienarbeit © picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Von Martin Ahrends · 22.09.2015
In der ökonomischen Lehre gilt Familienarbeit nicht viel. Doch ohne Familie und Nachwuchs würde das Sozial- und Wirtschaftssystem zusammenbrechen, meint der Autor und achtfache Vater Martin Ahrends.
Was Familien betrifft, haben wir ein Wahrnehmungsproblem, sagt der Sozialexperte Jürgen Borchert. Das habe zu tun mit der herrschenden Ökonomie. In der ökonomischen Lehre und Praxis seien Privathaushalte Orte des Konsums. Die Ökonomie sei völlig blind dafür, dass in den Privathaushalten die wichtigste ökonomische Grundbedingung auf die Beine gestellt wird, nämlich das Humanvermögen, die Nachwuchsgeneration. Dieses ökonomische Denken habe der große Nationalökonom Friedrich List schon vor 160 Jahren auf die Pointe gebracht, dass derjenige, der Schweine aufzieht, ein produktives, und derjenige, der Menschen aufzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft ist, denn Kinder laufen nicht über den Markt.
Familienarbeit als unentgeltliche Dienstleistung für die Gesellschaft?
Als ich 21 war, wurde ich Vater. Seither füllt die sogenannte Familienarbeit mein Leben aus. Heute hab ich acht Kinder, die studieren oder ihrem Beruf nachgehen, zehn Enkel, denen es bei ihren Eltern gut geht. Gebraucht zu werden von und in der Familie, das war und ist noch immer mein Leben. Oder ist es gar nicht mein Leben, sondern eine unentgeltliche Dienstleistung für die Gesellschaft? Kinder seien ganz unverzichtbar, lese ich dort, wo für Familie geworben werden soll, und das ist eine kühne Behauptung. Unverzichtbar sind Kinder keineswegs. Wären sie es, würden nicht so viele junge Leute auf sie verzichten.
Die meisten von uns kennen Familien nicht nur von außen und wissen: Das ist in jeder Hinsicht anstrengend. Familie ist kein Wellnesspark für die gestresst heimkehrenden Eltern. Familienarbeit ist eine aufwendige gemeinnützige Tätigkeit, die sich im so genannten Privatleben abspielt. Zum Beispiel: Kinder betreuen, Kinder bilden, Kinder ernähren und erziehen. Zum Beispiel: Kinder behausen. Ich hab nacheinander sechs Wohnungen für uns gefunden, renoviert, eingerichtet, bin in gemieteten LKWs mit Hilfe von Freunden und Verwandten etliche Male umgezogen, hab zuletzt sogar ein Haus gebaut, war unbezahlter Bauherr und, wie die meisten Bauherren, zumindest am Anfang blutiger Laie.
Ein Heimkind kostet den Staat ein Vielfaches
Wenn es die freiwillige Familienarbeit nicht gäbe, die Grundannahme, eine unentgeltliche Leistung für die Gesellschaft sei das eigene Privatleben, dann bräche das ganze Sozial- und Wirtschaftssystem zusammen. Ein Kind, das im Heim aufwächst, kostet den Staat ein Vielfaches dessen, was ihn ein Familienkind kostet, dabei bleibt das Heimkind doch – und sei es ein 5-Sterne-Heim – in vielerlei Hinsicht unterversorgt.
Der Kapitalismus belohnt die Familienarbeit nicht, obwohl er auf sie angewiesen ist. Wenn ich – mit Karl Marx – mein Privatleben als "Reproduktion der Ware Arbeitskraft" sehe, dann will ich diese Leistung auch bezahlt bekommen. Aber so sehe ich es nicht. Niemand soll mich dafür bezahlen. Es war und ist mein Leben. Der Eltern Lohn ist die Anerkennung derer, mit denen ich das Land bewohne: ein Respekt, der sich in mimisch-gestischen Winzigkeiten zeigt, wenn sich Eltern im öffentlichen Raum bewegen.
Subtiler Elternlohn: die öffentliche Anerkennung ihrer Leistung
Was gibt es da für eine hochentwickelte Ökonomie der öffentlichen Gesten! Wie gut mir das tat, so ein Lächeln über mein Kind, so eine winzige Bejahung meiner Rolle, wie lang diese Guttat anhielt, wie lang ich davon zehren konnte! Es braucht nicht viel, ist aber unverzichtbar, dass Eltern von den wildfremden Anderen gezeigt bekommen: Ihr seid wertvoll!
Dieser subtile Eltern-Lohn ist auch etwas Politisches, aber nichts, was auf der Bühne der großen Politik zu regeln wäre. Oder doch? Der Kapitalismus tötet, sagt der Papst, vielleicht tötet er ja auch diese in Jahrhunderten hart erworbene Zwischenmenschlichkeit. Eines scheint mir gewiss: Wenn der Kapitalismus die Gemüter restlos erobert oder anästhesiert hat, wird man Familienarbeit bezahlen müssen. Das wird teuer.
Martin Ahrends, Autor und Publizist, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR.1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Martin Ahrends
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